Wahlen im Iran

Eine Plattform für verschiedene Perspektiven zum Iran und der iranischen Diaspora

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Wahlen im Iran: Eine Inszenierung für die Welt

Von Daniela Sepehri

In der Islamischen Republik Iran wurde nach dem tödlichen Helikopterabsturz von Präsident Raisi neu gewählt – doch eine echte Wahlmöglichkeit hatte die wahlberechtigte Bevölkerung nicht. Und viele deutsche Medienredaktionen haben während des “Wahlkampfs” im Iran gezeigt, dass sie das Wesen der Islamischen Republik Iran noch immer nicht verstanden haben: Sie wiederholten die Erzählung von einer Wahl zwischen “Hardlinern” und “Reformern”. Dabei haben die Menschen im Iran in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich gemacht: Es gibt keine “Reformer” im Iran. Es gibt nur Hardliner und Hardliner.

Massoud Pezeshkian wird als “moderat” verkauft. Deutsche Redaktionen sollten es besser wissen: Als Gesundheitsminister hatte er in den 2000er Jahren zu verhindern versucht, dass die Todesursache einer iranisch-kanadischen Fotojournalistin Zahra Kazemi ans Licht kommt. Sie war festgenommen worden, nachdem sie Proteste vor dem berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis fotografiert hatte, wurde in Haft schwer gefoltert und vergewaltigt und starb wenige Tage später an den Folgen. Während des Wahlkampfes zeigte sich Pezeshkian in der Uniform der Revolutionsgarde und bezeichnete deren Machenschaften, also Terror auf der ganzen Welt, als “unseren ganzen Stolz”. Für deutsche Medien scheint das moderat zu sein.

Es ist ein gefährlicher Fehler, die Propaganda-Erzählung eines reformorientierten Kandidaten ohne Kontextualisierung zu übernehmen; stattdessen sollten lieber die Stimmen der Menschen im Iran hörbarer gemacht werden. In einem Interview mit der taz erklärte der politische Gefangene Ahmadreza Haeri aus dem Ghezelhesar-Gefängnis, dass es für die Menschenrechtslage in Iran keinen Unterschied mache, wer Präsident sei. Die Macht in der Islamischen Republik liegt allein beim Obersten Führer und seiner Revolutionsgarde. Politische Aktivist*innen wie die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi riefen dazu auf, die Wahlen zu boykottieren. Videos zeigen leere und verlassene Wahllokale.

Und während die Welt – als ob das eine Relevanz hätte – gespannt abwartet, wer der neue Präsident des Landes wird, gehen die Verbrechen in der Islamischen Republik Iran weiter. Die Arbeiteraktivistin Sharifeh Mohammadi wurde in Rasht zum Tode verurteilt, weil sie sich für die Rechte von Arbeiter*innen eingesetzt hat. Varishe Moradi und Pakhshan Azizi, zwei weibliche politische Gefangene, drohen ebenfalls Todesurteile. Die Anzahl der Frauen, die hingerichtet werden, nimmt immer weiter zu – eine besorgniserregende Entwicklung. In der ersten Jahreshälfte 2024 wurden laut “Iran Human Rights” mindestens 249 Menschen hingerichtet, darunter mindestens zehn Frauen.

Während des “Wahlkampfs” wurden weniger Menschen hingerichtet, denn das Regime möchte einen “anständigen” Eindruck in der Welt erwecken, die gerade genau beobachtet. Doch sobald der Wahlzirkus vorbei ist, werden die Verbrechen und Hinrichtungen weiter zunehmen, davor warnt auch die Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights. Die Weltgemeinschaft wird kein Interesse mehr an Iran haben und sich anderen Dingen widmen, Fußball zum Beispiel. Dabei wird sie verdrängen, dass in Iran der Fußballstar Amir Nasr Azadani zu 26 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er für “Frau, Leben, Freiheit” auf die Straße gegangen ist. Sie wird wegschauen, wenn in den Gefängnissen täglich gefoltert, ausgepeitscht, vergewaltigt und hingerichtet wird. Sie wird mit den Schultern zucken, während Bayern gerade fleißig Menschen nach Iran abschiebt – obwohl die CSU in den letzten zwei Jahren besonders laut “Jin, Jiyan, Azadi” gerufen und Solidarität geheuchelt hat.

Wir tragen als Zivilgesellschaft Verantwortung. Wir dürfen nicht wegschauen. Die Gewerkschaften müssen sich mit der zum Tode verurteilten Arbeiteraktivistin Sharifeh Mohammadi solidarisieren. Wer Fußball schaut, muss auch an den inhaftierten Fußballer Amir Nasr Azadani denken.♦

Zur Autorin: Daniela Sepehri ist selbständige Social-Media-Beraterin, Journalistin, Moderatorin und Poetry Slammerin. Als Aktivistin setzt sie sich für Menschenrechte im Iran, Anti-Rassismus und eine menschenrechtsgeleitete Migrationspolitik ein.

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