Neun Frauenstimmen
In ihrem neuen Buch porträtiert die deutsche Journalistin Golineh Atai neun Iranerinnen – und zeichnet so das Bild der Lage der Frauen im heutigen Iran.
Von Fahimeh Farsaie
Ihr Blick ist zum Horizont gerichtet, entschieden und nachdenklich. Die geballte Faust deutet ihren starken Willen zum Kampf für die Freiheit an. Das lange Kopftuch bedeckt ihre schwarzen Haare nicht, sondern ist um den Hals gewickelt: Der Umschlag des Buches der deutsch-iranischen Journalistin Golineh Atai ist zwar in altmodisch anmutendem Agitprop-Stil gestaltet, spiegelt damit aber den aktuellen Zeitgeist der Botschaft ihres Werkes „Iran – Die Freiheit ist weiblich“ bildhaft wider. Der Titel ist in Rot gedruckt.
In ihrer neuen Publikation setzt sich die ehemalige ARD-Korrespondentin zum Teil in Interviewformaten mit dem Leben und Leiden von neun iranischen Frauen und Aktivistinnen auseinander, die sich in den vergangenen Jahren hoffnungsvoll für gesellschaftliche Veränderungen im Iran eingesetzt haben. Alle waren harten Repressalien und großen Enttäuschungen ausgesetzt. Sie berichten Atai unter anderem von den staatlich geförderten Mechanismen, die seit etlichen Jahren die Korruption und Unterdrückung im Iran ermöglichen. Vor allem sprechen sie über die in den islamischen Gesetzen verankerten Druckmittel gegen die Zivilgesellschaft, die die Menschenrechtsverletzungen der Justizbehörden und der Polizei legitimieren. Da einige der Interviewten als Funktionärinnen dem reformistischen Flügel des islamischen Machtapparats dienten, schildern sie auch die schmutzigen Machtkämpfe hinter den Kulissen, deren Opfer sie später selbst geworden sind.
Atais neun Interviewpartnerinnen kommen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten, haben verschieden religiös ausgeprägte Weltanschauungen und Sozialisationen. Dennoch ähneln sie sich in vielen Punkten: Sie haben Widerstand geleistet, Mut zur Dissidenz gezeigt – und daher hat das Regime sie seelisch und körperlich brutal misshandelt. Doch das ist noch nicht das Ende vom Lied: Sie fühlen sich nun immer noch schutzlos und von ihren eigenen Freund*innen, Mitstreiter*innen und Weggefährt*innen allein gelassen.
„In ihr Leben hineinblicken“
Dass ausgerechnet Golineh Atai sich für das Schicksal iranischer Frauen interessiert, ist nicht selbstverständlich: Sie hat den Iran als Fünfjährige mit
ihrer Familie verlassen und nach ihrem Politologie-Studium als Journalistin fast überall in der Welt gearbeitet – außer in ihrem Herkunftsland. Trotzdem ist der Iran ihr ein Herzensthema geblieben. Ihre Motivation, ihr zweites Buch dem Iran zu widmen, war vor allem von einer Frage getrieben: Sie wollte herausfinden, aus welchen Beweggründen diese Frauen sich gegen den Gottesstaat der Mullahs auflehnen; gegen ein Regime, das seit mehr als vierzig Jahren das Land im Griff hält und jede demokratische Regung mit Verhaftung, Vergewaltigung, Folter, langjährigen Haftstrafen und Todesurteilen erstickt. Atai wollte „in ihr Leben hineinblicken, ihre Entscheidungen nachzeichnen und ihren Weg verfolgen“ (S. 319).
Sind ihre Beweggründe auch für die deutsche Leserschaft nachvollziehbar? Denn die Autorin mutet den westlichen Leserinnen und Lesern viel zu: Das Buch beschreibt nicht nur die geschichtlichen, soziologischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im heutigen Iran; es zeichnet auch herzzerreißende Storys über Inhaftierung, Gewaltausübung, verbale und physische Erniedrigung auf, die die Frauen ausnahmslos am eigenen Leib erfahren mussten. „Ja“, lautet Atais kurze Antwort. Denn „kaum jemand in Deutschland kann sich vorstellen, wie Frauen im Iran gedemütigt werden, mit welchen Mitteln sie gebrochen werden,“ sagte sie im SWR2. „Ich wollte den westlichen Leser, den deutschen Leser direkt damit konfrontieren.“ Es ist ihr zweifelsohne gelungen.
Eine Familiengeschichte
Atai lässt die deutsche Leserschaft gleichzeitig auch in ihr eigenes Leben hineinblicken. So beginnt das Buch mit einem für ihre Familie entscheidendem Ereignis: die Flucht aus dem Iran, nachdem die Mutter am 8. März 1980 an einer Demonstration gegen die Abschaffung der Frauenrechte teilgenommen hatte. Sie wollte nicht, dass ihre Tochter in einem Land aufwächst, in dem Frauen kein selbstbestimmtes Leben führen dürfen, und floh mit ihr nach Deutschland. Damals hatten die Demonstrantinnen gerufen: „Die Freiheit der Frau ist die Freiheit der Gesellschaft“. Die Parole ist heute noch aktuell.
Wahlfälschung auf Rekordniveau
Deshalb gingen die Frauen in Atais Buch und ihre Mitstreiter*innen auch 2009 wochenlang in Teheran und in anderen Städten gegen das Wahlergebnis der Präsidentenwahl auf die Straße. Denn sie hatten Mir Hossein Moussawi, den Kandidaten der „Grünen Bewegung“, gewählt. Am Ende wurde aber der damalige Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinedschad zum Sieger erklärt. Sie vermuteten eine Wahlfälschung auf Rekordniveau. Viele Geschichten der Frauen im Buch kreisen um diese Zeit. Sie erzählen dabei von ihren Aktivitäten in der „Grünen Bewegung“ und von ihren Hoffnungen, die mit der staatlichen Gewalt zerschlagen wurden.
Enttäuschte Hoffnung
Shiva Nasi Ahari ist eine der Demonstrantinnen, die Golineh Atai porträtiert. Sie war 2009 Studentin und Gründerin einer Gruppe von „Menschenrechtsreporterinnen“. Ahari erzählt Atai von der Solidarität der Menschen bei den Protestmärschen: „Die Grüne Bewegung und die Hoffnungen auf die Reformer wollte ich keine Sekunde verpassen. Ich ging abends von meiner Arbeit in einem Ingenieurbüro direkt auf die Straße. Du konntest nicht fahren, so voll war es! […] Die Leute hielten an, hörten uns zu, machten uns Mut und klatschten für uns.“ Doch 2010 löste sich die Bewegung auf – nachdem das klerikal-diktatorische System unzählige Demonstrant*innen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt hatte. Eines der bekanntesten Opfer bei den Kundgebungen war die Philosophiestudentin Neda Agha-Soltan, die am 20. Juni 2019 hinterrücks erschossen wurde.
Die breite Palette von Gegner*innen
Atai porträtiert in ihrem Buch nicht nur junge und gebildete Frauen, sondern auch solche, die ihr Recht auf Bildung erkämpfen mussten. Etwa Fatameh, die Tochter eines Geistlichen, die sich mit der Zeit zunehmend von der Religion entfernte und dadurch zur Oppositionellen wurde. Die Geschichte einer jungen, regierungsnahen Angestellten, die mitten in Teheran ihr Kopftuch auszog und damit 2018 die Protestaktion der „Töchter der Revolutionsstraße“ auslöste, ist besonders beeindruckend. Dass die Witwe eines Märtyrers jahrelang um das Erbe ihres Mannes kämpfen musste, und wie gesellschaftskritische Frauen in der sunnitischen Provinz im Iran verfolgt werden, wird im Buch ebenfalls thematisiert.
Unverschleierte Frauenaktivistinnen werben im Teheraner Metro für die Rechte der Frauen am internationalen Frauentag und riskieren damit hohe Haftstrafen:
Was bleibt?
Die Video-Interviews hat die Autorin 2020, zum Teil während der ersten Phase der Coronapandemie, mit den neun Frauen geführt. Was ist mittlerweile aus den mutigen Frauen geworden? Bevor Atai das Manuskript ihres 319-seitigen Buchs dem Rowohlt-Verlag in Berlin übergab, setzte sich die Autorin noch einmal mit ihnen in Verbindung und erfuhr: „Die Eine ist in Kanada angekommen, die Andere hat gerade ihren dritten Hungerstreik begonnen. Die Dritte musste in eine billigere Wohnung umziehen, die Vierte hat sich immer noch nicht von Corona erholt, die Fünfte lebt weiter mit der Angst, auf der Straße geschnappt und entführt zu werden. Die eine setzt weiter Zeichen am Grab ihres Sohnes. Die andere fragt sich, wann ihnen allen der letzte Rest Luft zum Atmen genommen wird: jener Moment, in dem der Zugang des Iran zum weltweiten Netz abgeschnitten wird. Sie alle blicken bange auf ihre afghanischen Schwestern.“ (S. 319)
„Iran – Die Freiheit ist weiblich“ ist ein beeindruckendes, informatives und lesenswertes Buch, besonders für westliche Politiker*innen und Diplomat*innen, die die Reaktivierung des Atomabkommens mit dem Iran für notwendig halten. Als Gesprächspartner*innen und Koordinator*innen am Verhandlungstisch mit der iranischen Delegation entscheiden sie auch über das Schicksal der Menschen im Iran.
Wenn ihnen ihre Verantwortung in Sachen Menschenrechtsverletzungen bewusst wäre, könnten sie viel aus der gegenwärtigen Geschichte des Landes, die Golineh Atai anhand der Porträts in ihrem Buch schildert, lernen. Vorausgesetzt, dass Gespräche über die Existenzberechtigung iranischer Frauen nicht wie die ihrer afghanischen Schwestern schon längst hinter den Kulissen geführt und Deals gegen ihre Rechte abgeschlossen wurden.♦
© Iran Journal
„Iran – Die Freiheit ist weiblich“, Golineh Atai, Rowohlt, 319 S., Erscheinungsdatum: November 2021
Diese Beiträge können Sie auch interessieren: