Irans neuer Präsident bittet und warnt

Eine Plattform für verschiedene Perspektiven zum Iran und der iranischen Diaspora

Die neue Rubrik „Meinung“ des Iran Journal bietet eine Plattform für unterschiedliche Meinungen zu Ereignissen im Iran und Aktivitäten exilierter Iraner*innen. Falls Sie mit einem hier veröffentlichten Beitrag nicht einverstanden sind, freuen wir uns über Ihre Stellungnahme. Sollten zahlreiche Antworten zu einem Beitrag bei der Redaktion eingehen, werden wir eine auswählen, die repräsentativ für die Mehrheit ist.

Die Beiträge in dieser Rubrik spiegeln nicht zwangsläufig die Ansichten der Redaktion wider.

Stellungnahme an: meinung@iranjournal.org


Von Djafar Sadigh

Ja, er wurde mit einem Viertel der Stimmen der Wahlberechtigten im Iran zum Präsidenten der Islamischen Republik gewählt.
Wer ist er, was will er und vor allem: Welche Aussichten auf Erfolg hat er?
Masoud Pezeshkian ist Arzt, Herzchirurg. Er kommt also aus der Wissenschaft. Dass er an den Hokuspokus des Islam glaubt, ist sein privates Recht. Lassen wir ihm diese Freiheit.
Er hat kein Programm vorgelegt, betonte aber, die wirtschaftliche und soziale Misere des Landes mit Hilfe von Experten lindern zu wollen. Er versprach keine großen Änderungen, sondern nur eine Linderung der Situation.
Die Arabischen Emirate und auch Saudi-Arabien sind für ihn Vorbilder für wirtschaftliche Investitionen. Er kritisierte ziemlich scharf die chinesische Wirtschaftspolitik in Bezug auf den Iran: Die Chinesen erfüllten ihren 25-jährigen Investitionsvertrag mit dem Iran nicht, und der Iran verkaufe sein Öl mit kräftigen Rabatten an China.

Die bisherige iranische Politik gegenüber Europa und den USA kritisierte er auch: „In den Verhandlungen mit dem Westen halten wir Vorträge über große Leistungen des Islam, ohne konkrete Angebote. Die Diplomatie ist aber Geben und Nehmen, wir müssen das wahrnehmen und entsprechend handeln.“

Pezeshkian und „der Führer“

Zwei Bemerkungen des neuen iranischen Präsidenten sind von besonderer Bedeutung, wenn man sie richtig verstehen will:

1. Ohne die Erlaubnis des „Führers“ Ali Khamenei hätte er nicht Präsident werden können;
2. Er werde zurückzutreten, wenn er bei der Durchsetzung seiner Forderungen nach Veränderung keinen Erfolg haben sollte.

Pezeshkians Stellungnahmen sollte man als Bitten und Warnungen an zwei Seiten interpretieren: an Khamenei, aber auch an Europa und die USA.
Von Khamenei wünscht er sich den Verzicht auf die bisherige harte gesellschaftliche Politik im Land, aber auch in der Außenpolitik.
Von den Amerikanern und Europäern wünscht er sich die Lockerung der Embargos gegen den Iran, damit sich die Lebensverhältnisse der Bevölkerung etwas bessern.
Ob Khamenei seinen Wunsch erfüllen wird, ist fraglich. „Der Führer“ hat ja die Wahl des Herrn Pezeshkian zugelassen, weil er um die Existenz seiner Herrschaft fürchtet.
Die Bevölkerung rebelliert andauernd gegen diese Herrschaft, und auch die Drohung von außen ist enorm.
Khameneis Herrschaft ist aber ideologisch vom fanatischen Islam geprägt. Kann er sich überhaupt für die Realpolitik entscheiden? Anders gesagt: Wird er auf seine harte ideologische Haltung in der Innen-und Außenpolitik verzichten?
Das wird sich bald zeigen. Sollte er es tun, muss mit langsamen, vorsichtigen Veränderungen des Lebensstandards der Bevölkerung in Iran gerechnet werden – aber nicht mit der Abschaffung des Islamismus.
Tut er das aber nicht, wird es sehr wahrscheinlich zu großen Spaltungen innerhalb der „Reformisten“ und „Gemäßigten“ kommen. Ansätze davon sind bereits vorhanden. Ein Großteil von ihnen wird die Einsicht gewinnen, dass nicht durch kleine Veränderungen, sondern nur durch einen grundsätzlichen Strukturwandel die innenpolitischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme bewältigt werden können. Und dass der Iran nur dadurch eine ihm würdige Stellung innerhalb der Weltgemeinschaft erhält.
Die verschiedenen Fronten der Islamisten würden sich dann mittelfristig zerreiben, und das wird letztlich zum Zerfall der Herrschaft der Islamisten führen.

Dafür wird natürlich eine gemeinsam handelnde Opposition notwendig sein. In den letzten 20 Jahren gab es immer wieder Aufstände der Bevölkerung, deren Höhepunkt die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ war. Sie alle haben zu keinem großen Erfolg geführt, weil die verschiedenen Fraktionen der Islamisten sich in der brutalen Niederschlagung dieser Bewegungen einig waren.
Diese Bewegungen sind aber nicht tot. Sie sind Feuer unter der Asche. Eine zerriebene und zerfallende Islamistenfront würde die Gelegenheit für die Entstehung der Freiheit und der Demokratie bieten.
Krempeln wir also die Ärmel hoch für einen Freudentanz nach dem Zerfall der Fronten der Islamisten selbst – denn allem Anschein nach wird Khamenei seinen harten Kurs weiterführen wollen!♦

Zum Autor: Djafar Sadigh ist ein im Ausland lebender demokratischer Aktivist und setzt sich seit seiner Jugend für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit im Iran ein. Er war unter anderem in den Jahren 1970-71 Vorstandsmitglied der Konföderation Iranischer Studenten (CISNU). 

Liebe Leser:innen,

wenn Sie unsere Arbeit schätzen und die Zukunft des Iran Journal sichern wollen, werden Sie durch direkte Spenden (mit Spendenbescheinigung (hier klicken) oder durch die Plattform Steady (hier klicken) Fördermitglied der Redaktion. Dadurch sichern Sie eine kritische und unabhängige Stimme für die iranische Zivilgesellschaft.

Zur Startseite