Gottes Gebote und chinesische Hightech

900 mächtige Freitagsprediger im Iran kennen dieser Tage nur ein Thema: den Schleierzwang – Hijab. Je näher der Sommer rückt, umso größer wird die Angst. Auf beiden Seiten. Frauen fürchten sich vor mehr Repression, die Mächtigen vor Machtverlust. Zum Einpeitschen der Imame gesellt sich Hightech aus China.

Von Ali Sadrzadeh

„Auch ich bekam eine SMS. Gott ist mein Zeuge, ich war im Auto allein. Für sie gilt mein Turban als mein Hijab. Was für eine Sackgasse? Setze ich ihn auf, wird er mir herunter geschlagen. Nehme ich ihn ab, werde ich gefilmt und ermahnt.“ Das ist ein Tweet von Mohammad Ali Abtahi. Er ist Mullah, war in den Nullerjahren Vizepräsident des Reformpräsidenten Khatami und saß auch im Evin-Gefängnis. Diese vielsagenden Sätze twitterte er am 16.April.

Der Hijab und das Strafarsenal

Tags zuvor hatte auf Befehl von Polizeipräsident Ahmad Reza Radan der landesweite Einsatz der Überwachungskameras für die Einhaltung des Hijab, der iranischen Kleidervorschriften für Frauen, begonnen. Radan hatte versichert, seine Kameras seien sehr sicher und intelligent. Beim ersten Mal werde eine SMS- Mahnung gesendet, bei Wiederholungen träten dann die abgestuften Strafen ein: von Geldbußen bis zur Konfiszierung des Autos, von Kontosperrung bis zum Gerichtsprozess oder Berufsverbot. Radan war auch der Erfinder von گشت ارشاد , der berühmt-berüchtigten Sittenpolizei, die nach den landesweiten Protesten im Iran ihre Arbeit einstweilen eingestellt hat.

Nicht nur ein Problem der Großstädte

Welches Ausmaß diese SMS-Mahnungen in kurzer Zeit erreicht haben, verdeutlichte einen Tag später Abbas Abdi ebenfalls in einem Tweet. Der gut vernetzte Journalist, ebenfalls mit Gefängniserfahrung, gehörte zu jenen Studenten, die vor 43 Jahren kurz nach der Revolution im Iran die US-Botschaft in Teheran besetzten und 444 Tagelang dort US- Diplomat*innen als Geiseln festhielten. Inzwischen hat er seine revolutionäre Tat von einst mehrfach bereut.

Abdi twitterte: „In der Provinz Kohkilujeh lebt weniger als ein Prozent der iranischen Bevölkerung. Hier wurden in den letzten 48 Stunden 1.325 SMS-Mahnungen verschickt. Wenn allein dort 2% der Frauen innerhalb von zwei Tagen ermahnt wurden, dann könnt ihr Euch vorstellen, was im Land los ist. Ist das nicht ein Zeichen der Niederlage?“

Die gebirgige Provinz Kohkilujeh liegt im iranischen Süden, fast achthundert Kilometer von Teheran entfernt, die höchste Erhebung dort ist mit 4.409 Metern zweithöchster Gipfel des Landes, die Menschen dieser Provinz gelten als sehr traditionell. Und wenn Abdi von Niederlage spricht, dann meint er damit das Scheitern des Schleierzwangs für Frauen selbst in dieser ländlichen, weit entfernten Gegend.

Doch Tradition hin, Niederlage her, beirren lassen sich die Herrschenden nicht. Als ob es zwischen den Provinzgrößen einen Wettlauf gebe, wer mehr kontrolliert, meldete am vergangenen Freitag der Gouverneur von West-Aserbaidschan, ebenfalls einer entlegenen ländlichen Region: 2.311 Frauen seien in seiner Provinz per SMS ermahnt worden, zudem habe er die Schließung von 80 Geschäften angeordnet, in denen die Hijab-Regeln missachtet worden seien.

Bis vor Kurzem haben die Machthaber im Iran nicht einmal bunte Kopftücher toleriert und solche Frauen wie im Foto inhaftiert
Bis vor Kurzem haben die Machthaber im Iran nicht einmal bunte Kopftücher toleriert und solche Frauen wie im Foto inhaftiert

Die Lage ist für die Teheraner Machthaber ernst. Sehr ernst. Und es wird täglich „gefährlicher“, je näher der Sommer heranrückt. In der sengenden Hitze könnte sich dieser landesweit verbreitete sozial-politische Ungehorsam der Frauen, die es wagen, ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit zu erscheinen, zu einer Normalität entwickeln. Sie könnte „sehr gefährlich“, ja machtgefährdend werden.

Denn der Hijab gehört zu den DNA-Hauptsträngen dieses real existierenden Islamismus. Diese „Republik“ wird ohne Hijab zu einem Kaiser ohne Kleider.

Die chinesischen Freunde

Um dieses existenzgefährdende Phänomen abzuwehren, stehen die chinesischen Freunde den Mullahs mit Rat und Tat zur Seite, samt ihrer Erfahrung mit Uiguren im eigenen Land sowie ihren mächtigen Hightech-Konzernen, die Tiandy, Hikvision oder Dahua heißen.

Auf ihren professionell gestalteten Webseiten auf Persisch preisen diese Konzerne ihre Produkte, ihre Effektivität und ihre weltweite Marktführerschaft sowie ihre vielfältigen Überwachungstechniken, die jede Bewegung in jeder Situation und bei jedem Lichtverhältnis detailliert und intelligent registrierten.

Mit attraktiven Bildern und verständlichen Texten werben sie für ihre begehrten Produkte, samt Kontaktmöglichkeiten und Serviceleistungen. Auf der Webseite von Tiandy sind zwar die Whatsapp-Nummer des Verkaufsleiters und der Technikabteilung zu lesen, doch in roten Lettern wird erklärt, telefonisch werde keine Auskunft erteilt. Will heißen, nicht jedem Normalsterblichen gewährt man Kontakt.
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