Das Qarchak-Gefängnis im Iran: ein Ort der Verdammnis
Die „Hölle auf Erden“ befindet sich südöstlich der iranischen Hauptstadt Teheran – das Frauengefängnis Qarchak. Mozhgan Keshavarz hat einen Teil ihrer Haftzeit dort verbracht. Die Oppositionelle erzählt im Iran Journal von dem Ort des Horrors.
Von Sara Taimouri
Gewalt, Vergewaltigung, Tod – das und mehr hat Mozhgan Keshavarz im iranischen Frauengefängnis Qarchak südöstlich der Hauptstadt Teheran erlebt. Für die ehemalige politische Gefangene ist dieser Ort die „Hölle auf Erden“. Die 40 Jahre alte Aktivistin aus Teheran war 2019 festgenommen worden, weil sie sich für Frauenrechte engagiert und unter anderem Videos produziert hatte, in denen sie gegen den Schleierzwang protestierte. Drei Jahre Gefängnis bekam sie dafür. Die Hälfte davon verbrachte Keshavarz im Evin-Gefängnis in Teheran, das als berüchtigter Ort des Grauens weltweit bekannt ist. Doch: „Qarchak ist noch schlimmer als Evin. Es ist eine zusätzliche Strafe“, sagt Keshavarz bei einem Videotelefonat. Ihre schwarzen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, der lang über ihre rechte Schulter fällt. Sie hat den Iran inzwischen verlassen. Wo sie sich momentan aufhält, will sie aus Sicherheitsgründen nicht sagen.
Keshavarz wurde mit der Versetzung nach Qarchak bestraft, weil sie sich im Gefängnis weiter gegen das Regime der Islamischen Republik aufgelehnt hatte. Während ihrer Zeit im Evin hatte sie mit anderen politischen Insassinnen einen Sitzstreik organisiert; eine davon die berühmte Frauenrechtlerin und Nobelpreisträgerin Narges Mohammadi. Die Frauen setzten sich ohne Hijab auf den Boden, riefen Protestparolen und sangen ein bekanntes Widerstandslied. Auf einmal, erinnert sich Keshavarz, habe sie gehört, dass mehr Menschen in den Gesang einstimmten: „Die männlichen Gefangenen haben uns gehört und mitgesungen.“ Sie lächelt und gibt ein paar Takte von sich: „Ghafas ra besoozan, raha kon parandegan ra! – Verbrenne den Käfig, lass die Vögel frei!“
Doch es sollte noch schlimmer kommen: Die Frauengruppe wurde getrennt und jede von ihnen in ein anderes Gefängnis verlegt – Keshavarz nach Qarchak.
Wie Sardinen in der Büchse
Immer wieder beklagen iranische Menschenrechtsorganisationen die unmenschlichen Zustände der Strafanstalt, die gegen alle internationalen Normen und Standards verstießen. Laut einem Bericht der Human Rights Activists News Agency (HRANA), einer Menschenrechtsorganisation im Iran, sind in der Strafanstalt bis zu 2.000 Frauen inhaftiert. Die Insassinnen sind auf sieben Abteilungen aufgeteilt, die jeweils eine Kapazität von 100 Personen haben, in denen jedoch bis zu 300 Gefangene untergebracht werden. Wie Sardinen in der Büchse werden die Gefangenen zusammengepfercht. Im Sommer ist es unerträglich heiß, im Winter beißt die Kälte. Es wimmelt nur so von Insekten und Gestank. Die Räume sind bis zur Decke mit aufeinander gestapelten Betten vollgestellt. Dennoch müssten viele der Gefangenen aufgrund der Überfüllung auf dem Boden schlafen, wie die Menschenrechtsorganisation Center for Human Rights in Iran (CHRI) angibt.
Die Räume seien eigentlich zur Viehhaltung gebaut worden, berichtet Keshavarz. Deswegen sind die Abteilungen zwar lang und hoch, aber sehr schmal. Die Zwischenräume seien so eng, dass es nicht einmal möglich sei, die Beine auszustrecken. „Deswegen mussten wir manchmal abwechselnd essen. Es war einfach kein Platz!“, schildert sie. Ob politische Gefangene, Kleinkriminelle oder Mörderinnen – ungeachtet ihrer Vergehen werden sie alle gemeinsam dort untergebracht. Keshavarz verbrachte die meiste Zeit in ihrem Bett, auch wenn das grellweiße Licht sie störte. Da es in diesen Abteilungen keine Fenster gibt, brennt es von Sonnenaufgang bis zum -untergang.
Der HRANA-Bericht verweist auch auf mangelhafte Ernährung und unzureichende Hygiene in dem Gefängnis. Die Insassinnen müssten das minderwertige Essen nicht nur zu überhöhten Preisen kaufen. Der hohe Säuregehalt führe demnach zu gesundheitlichen Problemen. Auch die Wasserqualität ließe zu wünschen übrig. Das Leitungswasser sei nicht trinkbar und damit zu duschen verursache Hautkrankheiten.
Und nicht nur das: Keshavarz berichtet, dass die Insassinnen während ihres Küchendienstes gesehen haben sollen, wie das Leitungswasser mit Kampfer verseucht wurde. Im Mittelalter wurde die Heilpflanze als Anaphrodisiakum empfohlen. Mit anderen Worten: Es soll das sexuelle Verlangen dämpfen. Keshavarz ist sich sicher, dass das Wasser deswegen so trüb und schaumig war.
Keine medizinische Versorgung
Nicht nur Nahrung und Hygiene führen zum Entstehen und Ausbreiten von Krankheiten in Qarchak. Einige der Gefangenen sind bereits bei ihrer Einlieferung infiziert und werden nicht ausreichend von den anderen Insassinnen isoliert, sodass sich die unterschiedlichsten Krankheiten verbreiten können. Ob Läuse, AIDS oder Hepatitis: Die Gefängniswärter mahnen die Gefangenen zwar, Abstand zu halten. Aber wirklich zu interessieren scheint es die Wärter nicht. Zudem gibt es keine medizinische Versorgung. Die Gefangenen können in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses gebracht werden. Doch viele Frauen in Qarchak haben Keshavarz erzählt, dass sie dann Gefahr laufen, von den Wärtern vergewaltigt zu werden. Ihr ist das erspart geblieben. „Bei politischen Gefangenen machen sie das nicht, weil sie eine Stimme haben, weil sie laut werden. Das will man vermeiden“, erklärt Keshavarz. Also vergreifen sie sich an den ärmsten Frauen, etwa an Prostituierten oder Drogenabhängigen, die sich nicht wehren können. Sie sind leichte Opfer.
Doch auch innerhalb der Gefängnismauern sei man vor so etwas nicht sicher. Dort werden die Insassinnen zu Täterinnen. Keshavarz hat viel Gewalt unter den Gefangenen erlebt: Frauen, die junge Mädchen von sich abhängig machten, um sie zu besitzen; Frauen, die andere Insassinnen vergewaltigten. Frauen, die ihre Opfer ermordeten. Diese Gräueltaten spielten sich vor aller Augen ab. Keshavarz musste wegschauen, denn viele dieser Frauen tragen Waffen mit sich. Und die Wächter? „Den Wächtern ist es egal. Dann ist es eine Frau weniger.“
Überall in Qarchak lauert der Tod. Schließlich gehört Qarchak maßgeblich zur Hinrichtungsmaschinerie der Islamischen Republik. Keshavarz hat mitbekommen, wie die Frauen vor der Vollstreckung von Todesurteilen in Isolationshaft gebracht wurden. Dann wusste sie, dass das Regime sie ermorden würde. Manche dieser Frauen waren ihre Freundinnen geworden. Heute setzt sich Keshavarz gegen die Todesstrafe im Iran ein.
Babys und Kleinkinder
In Qarchak sind allerdings nicht nur Frauen. Mit ihnen verbringen Babys und Kleinkinder die ersten zwei Jahre ihres Lebens. Einige der Insassinnen wissen bei ihrer Festnahme nicht, dass sie schwanger sind. Keshavarz schätzt, dass sie während ihrer anderthalb Jahre in Qarchak 30 Geburten mitbekommen hat. Viele der Frauen wollen die Kinder eigentlich nicht bekommen, etwa, weil sie sie ohne Vater aufziehen müssen. Unverheiratet ein Kind zu bekommen, ist im Iran ein Tabu. Abtreibungen sind in Qarchak jedoch verboten, und so versuchen viele Frauen heimlich, die Schwangerschaft selbst zu stoppen.
Es gibt aber auch schwangere Frauen, die absichtlich kleinere Delikte begehen, um ins Gefängnis zu kommen. Sie sind so arm, dass sie ihr Baby an einem Ort wie Qarchak besser versorgt wissen. Während sie ihre kurze Strafe absitzen, finden sie einen Käufer für ihr Kind. Bei allem, was Keshavarz an Elend, Unterdrückung und Missbrauch erlebt hat, kann sie das bis heute am wenigsten ertragen. Sie ist selbst Mutter, ihre Tochter ist jetzt dreizehn Jahre alt. Heute sind die beiden wieder zusammen. Weit weg von der Hölle, die Keshavarz überlebt hat. Während sie davon erzählt, schaut sie immer wieder auf ihre Notizen. Sie hat alles aufgeschrieben. Damit die Menschen wissen, dass es einen Ort gibt, an dem die Welt zu Ende geht.♦