Eine Theokratie als „Global Player“
In seinem Buch „Großmacht Iran – Der Gottesstaat wird Global Player“ attestiert Henner Fürtig, Direktor des GIGA Instituts für Nahost-Studien, der Islamischen Republik eine verheißungsvolle Zukunft als wichtigste Regionalmacht im Nahen Osten. Miriam Abdollahi hat es gelesen.
„Der Schlüssel für Frieden in Europa liegt in Teheran. Ohne Iran ist weder der IS zu stoppen, die Flüchtlingswelle aufzuhalten noch der endlose Nahost-Konflikt zu lösen“, ist dem Klappentext des jüngsten Werks von Henner Fürtig zu entnehmen.
Ausgangspunkt für seine Thesen ist das Atomabkommen mit den USA. Dadurch sei eine Großmacht entfesselt worden, deren Einfluss und Bedeutung bislang durch das internationale Sanktionsregime im Zaum gehalten wurde. Anlässlich des historischen Deals, der seit der Islamischen Revolution 1979 die erste wirkliche Annäherung zwischen dem Westen und dem Iran bedeute, ist es nach Ansicht des Nahost-Experten nunmehr an der Zeit „für einen frischen Blick auf dieses so vielfältige und oft missverstandene Land“.
In diesem Sinne begibt sich Fürtig abseits gängiger Negativdarstellung und moralpolitischer Regimekritik auf den Weg einer nüchternen und sorgfältigen Bestandsaufnahme sowie Analyse der Geschichte der Islamischen Republik, seines Regierungssystems, seiner Sozial- und Wirtschaftsstruktur und seiner außenpolitischen Interessen und Beziehungen.
Iran – der wiedererstarkte Riese
Angefangen mit Kyros II beschreibt er zunächst auf wenigen Seiten die lange Geschichte der persischen Dynastien bis zur Islamischen Revolution 1979, um aus dieser historischen Kontinuität das bis heute währende Selbstverständnis Irans als Großmacht abzuleiten.
So erleuchtend der Blick in die iranische Geschichte sein kann, so anspruchsvoll ist es, diese auf 50 Seiten leserfreundlich darzustellen. Mit durchschnittlich fünf Jahreszeilen auf jeder Seite, lesen sich die ersten Kapitel bisweilen wie Auszüge aus einem Geschichtslexikon. Aufgrund der überwiegend sachlich-deskriptiv gehaltenen Passagen, bleibt Fürtig in diesem Teil einer analytischen und bewertenden Positionierung zumeist fern.
Der Hauptteil beginnt mit der Iranischen Revolution. Hier geht Fürtig in die Tiefe. Er beschreibt mit Liebe zum historischen Detail den Lebensweg Khomeinis und seiner Weggefährten. Er taucht ein in die revolutionäre Philosophie des Ayathollas und dessen Vision von einem gerechten Gottesstaat.
Mythos Khomeini
Tatsächlich kann Fürtig die Bedeutung Khomeinis für den Iran nicht hoch genug veranschlagen, wenn er schreibt: „Gegenüber den Zwölf Imamen hatte Khomeini sogar noch den Vorteil, erfolgreich gewesen zu sein, das heißt, am Ende der Leidensgeschichte zu triumphieren und eine der wenigen echten sozialen Revolutionen der Neuzeit angeführt zu haben“.
Der Nahost-Experte würdigt auch Khomeinis „große strategische Weitsicht“ und „politische Führungsqualitäten“. Dieser wollte ein System der „lückenlosen gegenteiligen Kontrolle“ schaffen im „innovativsten Experiment islamischer Staatsgestaltung“.
Zwar beschreibt Fürtig detailliert und differenziert die politischen Strukturen und Machtbeziehungen im religiös legitimierten Herrschaftssystem nach 1979. Allerdings erwähnt er die Menschenrechtsverletzungen und Repressionen gegen die Opposition nur am Rand, was nicht zuletzt der realpolitischen Perspektive des Autors geschuldet ist.
Dadurch lässt er jedoch u.a. die Situation der iranischen Frauen nach der Revolution außer Acht; die erheblichen Einschränkungen der Frauenrechte werden von Fürtig nur in einem Satz erwähnt, um Seiten später ausführlich auf die relativ gute Stellung der Frauen im Arbeits- und Bildungssektor der Islamischen Republik einzugehen.
Diese inhaltliche Gewichtung zieht sich durch das gesamte Buch: von der „extrem ungünstigen“ Lage der Opposition über „den generell hohen Stellenwert des Wahlrechts“ bis hin zur Bildungspolitik, für die die iranische Regierung fast 22 Prozent ihres Budgets verwendet.
Fürtig zeichnet das Bild einer stabilen Großmacht, dessen baldiger Zusammenbruch nur „politisches Wunschdenken“ sei.
Die Islamische Revolution stellt er analytisch in eine Reihe mit der Französischen und Russischen Revolution und macht das „revolutionäre Sendungsbewusstsein“ zu einem roten Faden seiner Argumentation.
Revolutionen dieser Art und Größe würden bestimmte Verhaltensmuster und Dynamiken in Politik und Gesellschaft auslösen, die sie besonders resistent gegen Bedrohungen von außen wie innen machten.
Aussöhnung mit dem politischen System?
So verwundert es auch nicht, als Fürtig zum Ende hin schreibt: „Im Sommer 2015 schien es jedenfalls so, als sei die Krise von 2009 überwunden und die Mehrheit der Bevölkerung habe sich mit dem System der Islamischen Republik (wieder) ausgesöhnt oder zumindest abgefunden“.
Seine Einschätzung folgt auf ein Zitat aus der iranischen Tageszeitung Shargh, in der die positive Aufbruchsstimmung der iranischen Gesellschaft nach Abschluss des Atomabkommens beschrieben wird. Obwohl das Blatt als reformorientiert gilt und es im Iran laut Fürtig trotz Zensur „erstaunlich lebendige Printmedien“ gibt, ist die Glaubwürdigkeit dieser sehr begrenzt. Immerhin belegt Iran auf der „Rangliste der Pressefreiheit“ von Reporter ohne Grenzen Platz 165 von 180. Regimekritische Journalisten riskieren politische Verfolgung und lange Haftstrafen.
Auch ein Blick auf die Anzahl der vielen Iraner, die seit der „Flüchtlingskrise“ 2015 nach Europa gekommen sind, zeichnet nicht unbedingt das Bild zufriedener Bürger. Sie nehmen heute zahlenmäßig nach den Syrern, Afghanen und Irakern den vierten Platz ein. Leider finden ihre Beweggründe für die Ausreise keinen Platz in Fürtigs Analyse.
MIRAIM ABDOLLAHI
© Qantara
Henner Fürtig: „Großmacht Iran. Der Gottesstaat wird Global Player“, Quadriga Verlag, 288 Seiten, ISBN: 978-3-86995-090-7
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