Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden
In ihrem neuen Buch geht die in Deutschland lebende Künstlerin Parastou Forouhar den Spuren des politischen Mordes an ihren Eltern Darioush und Parvaneh Forouhar nach, die als führende Vertreter der iranischen Opposition 1998 ermordet wurden. Das Buch erzählt eine qualvolle Reise auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit.
„Im Iran trägt man stets einen Aufschrei in der Brust“, schreibt Parastou Forouhar auf den letzten Seiten ihres Buches „Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden. Liebeserklärung an den Iran“ (*). Auf etwa 200 Seiten versucht sie, den Spuren des politischen Mordes an ihren Eltern Darioush und Parvaneh Forouhar nachzugehen. Eine Reise auf der Suche nach der Wahrheit und Gerechtigkeit, die zugleich die Liebe der Autorin zu ihrer Heimat widerspiegelt.
Am 21. November 1998 wurden die beiden bekannten Oppositionspolitiker Darioush und Parvaneh Forouhar in ihrem Haus bestialisch ermordet. Erst zwei Jahre später darf Parastou, die Tochter, in Anwesenheit ihrer Anwältin, der Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, Einsicht in die Akten nehmen: elf dicke Ordner, die sie zehn Tage lang von acht Uhr morgens bis zur Mittagsgebetszeit einzeln ausleihen und unter militärischer Aufsicht lesen darf. Fotokopieren oder fotografieren ist nicht erlaubt, Notizen sind aber gestattet. „Ich vermeide jegliche unnötige Wahrnehmung“, schreibt Forouhar über die Lektüre der Akten dieses von staatlicher Seite lange vorbereiteten und organisierten Verbrechens: „Jeden Morgen um acht Uhr setze ich mich an den Tisch und vergrabe mich in die handschriftlichen Aussagen der Mörder meiner Eltern, die ich abschreibe, um später davon zu berichten.“ Etwa die Aussage des Geheimpolizisten Mohammad Hosseini, der als braver Gläubiger seine „Aufgaben zur Liquidierung auf Befehl von Oben“ ausgeführt hat: „Wir haben diese Arbeit immer aus Gottgefälligkeit erledigt und unsere Aufgaben mit der Anrufung des Namens der heiligen Zahra in Angriff genommen“, so zitieren die Unterlagen Hosseini.
„Große Verantwortung“
Trost kann die Autorin, die seit 1991 in Deutschland lebt, in den Aussagen der Mörder nicht finden. Die Informationen aus den ausführlichen und widersprüchlichen Aufzeichnungen der Agenten des Informationsministeriums weisen aber unmissverständlich in die Spitzen der Islamischen Republik. Sie lassen die Künstlerin, die sich zuvor nie für politische Aktivitäten interessiert hat, zugleich eine große Verantwortung spüren: „Die Opfer solcher Verbrechen können nicht ihren ungerechten Schicksalen überlassen werden“, so die Autorin.
Parastou Forouhar übernimmt diese Verantwortung nicht nur für ihre Eltern, sondern auch für die Opfer der systematischen „Kettenmorde“ wie die Schriftsteller Mohammad Poujandeh und Mohammad Mokhtari. Dass sie trotz Repressalien, Drohungen, Verleumdungen und Verboten seitens der islamischen Regierung jedes Jahr zum Todestag ihrer Eltern in den Iran reist, um die Erinnerung an diese Verbrechen wach zu halten, gehört auch dazu.
Bittere Erlebnisse
Einfühlsam und mit beeindruckenden Bildern beschreibt Parastou Forouhar ihre bitteren und schmerzvollen Erlebnisse bei Begegnungen mit Beamten des berüchtigten Informationsministeriums. Sie laden die Autorin jedes Jahr zu einem „Besuch“ in das große Gebäude, das in einem wohlhabenden Viertel im Norden Teherans liegt. „Jedes Mal, wenn ich zu diesem Gebäude fahre, muss ich an die Aussagen jener Beamten dieses Ministeriums denken, die ich in den Akten gelesen habe. Daran, dass sie ihre mörderischen Befehle hier erhalten haben und nach der Tat zu diesem Gebäude zurückgefahren sind, um ihre Protokolle zu schreiben“, schreibt Forouhar.
Kein direkter Blick ins Gesicht
Bei jedem dieser Besuche wirft man ihr vor, den Feinden des Landes zu dienen. Die Agenten behaupten, es gebe Berichte, dass sie dafür Geld genommen hätte. Die provokativen Interviews, die sie mit den Medien im Ausland führe, würden dem „guten Image der Islamischen Republik Irans“ schaden.
All diese Anschuldigungen und Vorwürfe trüben Parastous Gemüt nicht. Sie bewahrt ihre Haltung und ihren kritisch-ironischen Blick: „Kurz nach meiner Ankunft werde ich in einem Raum gerufen, in dem mich zwei schon bekannte Agenten erwarten. Einer der Männer sitzt hinter dem Schreibtisch, der andere mir gegenüber. Er führt das Verhör. Er nimmt eine aggressive Haltung an und starrt mir böse ins Gesicht. Ich starre zurück und denke an eine Zeit, als Agenten wie diese die religiösen Vorschriften befolgten und Frauen nicht direkt ins Gesicht blickten. Nach einer Weile des gegenseitigen Anstarrens beginnt der Agent, mich mit lauter Stimme mit den obligatorischen Anschuldigungen zu überschütten.“ Am Ende solcher Sitzungen fragen die Agenten Forouhar jedes Mal ratlos: „Wie lange werden Sie für Ihre Eltern noch Gedenkveranstaltungen abhalten?“ Und ihre Antwort lautet jedes Mal: „Jedes Jahr, bis zu meinem Lebensende.“
Bis dato hat sie ihr Versprechen gehalten: Seit Mitte November dieses Jahres befindet sie sich wieder in Teheran, um die Gedenkfeierlichkeiten zum 13. Todestag ihrer Eltern vorzubereiten. Und vergangenen Samstag wurde sie wieder zu einem Vernehmungstermin bei der Geheimpolizei vorgeladen, bei dem wieder einmal das Verbot jeglicher Gedenkfeierlichkeiten betont wurde. Wieder vergeblich.♦
(*) Parastou Forouhar: „Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden. Liebeserklärung an den Iran.“ Herder Verlag, Freiburg 2011. 199 S., 16,95 Euro.