Schonungslose Weiblichkeitsbilder

In ihrer Dissertation untersucht die Germanistin Somaiyeh Mohammadi Weiblichkeitsbilder in den Romanen deutschsprachiger Autorinnen iranischer Herkunft. Trotz zwiespältiger Ergebnisse ein lesenswertes Buch, meint Iran Journal-Autorin Fahimeh Farsaie, deren Romane ebenfalls zu den untersuchten gehören.

Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse stellten mehr als 7.000 Aussteller aus rund 100 Ländern über 400.000 Buchtitel und Grafiken sowie digitale Medien wie Hörbücher und E-Books aller Themen vor. Mit einem solch gewaltigen Überschuss an Kunst und Literatur ist es nicht verwunderlich, wenn viele Veröffentlichungen unbeachtet bleiben und von Einzelpersonen nicht wahrgenommen werden.

Anders müsste der Fall eigentlich liegen, wenn man selbst Schriftsteller:in ist und in einer Neuerscheinung erwähnt wird oder sogar die eigenen Werke dort besprochen werden. Das ist mir vor Kurzem passiert: Zwei von meinen sieben Romanen wurden in einer Studie zu Literatur und Geschlecht von der Autorin Somaiyeh Mohammadi besprochen, und ich habe – unabsichtlich – keinerlei Notiz von ihrer Veröffentlichung genommen.

Ein Zufall

Das Buch* wäre mir vielleicht weiterhin unbekannt geblieben, wenn die Leitung der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) mich nicht im September dieses Jahres zu einer Podiumsdiskussion eingeladen hätte, die im Rahmen des Hafis-Goethe-Dialogs in Weimar stattfand. Da erfuhr ich, dass Somaiyeh Mohammadi in ihrer von der KAS geförderten Doktorarbeit nicht nur meine jüngsten Romane, sondern auch die Werke von fünf weiteren Autorinnen rezensiert hatte: die Bücher von Shirin Kumm, Sudabeh Mohafez, Shani Katayun, Noshin Shahrokhi und May Atashkar. Meiner Kenntnis nach ist Mohammadis fast 300-seitiges Buch die erste umfassende Dokumentation zeitgenössischer Romane von deutschsprachigen Schriftstellerinnen iranischer Herkunft.

Literatur fördert Vor-Urteile

Nicht nur ihre Auswahl, sondern auch die einzigartige Betrachtungsweise der Autorin macht die Studie überraschend. Mohammadi stellt dabei zwei Hypothesen vor. Die erste geht von der bewussten „Stereotypisierung des Iran“ in den Texten der untersuchten Autorinnen aus. Die zweite besagt, „dass diese auf die stereotypen Urteile der Öffentlichkeit reagieren, die den Autorinnen als Erwartung bzw. Anspruch entgegenstehen“. Laut dem Klappentext im Buchumschlag deshalb, weil „die Werke dieser Autorinnen politische Maßstäbe des Gastlands antizipieren und so letztlich literarische Fiktion der öffentlichen Beglaubigung politischer Vor-Urteile dient.“ Folglich tragen in diesem Zusammenspiel die Autorinnen und Rezensent:innen die Hauptverantwortung.

Mit solchen Bildern werben Islamisten für Ihr Idealbild der Frau - Foto: mashreghnews.ir
Mit solchen Bildern werben Islamisten für Ihr Idealbild der Frau – Foto: mashreghnews.ir

Der Aufbau der Studie

Um diese Thesen zu belegen, beginnt Mohammadi im ersten Kapitel mit der Erörterung der Geschichte des Iran in den vergangenen 100 Jahren. Dabei setzt sie sich unter anderem mit der historischen Rolle der Frau in der Zeit der Konstitutionellen Revolution und mit der weiblichen Autorinnenschaft in der Pahlavi–Dynastie sowie nach der islamischen Revolution 1979 auseinander. Im vierten und fünften Kapitel definiert sie die für ihre Hypothesen relevanten Begrifflichkeiten wie „Stereotyp“ und „Vorurteil“ sowie „Orientalismus und Neu-Orientalismus im deutschen Diskurs“. Ausgehend von den Thesen Edward Saids vertritt auch sie die Ansicht, dass das westliche Bild des Orients voller unbewusster Vorurteile und Verzerrungen sei, die der Realität nicht gerecht würden.

Romane und ihre Rezeption

Um zum zweiten Teil des Buches mit dem Titel „Literaturanalysen“ zu gelangen, beschreibt die Autorin vorab die Lage der iranischen Migrant:innen in Deutschland. Sie widmet sich später der Analyse der Prosatexte von „Royadesara“ (Kumm), „Vor Allahs Thron“ (Mohafez), „Augen in Teheran“ (Katayun), „Unerfüllte Träume einer Iranerin“ (Shahrokhi), „Ein Himmel tausend Sterne“ (Atashkar) und meiner Romane „Hüte dich vor den Männern mein Sohn“ und „Eines Dienstags beschloss meine Mutter Deutsche zu werden“.

Es geht in den Büchern, die ab dem Jahr 2000 in deutschen Verlagen publiziert wurden, vor allem um die Themen Familie, Heimat, Glaube, Tradition, Politik und Leben in einer fremden Kultur. Geschildert wird jeweils zuerst der Inhalt des Romans und dann die Rezeption in den deutschen Medien.

Die autobiografische Lesart

Obwohl die erwähnten Bücher in verschiedenen Genres und diversen Stilen geschrieben worden und in der Darstellung ihrer (Frauen-) Figuren unterschiedlich sind, neigt die Autorin dazu, die autobiografisch anmutenden Züge hervorzuheben und ihre Analyse nach dieser Lesart zu richten, auch wenn der Ich-Erzähler – wie in „Hüte Dich vor den Männern ..“ ein 15-jähriger Junge ist oder die Geschichte aus der Sicht einer Nachfolgerin zweier Migrantengenerationen iranischer Herkunft erzählt wird („Eines Dienstags…“).

Nach Mohammadis Interpretation spielen Schriftstellerinnen bei der „Stereotypisierung des Iran“ eine primäre Rolle: „Die Autorinnen inszenieren sich dabei als glaubwürdige Zeitzeugen der iranischen Verhältnisse allgemein, der iranischen Menschen, ihrer alltäglichen und politischen Kultur und ihrer Religion. Dieser unmittelbare Zeitbezug schlägt sich in den Handlungen und Motiven nieder. (…) Sie beanspruchen, dass ihre Romane einen wahren Einblick in die historisch-gesellschaftlichen Verhältnisse des Iran geben“. In dem Kontext würden die Autorinnen als „native Informanten“ von der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen, deren Erzählungen zum zeitgenössischen Stereotyp des Westens vom Nahem Osten passen: So entsprächen die Frauenbilder in diesen Werken häufig dem Bild der „verführerischen Orientalin“ oder der „unterdrückten Frau“.
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