„Sonst werden alle getötet“
Daniela Sepehri und Mariam Claren schenken in ihrem Podcast „Politische Gefangene in Iran“ all jenen Menschen ihre Stimme, deren Leben von der Islamischen Republik bedroht wird. Zwei junge Frauen gegen den islamischen „Gottesstaat“, der keinen Respekt vor dem Leben Andersdenkender hat.
Von Sara Taimouri
Die Iranerin Nika Shahkarami war gerade erst sechzehn Jahre alt, als sie im Oktober 2022 an den „Frau, Leben, Freiheit“-Protesten im Iran teilnahm, die in Folge des Todes von Jina Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im ganzen Land ausgebrochen waren. Berichten zufolge soll eine Einheit des Geheimdienstes Nika beobachtet haben, während sie auf den Straßen Teherans für Freiheit und Selbstbestimmung kämpfte – offenbar ohne, dass sie sich dessen bewusst war, verfolgten die Männer sie und zerrten sie schließlich in einen Van. Dort fesselten sie das junge Mädchen, schlugen sie und vergriffen sich sexuell an ihr – bis Nika schließlich starb. Als die Täter bemerkten, dass ihr Opfer nicht mehr atmete, schmissen sie den Leichnam aus dem Van. „Nika steht einfach sinnbildlich für so viele junge Menschen, die sie ermordet haben“, wirft Daniela Sepehri an dieser Stelle ein: „Wie viele Fälle wie Nikas Fall – oder vielleicht sogar noch schlimmer als Nikas Fall – gibt es?“ Und all diese Fälle auszubuchstabieren, sie öffentlich zu machen: Das ist Sepehris und Mariam Clarens Programm in ihrem gemeinsamen Podcast „Politische Gefangene in Iran“.
Der Podcast der beiden Iran-Aktivistinnen ist gewissermaßen selbst ein Kind der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung. Sie rufen ihn zu einer Zeit ins Leben, in der das Regime der Islamischen Republik wie seit jeher mit Terror und Repression auf jeden Widerstand gegen die staatliche Unterdrückung reagiert. Zu dieser Zeit zählen Menschenrechtsorganisationen bereits 18.000 politische Gefangene, die allein im Kontext der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste festgenommen worden waren. Später kamen noch Tausende mehr hinzu: Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis zu 60.000 Personen hinter Gitter gebracht wurden. Die Behörden der Islamischen Republik selbst erklärten, dass das Durchschnittsalter der Festgenommenen bei fünfzehn Jahren lag.

„Der einzig wirksame Schutz für politische Gefangene“
Und nicht nur das: Der Podcast beginnt genau an dem Tag, an dem von Mohsen Shekaris Hinrichtung berichtet wurde. Der 23-Jährige war der erste Teilnehmer der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung, dessen Todesurteil vollstreckt wurde. „Ich war so wütend, weil ich seinen Namen nicht kannte“, gibt Claren zu: „Ich wusste nicht, wer das ist!“ Und genau das spielt, so Claren, der Islamischen Republik in die Hände: Wer unbekannt ist, den kann das Regime still und heimlich hinrichten. Genau deswegen müssen alle Namen genannt, alle Geschichten erzählt werden. Denn eines steht für Sepehri und Claren fest: „Sonst werden alle getötet“. Aufmerksamkeit: der einzig wirksame Schutz, den die politischen Gefangenen im Iran haben.
Doch der Podcast „Politische Gefangene in Iran“ geht über seinen Titel weit hinaus. Er ist der einzige Podcast, der seine Zuhörenden regelmäßig mit den neuesten Updates aus dem Iran versorgt und die Geschehnisse einordnet. Denn in der Islamischen Republik ist vieles nicht so, wie es scheint. Sei es, wenn es um die Scheinwahlen des neuen Präsidenten geht, seien es die undurchsichtigen juristischen Prozeduren. Mit letzteren kennt sich besonders Claren ziemlich gut aus, denn ihre eigene Mutter, Nahid Taghavi, sitzt seit Oktober 2020 als politische Gefangene im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran.
Die Deutsch-Iranerin wurde wegen angeblicher „Mitgliedschaft in einer illegalen Gruppe“ und „Propaganda gegen den Staat“ zu insgesamt zehn Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Claren erzählt von ihrem Kampf, die 69-jährige Menschen- und Frauenrechtsaktivistin aus den Fängen der Islamischen Republik herauszubekommen. Sie zeigt auf, wie wenig Rechtsstaatlichkeit im Iran herrscht, und was es bedeutet, in einem juristischen Komplex, der an Absurditäten kaum zu übertreffen ist, die Rechte eines Menschen zu verteidigen. Claren teilt ihre dunkelsten Momente: etwa, als sie den Anruf bekam, ihre Mutter sei verlegt worden und keiner wisse, wohin. Die schlimmsten Stunden ihres Lebens, so Claren.

Kritik an der zerstrittenen iranischen Opposition
Doch Sepehri und Claren berichten und kämpfen nicht nur. Sie rechnen auch ab und nehmen dabei kein Blatt vor den Mund. Und das nicht nur mit den Machthabern der Islamischen Republik. Sie üben auch scharfe Kritik an denjenigen, die die Situation politischer Gefangener verharmlosen. Dabei kriegt auch die zerstrittene iranische Opposition ihr Fett weg. Für Claren ist sie eine „Schande“. Sie ließen sich über westliche Medien aus, die „die Regimepropaganda der Islamischen Republik reproduzieren“, anstatt kritisch und einordnend über die Geschehnisse im Iran zu berichten. „Du bist Journalist“, sagt Sepehri mit Nachdruck, „nicht Copy-Paster!“
Doch die größte Absage erteilen sie der Iran-Politik des Westens. Der zu Beginn ihrer gemeinsamen Schaffensphase hoffnungsvolle Ton des Podcasts schlägt im Laufe der Zeit immer wieder um: Die beiden jungen Frauen sind wütend, mitunter zynisch. Wütend auf die Iran-Politik der Bundesregierung, der EU, der ganzen westlichen Demokratien. „Es muss von der Kraft der Massen kommen“, appelliert Sepehri. Das ist ihre Mission: zivile Mobilisierung und die Schaffung eines Netzwerks gegen das Unrechtsregime der Islamischen Republik. Wie genau? Das bleibt – auch für die beiden Frauen – noch offen. Doch Sepehri und Claren geben nicht auf und sind entschlossen, ihren Kampf gegen den islamischen „Gottesstaat“ fortzusetzen – ob mit oder ohne Hilfe der Politik.
„Politische Gefangene in Iran“ ist informativ, persönlich und emotional. Die beiden jungen Frauen sprechen über die Themen, weil sie sie etwas angehen. Aber sie machen auch klar: Sie gehen alle etwas an. Ein Journalist, der in Freiheit schreibt, muss für seine Kollegen schreiben. Wer die Europameisterschaft feiert, darf nicht vergessen, dass im Iran Fußballer wie etwa Amir Nasr-Azadani im Gefängnis sitzen. Doch was kann man tun? Sepehri und Claren lassen nichts unversucht, sei es durch politische Patenschaften, sei es, Abgeordneten auf X zu schreiben oder die iranische Botschaft mit Anrufen zu bombardieren. Jeder kann zumindest ein Like setzen und damit die Menschen unterstützen, die im Iran ihr Leben riskieren, damit die Welt sieht, was dort geschieht.♦
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