Der Wandel manifestiert sich in den Haaren der Frauen
Reisebericht in ein islamisches Land im Aufruhr: Die deutsch-iranische Künstlerin Parastou Forouhar erlebt bei ihrer Reise in das Land ihrer 1998 vom islamischen Regime ermordeten Eltern eine veränderte Gesellschaft: hoffnungsvoll, stark und mutig, trotz aller Repressionen.
„Exilanten sind die wahren Botschafter ihrer Herkunftsländer“, sagte Sven Tetzlaff im vergangenen September in seiner Rede zum Tag des Exils in der deutschen Nationalbibliothek Frankfurt am Main. Diese Aussage berührte mich. Ich nahm sie mit auf meine letzte Reise in den Iran und stellte sie mir zur Aufgabe. Der folgende Bericht beruht auf diesem Ausspruch und meinen Gedanken dazu.
Am 12. November 2022 reiste ich nach Teheran, um meiner Eltern Parvaneh und Dariush Forouhar zu gedenken, die als bekannte oppositionelle Politiker des Iran im Jahr 1998 im Zuge einer Serie von politischen Morden an Andersdenkenden durch Agenten des Geheimdienstes der Islamischen Republik ermordet wurden. Wie in jedem Jahr wollte ich zum Anlass ihres Todestages am 22. November versuchen, eine Gedenkfeier in ihrem Haus abzuhalten, um an sie zu erinnern und die Aufklärung der politischen Morde im Iran einzufordern.
Der Anlass fiel zusammen mit einer veränderten gesellschaftlich-politischen Situation. Einerseits herrschte ein bis heute anhaltender revolutionärer Aufstand, im Zuge dessen die Beteiligten mit Wucht und Standhaftigkeit für Gleichberechtigung und Demokratie eintreten. Mutiger und entschlossener denn je fordern sie den Sturz des Regimes. Andererseits verstärkte sich der Druck der Repressionen um ein Vielfaches. Tausende wurden bereits verhaftet, Hunderte bestialisch getötet.
Die Entscheidung, diese Reise anzutreten, fiel mir schwer. Ich war besorgt um mich und um meine Liebsten, die mein Schicksal mittragen. Es ist unbeschreiblich, wie viel Angst man vor einem Land haben kann, aus dem man kommt und mit dem man auf eine unentrinnbare Weise verbunden ist. Auch diese Angst, die allen Menschen auf der Flucht wie den Exilanten gemein ist, sollte als Botschaft vernommen werden.
Die erste Berührung mit der Staatsmacht geschieht stets bei der Passkontrolle. Dieses Mal hatte sich ein paar Schritte weiter ein junger Beamter in Zivil positioniert, der mich unauffällig beobachtete. Kaum hatte ich die Kontrolle passiert, rief er mich zu sich. Zuerst musste ich ihm meinen Reisepass reichen, dann zur Gepäckausgabe folgen. Im Anschluss begleitete ich ihn mit meinem Koffer zu einem mir schon bekannten Raum, wo kurze Verhöre durchgeführt und schriftliche Vorladungen für weitere Sitzungen ausgehändigt werden.
Dort saß ein weiterer Beamter hinter einem Schreibtisch, ebenfalls jung und zivil gekleidet. Die beiden teilten mir mit, dass gemäß einer Anweisung von oben mein Gepäck durchsucht werden müsse. Der Befehl wurde akribisch durchgeführt. Im Raum herrschte eine betriebsam bürokratische Atmosphäre. Langsam sammelten sich meine ausgepackten Gepäckstücke, sorgfältig sortiert, auf dem Schreibtisch. Sie waren aus Papier, sämtlich beschriftet: Ein Buch, der letzte Roman von Elif Shafak auf Deutsch. Ein altes kleines Adressbuch, in dem ich vor Jahren die Telefonnummern von Verwandten und Freunden meiner Eltern notiert hatte. Und zuletzt ein kleiner Stapel von Visitenkarten von jenen Handwerkern, die ich wegen anstehender Reparaturarbeiten meines Elternhauses kontaktierte. Als ich mich beschwerte, dass doch nichts gegen die Kontaktaufnahme mit den alten Angehörigen meiner Eltern spräche, wurde mir gestattet, aus dem Adressbuch die entsprechenden Nummern abzuschreiben. Beim Durchblättern der Seiten musste ich traurig feststellen, dass viele der hier eingetragenen Personen in den letzten Jahren verstorben waren.
Es war einfach absurd. Ein sinnloser Befehl, der minutiös durchgeführt wurde, um Autorität zu demonstrieren. Keiner der konfiszierten Gegenstände war von politischer Relevanz. Die Komik der Situation amüsierte mich und ärgerte zugleich die jungen Beamten. Ich erhielt am Ende eine Quittung für die konfiszierten Gegenstände.
Unverschleierte Frauen, Parolen, Mut
Mit einer überraschenden Erleichterung verließ ich das Verhörzimmer: Mein Reisepass war nicht eingezogen worden, womit ich fest gerechnet hatte.
In der Eingangshalle des Flughafens streifte mein Blick über die Köpfe der versammelten Menschen, die auf die Ankunft von Passagieren warteten. Hier und da fiel mein Blick auf das Haar unverschleierter Frauen. Da waren sie, jene ersten Anzeichen des viel zitierten Wandels, die ich hier mit eigenen Augen erblickte. Wie wunderbar, dass sich der Wandel in den Haaren der Frauen manifestierte!
Die Fahrt zu meinem Elternhaus führt durch den Süden Teherans. Auch auf dieser Strecke konnte ich die Spuren des Wandels entdecken: auf die Wände gesprayte Parolen gegen das Regime und zerrissene Propaganda-Banner. Entlang einer Unterführung war die Aufschrift „Nieder mit der Diktatur, Tod Khamenei!“ zu lesen. Die Angst, die mich in den letzten Wochen beschlichen hatte, wich beim Betrachten dieser Szenen einem Gefühl der inneren Genugtuung.
Wenn ich nach Teheran reise, verbringe ich meine ersten Tage vor Ort mit Spaziergängen im Stadtraum: Ich streife durch die Viertel, in denen ich aufgewachsen bin. Auch hier ist der Wandel unübersehbar. Ein junger Verkäufer in einem Handyladen kritisierte das eingeschränkte Internetvolumen, das seit Beginn des Aufstandes staatlich angeordnet wurde. Im selben Atemzug schickte er die Mullahs zum Teufel, laut und unverhüllt. Ein Taxifahrer beschrieb seine Arbeit als verlorenes Wettrennen mit der täglich steigenden Inflation und verglich das Regime mit einem Krebsgeschwür, das herausoperiert werden müsste, damit es „uns“ endlich besser gehe. Ein junger Straßenhändler verkaufte Kopftücher, die er als Schals für den Hals anpries. Verschmitzt sagte er mir, dass wir erst den Hijab, dann die Mullahs zur Hölle schicken würden. „Was machst Du dann?“, fragte ich ihn. „Leben, einfach leben“, antwortete er mit leuchtenden Augen. Als ich an ihm vorbeiging, rief er mir noch laut nach: „Zan, Zendegi, Azadi: Frau, Leben, Freiheit!“
Immer wieder fuhren Autos vorbei, die das mittlerweile berühmte Lied Baraye, das zu einer Ballade des Aufstands geworden ist, laut abspielten. Und immer wieder nahm ich die Präsenz von unverschleierten Frauen wahr, die selbstbewusst, ja mit diesem unverhüllten Zeichen fordernd meine Wege passierten.
Fortsetzung auf Seite 2