Das Internet wird im Iran Staatseigentum

Die Gemeinsame Kommission des iranischen Parlaments hat einem Plan zugestimmt, der das Internet staatlichen Verordnungen unterwirft. Der Widerstand dagegen ist enorm – auch innerhalb der Machtzirkel des islamischen Gottesstaats.

Von Farhad Payar

Er heißt „Plan zum Schutz der Rechte von Nutzern der Cyberspace“ und sorgt derzeit für große Sorgen in der iranischen Gesellschaft. Am Dienstag stimmte die „Gemeinsame Kommission“, bestehend aus 23 Mitgliedern mehrerer anderer Parlamentskommissionen, mit 18 Ja-Stimmen dafür. Nach Angaben mancher Parlamentarier sollen Beratung und Abstimmung 45 Minuten gedauert haben. Kommissionsvorsitzender Reza Taghipour versprach, ausführliche Beratungen würden bald folgen – wohl wissend, dass Beratungen über einen Gesetzentwurf vor der Abstimmung stattfinden sollen.

Das Parlament hatte sich um diesen Gesetzentwurf bemüht, nachdem Staatsoberhaupt Ali Chamenei sich im März letzten Jahres über die „Freizügigkeit“ des iranischen Internets beschwert und dessen „staatliche Verwaltung“ verlangt hatte. Daraufhin versprach der Kommandant der iranischen Revolutionsgarde Hossein Salami in einer Botschaft an Chamenei, seine Garde würde für die Beseitigung der „Schlampereien“ im Internet sorgen.

Die Reaktionen

Der Gesetzentwurf hatte schon Wochen vor der Verabschiedung für Aufregung gesorgt. Als Teile seines Inhalts veröffentlicht wurden, gab es eine Welle der Empörung innerhalb der persischsprachigen Internet-Community. Auch viele Politiker*innen meldeten sich zu Wort. Nach Angaben reformorientierter Medien sprachen sich die meisten iranischen Internet-User, Expert*innen und Ökonom*innen gegen den Plan aus.

Jalal Rashidi Koochi, Parlamentarier und Mitglied der Gemeinsamen Kommission, ist einer der lautesten Kritiker*innen des Gesetzentwurfs. Nach dessen Abstimmung ließ er wissen, dass er telefonisch bedroht worden sei, nicht dagegen zu stimmen. Doch er habe das trotzdem getan, sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenseite Asre Iran, und: 80 Millionen Iraner*innen seien gegen den Plan. Der ehemalige Minister für Informations- und Kommunikationstechnologie Azarj Jahromi postete gar ein Protestgedicht gegen das Gesetz, in dem es heißt: „Die Blume, die ich gepflegt habe, stirbt vor meinen Augen.“ Die Existenz vieler Unternehmen hänge von der Nutzung und dem freien Zugang zum Internet ab, sagte Mohammad Khaladsch, CEO des iranischen Online-Dienstanbieters SNAP. „Die Schäden dieses Plans stellen neben der Verletzung der Rechte des Einzelnen große Hindernisse und Herausforderungen für die wachsende digitale Industrie im Iran dar“, warnte er.

Das iranische Parlament besteht hauptsächlich aus islamistischen Hardlinern
Das iranische Parlament besteht hauptsächlich aus islamistischen Hardlinern

Wichtige Inhaltspunkte

Der umstrittene Gesetzentwurf sieht kein direktes Blockieren oder Filtering von nationalen oder internationalen Webseiten, Nachrichtenplattformen oder sozialen Netzwerken vor. Er macht aber die Bildung einer Arbeitsgruppe („High Commission“) für die Regelung der Cyberspace-Aktivitäten zur staatlichen Aufgabe. Diese Arbeitsgruppe wird aus dem Leiter des „Zentrums für die nationale Cyberspace“ als Vorsitzenden, Vertretern der staatlichen „Organisation zur passiven Verteidigung“ sowie jeweils einem Vertreter des Ministeriums für Kommunikation und Informationstechnologie, des Geheimdienstministeriums, der Polizei, der Justiz, des Generalstabs der Streitkräfte und der Geheimdienstorganisation der Revolutionsgarde bestehen.

Jeder Nachrichtendienst und jede Plattform, die im Iran operieren möchte, muss künftig die Regeln und Vorschriften dieser Arbeitsgruppe akzeptieren. Für Zuwiderhandlung sind unterschiedliche Strafmaßnahmen vorgesehen, unter anderem die Begrenzung der Internetgeschwindigkeit für unfolgsame Dienstanbieter.

Die Hardliner schielen insbesondere auf das beliebteste soziale Netzwerk im Iran, Instagram. Sollte sich dieses nicht an die Regeln der staatlichen Arbeitsgruppe halten, wird die ihm zur Verfügung stehende Bandbreite verkleinert. User*innen bräuchten dann unter Umständen für das Hochladen eines Fotos mehrere Stunden – je nach Bandbreite und Größe des Bildes. Die Nachrichtenplattform Etemad Online schrieb dazu: „Nach diesem Gesetzentwurf sollen die Iraner*innen vergessen, dass es ein soziales Netzwerk namens Instagram gibt.“ Laut Etemad hat der iranische Staat 2015 das Gleiche mit dem Chatdienst Viber gemacht – mit Erfolg: Viber verschwand und machte anderen Chatdiensten Platz.

Für Instagram hat die Islamische Republik einen Ersatz vorbereitet: die Rubino-App. Diese „Super-Applikation“ wird von einem Unternehmen verwaltet, das mit der Geschäftsleitung von „Setad eschdraie farmane Imam“ (Execution of Imam Chomeini’s Order) verbunden ist. Diese mächtige Organisation untersteht dem Büro des Staatsoberhaupts Chamenei.

Weitere Strafmaßnahmen

Auch Gefängnisstrafen und Bußgelder sieht der Gesetzentwurf vor. Sollte eine Firma gegen die Regeln der staatlichen Arbeitsgruppe verstoßen, kann sie mit einem Bußgeld von bis zu zehn Prozent ihres Jahreseinkommens belegt werden. Bei „schwereren Verstößen“ kann ihr die Lizenz zur Nutzung des Internets entzogen werden.

Für die Sperrung von Filterbrechern (VPNs) ist laut dem Entwurf das Kommunikationsministerium zuständig. Es soll Software zur Umgehung des Filterings „kontinuierlich und effektiv“ identifizieren und deaktivieren. Außerdem ist jede kommerzielle Tätigkeit im Bereich der Herstellung, des Vertriebs, der Vervielfältigung und der unbefugten Lieferung von derartiger Software oder Zugangstools verboten. Es drohen Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder hohe Bußgelder.

Auch die Tätigkeit des Privatsektors als Internet-Dienstanbieter wird verboten und nur noch mit Genehmigung der Arbeitsgruppe möglich sein. Das das iranische Nachrichtenportal Tejarat News schrieb deshalb: „Auf Wiedersehen, privater Sektor des Internets!“ Und der ultrakonservative Medienaktivist Mohammad Saleh Meftah twitterte: „Mein Beileid für die Menschen im Iran.“

© Iran Journal

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