Proteste im Iran: „Aufräumen“ an den Hochschulen

Bewährte aber regimekritische Universitätsdozent*innen werden entlassen, Neuanstellungen sorgen für Überraschung und Unmut: Das islamische Regime gestaltet die Hochschulen des Landes offenbar noch strenger nach seinen Vorstellungen um. Experten schlagen Alarm.

Von Iman Aslani

Zweiundfünfzig weitere Entlassungen: Mit dieser kurzen Nachricht löste die Teheraner Tageszeitung Etemad Ende August eine Welle der Empörung aus. Damit hatte die Zeitung die Liste der Universitätsdozent*innen vervollständigt, die im Iran in den vergangenen Jahren ihrer Ämter enthoben wurden. Seit 2005 seien mindestens 157 Universitätsdozent*innen entlassen, suspendiert oder zwangspensioniert worden, fasste Etemad zusammen.

Die Welle der Entlassungen setzte sich auch im September fort. Betroffen sind unter anderem Dozent*innen, die während der landesweiten Unruhen nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Herbst 2022 eine regimekritische Haltung gezeigt, die Proteste und protestierende Studierende unterstützt oder den politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Kurs der Raisi-Regierung angeprangert haben. Deshalb sehen Experten in den Entlassungen ein klares Signal einer neuen „Säuberung“ des Hochschulwesens.

In den wenigen offiziellen Entlassungsbescheiden, die in den vergangenen Wochen in den Sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden, werden die Maßnahmen mit wissenschaftlichem Fehlverhalten, dem Auslaufen eines Beschäftigungsvertrags oder auch mit fehlender Fachkompetenz begründet.

Manchen der Dozent*innen, etwa zwei Psychologinnen an der Teheraner Allameh-Tabatabai-Universität, wurde ihre Entlassung nach eigenen Angaben nicht schriftlich, sondern lediglich am Telefon mitgeteilt. Eine von ihnen, Ameneh Aali, bestätigte in einem Interview, dass sie an den Protestaktionen des vergangenen Jahres teilgenommen, Petitionen unterschrieben und protestierende Studierende unterstützt habe.

Somayeh Sima, eine Dozentin der Teheraner Tarbiat-Modarres-Universität, teilte am vergangenen Wochenende indirekt mit, dass sie entlassen worden sei, weil sie sich gegen „Mitläuferschaft“ entschieden habe.

An der Allameh-Tabatabai-Universität in Teheran wurde an den von den "Sicherheitskräften" getöteten Kindern im Iran gedacht - Foto vom November 2022
An der Allameh-Tabatabai-Universität in Teheran wurde an den von den „Sicherheitskräften“ getöteten Kindern im Iran gedacht – Foto vom November 2022

Loyalität über Qualität

Währenddessen drangen in den vergangenen Wochen Einzelheiten eines Regierungsplans in die Öffentlichkeit, nach dem 15.000 neue Lehrkräfte an den Universitäten und Hochschulen eingestellt werden sollen. Die Meldungen wurden zwar nicht bestätigt, aber seitens der Regierung bislang auch nicht dementiert.

Bestätigt wurde dagegen die Einstellung des „Maddahs“ Said Haddadian an der Teheraner Universität. Ein „Maddah“ ist ein Trauersänger, der religiöse Lieder auf Massenveranstaltungen performativ vorträgt. Umso größer waren Erstaunen und Fassungslosigkeit in den Sozialen Netzwerken, als am vergangenen Montag Haddadians Lehrauftrag bekannt wurde: Er wird Dozent für persische Literaturtexte im Masterstudium. Said Haddadian tritt zu religiösen Anlässen unter anderem vor dem geistlichen Oberhaupt der Islamischen Republik, Ali Khamenei, auf. Er gehört zu den treuesten und engsten politischen Kreisen innerhalb des Regimes.

Ebenfalls bestätigt wurde die Beschäftigung zweier umstrittener Fernsehmoderatoren als Dozenten an der Eliteuniversität Sharif in Teheran.

„Prominente Dozent*inne werden entlassen, weil sie für die Unruhen des vergangenes Jahres verantwortlich gemacht werden“, resümiert Ali Rabii, einst Arbeitsminister in der Regierung Hassan Rouhanis, am vergangenen Wochenende in einem Beitrag in der Tageszeitung Etemad. „Ihre Stellen treten inkompetente, aber angeblich loyale Kräfte an.“

„Katastrophale Folgen“
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