Zuwachs der Zusammenschlüsse unter Diaspora-Iraner*innen

Die Zahl der Zusammenschlüsse unter Iraner*innen in der Diaspora wächst, ebenso wie die Zahl der Veranstaltungen, die zum gemeinsamem Kampf gegen die Islamische Republik aufrufen. Das aktuellste Beispiel: die „Veranstaltung marginalisierter Minderheiten unter den Frauen“ in Berlin.

Eine der Folgen der revolutionären Bewegung unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ im Iran ist der Zusammenschluss unterschiedlicher oppositionellen Gruppen und Persönlichkeiten innerhalb und außerhalb des Landes. Gemeinsame Veranstaltungen oder die Herausgabe gemeinsamer Erklärungen von Gegner*innen und Kritiker*innen der Islamischen Republik in der Diaspora hatten bis zum Tod von Jina (Mahsa) Amini im September letzten Jahres Seltenheitswert. Doch seitdem vergeht kaum eine Woche, in der nicht virtuelle oder Live-Veranstaltungen stattfinden.

Die aktuellste Zusammenkunft fand am Sonntag, dem 25. Februar in Berlin statt. Eine Gruppe namens „Komitee der revolutionären Aktion der Frauen“ hatte unter dem Motto „Marginalisierte Minderheiten unter den iranischen Frauen“ zu dem Treffen eingeladen. Auf dem Programmblatt stand „Creating Unity in Diversity“. Tatsächlich hätten die Teilnehmerinnen nicht unterschiedlicher sein können, doch eins verband sie: ihr Kampf gegen Diskriminierung, staatliche wie gesellschaftliche.

Die 12 Referentinnen gehörten der LGBT+-Community und ethnischen sowie religiösen Minderheiten an. Auf dem Podium saß auch die afghanische Aktivistin Tahereh Sadjadi, per Video nahm Tuba Pourzad teil. Pourzad kämpft für die Rechte der Taubstummen. Sie erzählte von den Leiden und Herausforderungen einer queeren taubstummen Iranerin.

Shadi Amin, die Moderatorin der Sitzung und Koordinatorin der Organisation 6Rang, betonte im Gespräch mit dem Iran Journal die Wichtigkeit solcher Zusammenkünfte: „Wir haben durch diese und andere Treffen erfahren, dass eine große Bereitschaft für solche Zusammenschlüsse vorhanden ist. Wir werden dieses Netzwerk aufrechterhalten und andere Sitzungen organisieren.“ Was daraus werde, „hängt von den Ergebnissen unserer Meinungsaustausch ab“, so Amin.  

Sie weist auch darauf hin, dass demokratische Prozesse „etwas mehr Zeit“ brauchen und „wer auf die Schnelle zum Ergebnis kommen will, wird nicht weit kommen. Wir brauchen tiefgründige Diskussionen über die Zukunft“.

“Payam dadkhahi” – Gerechtigkeitserklärung

In den letzten Tagen machte eine gemeinsame Erklärung von mehr als 80 iranischen Menschenrechtsaktivist*innen, Autor*innen, Wissenschaftler*innen und Mitgliedern der Familien der Opfer von staatlicher Gewalt im Iran im Internet die Runde. Zu den Unterzeichner*innen gehören im Iran inhaftierte Menschenrechtlerinnen wie Nasrin Sotoudeh und Narges Mohammadi genauso wie bekannte Oppositionelle und Künstler*innen in der Diaspora – wie etwa Parastou Forouhar.

Die Angehörigen der hingerichteten politischen Gefangenen im Sommer 1988 besuchen regelmäßig die Massengräber ihrer Kinder im Khavaran-Friedhof
Die Angehörigen der hingerichteten politischen Gefangenen im Sommer 1988 besuchen regelmäßig die Massengräber ihrer Kinder im Khavaran-Friedhof

Sie klagen in ihrer Erklärung, die zugleich eine Selbstverpflichtung ist, „Terror, Inhaftierung, Folter, Hinrichtung und andere Formen der Gewalt, die von der Islamischen Republik Iran ausgehen“ an. Sie warnen vor dem „Verschleiern der Wahrheit unter Bezeichnungen wie Nationale Versöhnung oder Wiederherstellung von Frieden und Demokratie, dem Löschen des Gedächtnisses der Menschen und der Geschichte“. Denn das führe nur dazu, dass sich vergangene Ereignisse wiederholten.

Die Unterzeichner*innen bekennen sich zur „Einhaltung aller internationalen Konventionen und Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte“ und fordern unter anderem die Abschaffung der Todesstrafe, Rechtsstaatlichkeit und Kooperation mit nationalen und internationalen Institutionen zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen im Iran.

Erklärung der politischen Gefangenen

20 Frauen, die entweder noch in Haft sitzen oder vor Kurzem freigelassen wurden, haben vor einigen Tagen in einer gemeinsamen Erklärung die Freilassung aller politischen Gefangene gefordert. Insbesondere verlangen sie die Entlassung von Umweltaktivist*innen, die seit Jahren unter fadenscheinigen Vorwürfen wie „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ und „Zusammenarbeit mit feindlichen Staaten“ inhaftiert seien.

Die Unterzeichnerinnen gehören unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und politischen Richtungen an. Zu ihnen gehört etwa die religiöse Frauenrechtsverteidigerin Faezeh Hashem, Tochter des verstorbenen einflussreichen Geistlichen Akbar Hashemi Rafasanjani, aber auch die Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammadi und die Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi. 

Umweltschützer, Im Iran verurteilte Umweltschützer*innen
Im Iran verurteilte Umweltschützer*innen

Am Ende ihrer Erklärung schreiben die 20 Frauen, dass sie ungeachtet politischer und ideologischer Differenzen auf Standards und Prinzipien der Menschenrechte bestehen: „Wir glauben, dass die Freiheit der iranischen Umweltaktivist*innen und -expert*innen Sepideh Kashani, Niloufar Bayani, Homan Jokar, Sam Rajabi, Morad Tahbaz, Amirhossein Khaleghi, Taher Qadirian und all der Unschuldigen, die in den Gefängnissen inhaftiert sind, unerlässlich ist.“

Bewegung auch unter den politischen Parteien

Nicht nur bei Einzelpersonen oder Initiativen, sondern auch bei manchen demokratisch gesinnten politischen Parteien und Organisationen von Iraner*innen im Ausland hat die revolutionäre Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ zur Einigung geführt.

Die aktuellste Koalition bildeten die „Verfassungspartei“, der „Übergangsverwaltungsrat“ und der „Nationale Entscheidungsratin der vergangenen Woche. Die „Verfassungspartei“ ist eine monarchistische Partei und strebt nach der Schaffung eines Systems nach dem Vorbild der europäischen Monarchien im Iran. Die beiden „Räte“ sind nach eigenen Angaben Zusammenschlüsse von Hunderten demokratisch gesinnter politischer Aktivist*innen, die innerhalb und außerhalb des Iran leben.

In ihrer ersten gemeinsamen Erklärung schreiben die Mitglieder dieser Koalition, dass sie beabsichtigen, „die notwendige Grundlage für die breite Zusammenarbeit aller unterschiedlichen demokratischen Kräfte bereitzustellen, die zum Sieg der Frauen-Leben-Freiheit-Revolution führen soll“. Sie betonen, dass „die Hauptlast des Kampfes“ auf den Schultern der Kräfte innerhalb des Landes liege. Deshalb bemühten sie sich, sich mit ihnen abzustimmen, „um die größtmögliche nationale Koalition zur Überwindung des islamischen Faschismus und zur Errichtung der Demokratie zu bilden.“

Die Anhänger*innen des Regimes und ein Teil der Opposition sehen in den neuen Zusammenschlüssen die Gefahr der gesellschaftlichen Spaltung im Vielvölkerstaat Iran, die zu einem Bürgerkrieg oder Autonomiebestrebungen führen könnte. Doch gerade solche Koalitionen bilden die Grundlage eines künftigen demokratischen Irans. Die Iraner*innen hatten nie die Möglichkeit, am Demokratisierungsprozess ihres Landes teilzunehmen. Nun scheint die Zeit gekommen zu sein.

(ds, fp)

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