Der Wandel manifestiert sich in den Haaren der Frauen

Wie Phönix aus der Asche 

Es ist, als ob sich Teheran in einem hybriden Zustand befände, in dem Alltag und Revolution eine überraschende Gleichzeitigkeit eingehen, miteinander tanzen, eine schrille Symbiose bilden, die neue Vorgänge und Rituale herbeiführt. Dazu gehört das Ausrufen der Slogans des Aufstands jeweils um 21 Uhr aus den Fenstern heraus und über den Dächern der Stadt. Der nächtliche Chor bestärkt den Zusammenhalt und die Zuversicht aller Beteiligten.

„Vielleicht übertreibe ich mit meinem Optimismus. Vielleicht möchte ich mich einfach dieser plötzlichen Zuversicht hingeben, weil ich mir sie so lange herbei gewünscht habe“, meinte ein politischer Weggefährte meiner Eltern, der mich drei Tage nach meiner Ankunft besuchte. Er gehört zu jener politisch gesinnten Gemeinschaft, mit der ich aufgewachsen bin, einer der wenigen aus ihren Reihen, die noch leben. Ein pensionierter Professor und Chirurg, der sich trotz seines Alters gesellschaftlich engagiert.

Ich hatte ihn zuletzt am vergangenen Jahrestag meiner Eltern gesehen. Mittlerweile ist er merklich älter geworden: sein Rücken geduckt, sein Gang schleichend hinter seinem Gehstock. Er erinnerte sich an die vergangenen Zeiten und an den stets aufs Neue erprobten Kampf für die Demokratie. Er zog Vergleiche zur aktuellen Lage, redete ununterbrochen, lachte hin und wieder herzhaft, während sein Blick voller Hoffnung strahlte. „Ich würde es so gerne sehen, den Wandel, den Sturz dieses Regimes. Auch für meine Kameraden, die trotz ihres großen Engagements diesen Wunsch mit ins Grab nehmen mussten“, erklärte er. Voller Begeisterung sprach er von dem Aufstand der jungen Frauen. „Wie Phönix sind sie der Asche entstiegen. Sie haben jahrelang den allumfassenden und ununterbrochenen Erniedrigungen des Regimes getrotzt, sich selbst ermächtigt, und haben es nun einfach satt, weiter bevormundet zu werden. Sie werden uns befreien, uns Männer, die wir sie nicht genügend wertgeschätzt und nicht zu ihnen gehalten haben,“ sagte er.

Dann sprach er von meiner Mutter: „Parvaneh war ein seltenes Juwel in unserer Partei, in unserer Generation. Wir – ihre Weggefährten – räumten ihr nicht den angemessenen Stellenwert ein. Wir waren nicht so weit wie sie. Sie wäre unendlich glücklich, würde sie jetzt leben.“

Den Mullahs die Turbane vom Kopf schlagen

Die hoffnungsfrohe Euphorie, die mit diesem Aufstand einhergeht und in unterschiedlichen Gesprächen mitschwingt, besitzt aber auch eine tragische Kehrseite. Angesichts der perfiden Gewalt, die das Regime einsetzt, um den Aufstand zu zerschlagen, erlebt man eine unbändige Wut, Entsetzen, sogar Hass. Nicht nur die Zuversicht, auch diese geballte Wut liegt in der Luft.

Die „Sicherheitskommandos“ sind zu kriminellen Schlägertrupps mutiert. Sie erschießen und erschlagen wehrlose Menschen, sogar Kinder, randalieren in Straßen und Gassen, wo die Rufe nach Freiheit laut werden, zerstören geparkte Autos und Motorräder, attackieren Häuserfassaden und zerschlagen Fensterscheiben. Immer wieder kursieren Berichte über Misshandlungen und Vergewaltigungen als angeordnete Strafmaßnahmen an jungen Aufständischen, und darüber, dass ihnen Medikamente verabreicht werden, die psychische Zusammenbrüche bewirken. Beim Anblick der vermummten, gepanzerten Gestalten, die die Staatsmacht repräsentieren und wild und manisch um sich schlagen, aber auch beim Blick der alten Prediger, die mit ihren niederen und vulgären Argumenten zu diffamieren versuchen, muss ich zunehmend an die aus der Zeit gefallenen Untoten denken.

Als ich am Dienstagnachmittag nach dem Besuch des alten Freundes meiner Eltern durch unser Viertel lief, packte mich wieder die Euphorie. Es war der erste Tag eines dreitägigen Streiks; die Geschäfte waren flächendeckend geschlossen.

Wenn ich in Teheran bin, öffne ich jeden Donnerstagnachmittag die Tür meines Elternhauses für Besucher. Über die Jahre bildete sich mit diesem Ritual eine Gemeinschaft heraus, die das Haus zu diesem Anlass mit Leben erfüllt. Es sind Regimekritiker, Angehörige der Hingerichteten aus vergangenen Jahrzehnten, Ex-Häftlinge, Frauenrechtler*innen, Journalist*innen und Kulturschaffende, die unter ständiger Beobachtung der Kontrollorgane stehen. Sie kamen zahlreich und es herrschte ein großer Gesprächsbedarf. Neben der anhaltenden Begeisterung für den Aufstand und die Generation X als dessen treibende Kraft wurden gemeinsam auch Differenzen und Bedenken angesprochen und diskutiert.

Wie stehe man zu den jungen Aufständischen in der Straßenschlacht, die im Unterschied zu ihren Vorgängern gegen die Sicherheitskräfte zurückschlagen? Wie stehe man zu diversen obszönen Schimpfworten, die als politische Parolen zunehmend populär werden? Oder zu der Aktion, den Mullahs die Turbane vom Kopf zu schlagen? Werden solche radikalen Tendenzen den Aufstand in eine Spirale der Gewalt führen? Wie beurteile man die Rolle der Exil-Sendungen und Exil-Oppositionellen, die die Repräsentation des Aufstandes in der Weltöffentlichkeit mitbestimmen? Ob die Gefahr bestehe, dass sie sich als Anführer der Bewegung profilierten, den wertvollen Prozess, der im Lande im Gange sei, in die Irre führten, um diesen für ihre eigenen machtpolitischen Ziele zu missbrauchen?

Die Meinungen hierzu gingen stark auseinander. Doch herrschte zugleich ein deutlich spürbarer Zusammenhalt: ein starkes Wir-Gefühl, eine Einheit gegen das Regime. Ich hatte schon vor Ort den Eindruck, dass dieser Zusammenhalt die Unterschiede nicht verschweigen und negieren möchte. Eher im Gegenteil: Die Diversität des WIRs wird geschätzt, ja beschützt.

Als ich die Runde nach der Möglichkeit einer Versammlung am Todestag meiner Eltern frage, erhalte ich keine eindeutige Einschätzung. Sie alle würden kommen, ob erlaubt oder verboten, wurde mir versichert.
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