„Das Hijab-Gesetz erniedrigt auch die Männer“
Nasrin Sotoudehs Ehemann Reza Khandan wurde am 13. Dezember festgenommen und befindet sich seither im Evin-Gefängnis. Nasrin Bassiri sprach für das Iran Journal mit der Menschenrechtsanwältin über die Umstände der Festnahme und deren Hintergründe.
Frau Sotoudeh, wie kam es zur Festnahme Ihres Mannes, welche Vorteile versprechen sich die Machthaber gerade in Anbetracht der ereignisreichen und turbulenten Tage davon?
Nasrin Sotoudeh: Reza hatte im Februar 2019 gemeinsam mit seinem Freund Farhad Meysami Broschen herstellt, auf denen stand: „Ich bin gegen Schleierzwang“. Deshalb waren beide festgenommen worden und wurden wegen einer „gemeinschaftlich begangenen Tat“ zu je sechs Jahren Haft verurteilt. Davon sollten sie jeweils fünf Jahre absitzen. Sein Freund Farhad wurde nach viereinhalbjähriger Haft und einem langen Hungerstreik, bei dem er stark abgemagert war, gegen eine Bürgschaft freigelassen.
Mein Mann Reza Khandan war hingegen nach meinem längeren Hungerstreik im Gefängnis schon nach mehrmonatiger Haft entlassen worden. (Die Kinder des Paares waren damals noch relativ klein und wären sonst in Abwesenheit beider Elternteile auf sich allein gestellt gewesen. Die Red.)
Ich will darauf aufmerksam machen, dass Reza genau an dem Tag abgeholt wurde, als Sedigheh Vasmaghi und ich öffentlich gegen das „Gesetz für Hijab und Keuschheit“ protestierten. Das Gesetz war bereits verabschiedet, sollte aber erst einer Überprüfung standhalten und später zum Vollzug freigegeben werden. Doch der Parlamentschef hatte es trotz mehrfach verkündeter Zweifel zum Vollzug freigeben.
Gibt es etwas Neues von Ihrem inhaftierten Ehemann? Wie geht es weiter, handelt es sich um eine Festnahme mit Aussicht auf baldige Freilassung?
Nein, es handelt sich leider nicht um eine kurze Festnahme. Er wurde am Freitag nach der Festnahme zur Polizeistation 138 in „Jannat Abad“ gebracht und am nächsten Morgen ins Evin-Gefängnis überführt. Seitdem befindet er sich in Quarantäne, hat keinen Zugang zu einem Telefon und muss alles, was in der Abteilung A des Evin-Gefängnisses jedem anderen Gefangenen zugänglich ist, entbehren. Bislang bin ich damit konfrontiert, dass ich keine Besuchserlaubnis erhalte. Sowohl auf der Polizeistation wie auch im Evin-Gefängnis bin ich daran gehindert worden, ihn zu sehen, weil ich selbstverständlich nicht bereit war, ein Kopftuch zu tragen. Deshalb wurde mir kein Besuchsrecht gewährt. Das ist eine Herausforderung für uns, aber auch für die Verwaltung des Gefängnisses. Die Gefängnisbehörde hat keine rechtliche Handhabe, um mich am Besuch meines Mannes zu hindern. Nun liegt der Ball bei der Verwaltung des Gefängnisses. Als er am Samstag ins Evin-Gefängnis überführt wurde, ist es mir gelungen, ihn zwei Minuten in Handschellen zu sehen und einigen Sätzen zu lauschen, die er mir zuflüsterte.
Als Reza Khandan sich bereits für die freie Kleiderwahl für Frauen einsetzte, gab es nur wenige Männer, die Frauen unterstützten. In den vergangenen Jahren gibt es immer mehr Männer, die deshalb ihr Leben riskieren. Sind die Festnahmen eine Antwort auf unterstützende Männer?
Die Repressionen werden die Menschen nicht verunsichern können. Ich möchte ein glänzendes Beispiel erwähnen: die junge Sängerin Parastou Ahmadi mit ihrem virtuellen Konzert, trotz Gesangsverbot für alle Frauen. Sie wird dabei nur von männlichen Musikern begleitet. Das ist eine Art Antwort auf das Hijab-Gesetz, eine würdevolle und künstlerische Solidarität von Frauen und Männern, effektiver als Pamphlete und Erklärungen.
Die meisten sprechen heute im Iran von dem „Gesetz für Hijab und Keuschheit.“ Ich möchte Sie als Rechtsanwältin fragen, inwieweit man hier von „Gesetz“ sprechen kann. Ein Gesetz ist doch eigentlich eine Art kollektiver Wille des Volkes, der von der Mehrheit der Bevölkerung bejaht wird. Im Iran entscheiden Kommissionen, die vom Obersten religiösen Führer benannt werden, wer kandidieren darf. So ist die Wahl eine Farce und die Entscheidungen entsprechen nicht dem Willen des Volkes!
Sie haben vollkommen recht. Wir haben dies öfter unter die Lupe genommen und analysiert: Wir können von der Obrigkeit bestimmte Regelungen nicht als Gesetze bezeichnen. Sie entsprechen nicht dem Willen des Volkes. Dies ist ein „Un-Gesetz des Hijabs und der Keuschheit“. Die Philosophie hinter jedem erlassenen Gesetz lautet, es solle, der Sicherheit und Ordnung des Landes dienen. Das „Gesetz“ zu Hijab und Keuschheit hat diesen wichtigen Grundsatz verletzt und gebrochen, denn durch dieses Gesetz verliert die Hälfte der Menschen im Iran ihre Freiheit und ihre Sicherheit. Deshalb kann man es nicht als ein Gesetz bezeichnen, das Freiheit und Ordnung unterstützt.
Auch zahlreiche konservative Kräfte, die die islamische Ordnung schätzen, sind gegen die Durchsetzung dieses Gesetzes. Der Nationale Sicherheitsrat hat sich gegen dessen Durchführung gestellt, und die Hardliner-Tageszeitung „Keyhan“ schrieb: „Was soll nun das Gesetz bewirken? Noch nicht durchgesetzt, sind die Zahlen der unverschleierten Frauen in die Höhe geschossen.“ Dem Gesetz nach muss eine Frau bei einem zweiten Verstoß soviel Strafe zahlen wie ein Dealer, der mit 20 Kilogramm Opium erwischt wird.
Bereits jetzt haben viele junge Frauen und Männer wegen des Gesetzes ihr Leben verloren, oder ihnen wurde ihr Augenlicht durch gezielte Schüsse auf die Augen genommen. Wäre das nicht der Fall, wäre das Gesetz schon sang- und klanglos durchgesetzt worden. Die Proteste haben bewirkt, dass Stimmen gegen den Schleierzwang das ganze Land ergriffen haben. Eine Regierung sollte wachsam sein und sich vor Augen führen, welche roten Linien der Bürger*innen nie überschritten werden dürfen. Denn sonst wird es eventuell zu spät sein.♦
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