„Das abendländische Morgenland“

2016 haben deutlich mehr ausländische Journalisten, Geschäftsleute, Touristen und Kulturschaffende den Iran besucht als in den Jahren zuvor. „Freiheitsdrang“ und „Weltoffenheit“ gerade der jungen Iraner verleiten die Besucher häufig zu oberflächlichen Schlussfolgerungen. Beobachtungen von Stefan Buchen.
In fernen Ländern Unerwartetes enthüllen, in von böswilligen Mächten sorgsam abgeschirmte verborgene Welten vordringen: das ist der Stoff, aus dem Entdeckerglück geschmiedet und Reporterträume gemacht sind.
In kein Land brechen in jüngster Zeit so viele deutsche und europäische „Conquistadoren des Unbekannten“ auf wie in den Iran. Auf Wanderungen über den “bösen Felsweg” mühen sie sich dort nicht ab. Auf „des Maultiers hohem Rücken“ sind die Entdecker nicht unterwegs. Vielmehr tun sie sich hervor als Abenteurer des Gesellschaftlichen. Auf dem Wege des „Couchsurfing“ stoßen sie vor zu feucht-fröhlichen Partys, in deren Verlauf junge, nur mit Bikinis bekleidete Frauen in Pools hüpfen.
Im Meer der eintönigen Appartmentblocks von Teheran entdecken sie „Inseln des Hedonismus“. Auf Erkundungstouren durch Shopping-Malls bringen sie „topmodische“ und „durchgestylte“ Schönheiten ans Licht, die viel „Make-Up und Glitzer“ tragen. Das Kopftuch ist stets lässig in den Nacken geschoben. Staunend wird die unbändige „Sehnsucht nach Freiheit“ der iranischen Jugend festgestellt, in populären Reportagebüchern wie „Couchsurfing im Iran“ oder in Artikeln von „Süddeutscher Zeitung“ bis zur „Bild“. Der Reporter der „Welt am Sonntag“ findet, dass „das Morgenland viel abendländischer aussieht als gedacht.“
Gefangen in Klischees
Dass dem Drang nach dem „ungezwungenen westlichen Lebensstil“ finstere „Sitten- und Religionswächter“ im Wege stehen, die jeder Zeit „zuschlagen“ können, sich das lustige Treiben also unter dem Damoklesschwert jahrelanger Kerkerstrafen entfaltet, steigert den Reiz der Recherche und den Aufmerksamkeitswert des publizistischen Produkts.
Wenn „Liebespaare ins Visier der Moralpolizei geraten“, ist die Fallhöhe schwindelerregend hoch. Zumal sich nicht nur die „weltoffenen“ Protagonisten Gefahren aussetzen, sondern auch die Reporter selbst. Da muss heimlich fotografiert und gedreht, da muss sich unter falschen Vorwänden Zugang verschafft, da müssen Datenträger trickreich außer Landes geschmuggelt werden. Man könnte ja auch selbst im Gefängnis landen.

Verbotene gemischte Party in Teheran
Eine „Insel des Hedonismus“ in Teheran

Die jüngste Welle der Begeisterung über das verborgene hippe Persien wurde in diesem Herbst von der Dokumentation „Raving Iran“ ausgelöst. „Elektronische Musik ist in diesem Land verboten“, klären uns die Rezensenten auf. „Ein Film gegen das dunkle, unscharfe Bild vom Osten“, findet ein euphorischer Kritiker.
Die deutsche Regisseurin Susanne Meures war zur Recherche in den Iran gereist, um ihr Abschlusswerk für die Züricher Kunsthochschule zu produzieren. Ihre Helden sind zwei junge Männer, die elektronische Musik auflegen. Die Filmemacherin beobachtet Anush und Arash, wie sie Undergroundpartys veranstalten und wie sie sich mit den Spaßverderbern von der Zensurbehörde herumschlagen. Am Ende landen Anush und Arash, „wie in der Dramaturgie eines klassischen Dramas mit existenzieller Fallhöhe“ (Süddeutsche), als Asylbewerber in der Schweiz.
Staunen über das stets Gleiche
Dort blicken die beiden Iraner dann irgendwann in das Gesicht einer Frau mit kurzen blonden Haaren. „Ich war noch nie im Iran. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man ins Gefängnis gesperrt wird, nur weil man Musik macht“, sagt sie voller Empathie zu den beiden exotischen DJs. In dieser Szene tritt das Zielpublikum in Gestalt der Schweizerin kurz vor die Kamera. Sie verkörpert das ungläubige Staunen, das Werk und Rezeption gleichermaßen antreibt.
Wir staunen anscheinend gern darüber, dass in der obskuren Theokratie Jugendliche nach „einem ganz normalen Leben“ streben. Wie schön ist da obendrein die Vergewisserung, dass den iranischen Jugendlichen „unser westlicher Lebensstil“ als leuchtendes Vorbild und „Zielpunkt der Sehnsüchte“ dient. Wir reden uns ein, dass die jungen Leute mit der „Macht der subtilen Provokation“ (Focus) das „Endstadium der Diktatur“ (Welt am Sonntag) herbeiführen werden. Dabei schrecken wir nicht davor zurück, House-Musik in den Rang einer „Ode an die Freiheit“ (Berliner Zeitung) und den Rave in der Wüste auf die Stufe einer „archaischen Anbetung“ (Frankfurter Allgemeine) zu erheben
Muss man die Schreiber solcher Worte entschuldigen, weil sie vielleicht bekifft waren? Erstaunlicher als alles andere ist die Tatsache, dass westliche Autoren, Reporter und offenbar auch Medienkonsumenten es schaffen, sich zum 1001 Mal für das stets Gleiche zu begeistern. Die „lax sitzenden Kopftücher“, „die immer enger werdenden Mäntel“ und die „unislamischen Vergnügungen der iranischen Jugendlichen“ sind längst Klischees, so beliebt wie einst die iranischen Frauen im Tschador und davor der kluge weise Schah von Persien.
Nicht ohne mein Klischee
Iranreisenden wie der Regisseurin Susanne Meures soll der Mut nicht abgestritten werden. Bei ihrer Arbeit im Iran bringen sie sich in Gefahr, keine Frage. Allerdings wird die andere Seite gern übersehen: inhaltlich und publizistisch erfordern Werke wie „Raving Iran“ überhaupt keinen Mut. Im Gegenteil. Sie bewegen sich auf den ausgetretenen Trampelpfaden des ungläubigen Staunens und der wohltuenden Selbstvergewisserung. Als stünde über den Veröffentlichungen die Devise: „Nicht ohne mein Klischee“.
Man stelle sich einen Reporter des „Neuen Deutschland“ in der ehemaligen DDR vor. In einer Reportage über Obdachlosigkeit in den Vereinigten Staaten konnte er durchaus Zutreffendes beschreiben. Aber erforderte es publizistischen Mut? Wohl kaum, denn er bediente die herrschenden Vorstellungen von der Grausamkeit des Kapitalismus.
Dass die Ironie des „Schleier lüftenden Liebchens“ aus Goethes west-östlichem Diwan ihren kühlenden Schatten bis auf die Gegenwartsberichterstattung über den Orient, speziell über Persien, werfe, wäre wohl zu viel verlangt. Aber etwas mehr Sinn für Erkenntnisfortschritt und ein etwas schärferes Bewusstsein für die Gefahr, sich wiederholend im Kreis zu drehen, darf man wohl erwarten.
Sex and Drugs in der Islamischen Republik
Fortsetzung auf Seite 2