Gottes Gebote und chinesische Hightech

Kundenfang mit Revolutionsgarden

Unter diesen Unternehmen ist der Konzern Tiandy nach Meinung vieler Experten am engsten mit den chinesischen Behörden verflochten. Er gilt weltweit als einer der größten Anbieter von Videoüberwachungstechniken. Allein in den USA setzt die Firma nach Medien-Informationen jährlich rund 700 Millionen Dollar um. Der Konzern bietet Kameras und dazu KI-gestützte Software, darunter Gesichtserkennungstechnologie sowie eine Software, von der die Firma angibt, sie könne äußerliche Merkmale bei Menschen feststellen, die auch auf ethnische Zugehörigkeit schließen ließen.

Tiandy hat im Dezember 2021 mit صا ایران“, SA Iran, einem staatlichen Anbieter von Militärelektronik, einen Fünfjahresvertrag unterzeichnet. SA Iran ist eine der wichtigsten Säulen des Rüstungskomplexes der Revolutionsgarden. Die Firma untersteht dem Verteidigungsministerium und Tiandy ist ihr wichtigster und größter Handelspartner.

Unverhohlen rühmt sich Tiandy auf ihrer Webseite der „fruchtbaren Zusammenarbeit“ mit den Revolutionsgarden und den Sicherheitskräften. Ende Februar berichtete das Wall Street Journal, Washington werde gegen Tiandy wegen Verkäufen an die iranischen Sicherheitskräfte neue Sanktionen verhängen.

Chinesische Zolldaten hätten gezeigt, dass die Exporte von Videoaufzeichnungsgeräten in den Iran im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen seien, und dies während der Massenproteste nach dem Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, so das WSJ weiter.

Gute Freunde: Irans Präsident Ebrahim Raissi und Chinas Staatschef Xi Jinping
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Der Hijab und die Sprüche der Freitagsprediger

Doch chinesische Hightech allein reicht nicht aus, um „unbelehrbaren Frauen“ auf den rechten Pfad zu leiten. Die Zahl der Frauen, die sich nicht einschüchtern lassen, ist größer, als sich mit SMS-Warnungen bekämpfen lässt. Ein irreversibler Prozess hat begonnen, eine Art Kulturrevolution ist im Gange.

Im Iran gibt es 900 Freitagsprediger, die direkt dem بیت رهبری , dem „Hof des Führers“ unterstehen. Ein Zentralrat wählt, entlässt und überwacht sie. Das Hauptthema ihrer wöchentlichen Predigten wird von diesem Rat festgelegt. Wie der Imam dann den Inhalt unter das Volk bringt, ist seiner Rhetorik und Redegewandtheit überlassen.

Sie alle haben seit Wochen ein Hauptthema zu predigen: die „Gottlosigkeit“, die sich in jeder Stadt, jedem Dorf, jedem Haus und jeder Schule auszubreiten droht, würde man die öffentlich zur Schau gestellte „Unzucht“ weiterhin dulden. Die Grundpfeiler der Familie seien in Gefahr, so der Tenor der Prediger. Was sei mit der Sittlichkeit geschehen, wo seien die Schamgefühle und der Stolz der Männer geblieben, fragen sie mahnend. Manche ihrer blumigen Reden, die in diesen Tagen in den sozialen Medien kursieren, sorgen nicht nur für Staunen und Stirnrunzeln, sie offenbaren auch die Einfältigkeit und Albernheit dieser so genannten Geistlichen.

„Ein Frauenkopf ohne Hijab ist eine ständige Beschimpfung des Vaters“, sagte vor zwei Wochen Ayatollah Alamolhoda, der mächtige Freitagsprediger der Stadt Mashhad und Schwiegervater des Präsidenten Raissi. „Von den Architekten verlangen wir, keine offene Küche mehr zu bauen, damit die Frauen im Verborgenen arbeiten können, wenn die Gäste da sind“, forderte Ayatollah Abolfazl Soleimani vor drei Wochen in Bidgol im Zentraliran.

„Der Hijab ist eine kleine Einschränkung für größere Freiheiten“, philosophierte Ayatollah Alireza Aarafi aus Ghom. Aarafi gehört zum Kreis der sehr mächtigen Mullahs. Er ist Chef aller schiitischen Lehrseminare Irans und Präsident einer Universität, in der schiitische Missionare für die ganze Welt ausgebildet werden. Zugleich ist Aarafi Mitglied des Expertenrats, jenes Gremiums, das Khameneis Nachfolger bestimmt. Seine Stadt, Ghom, ist iranisches Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit.

„Viele Frauen ohne Hijab haben Dollars erhalten, um für den Verzicht auf das Kopftuch zu werben“, verriet Ayatollah Mussavi Fard, der Freitagsprediger der Stadt Ahwaz im Westen des Iran.

Die Liste solcher Behauptungen, Belehrungen und Stilblüten ist lang, sehr lang. Man mag über diese Sprüche schmunzeln, den Kopf schütteln oder sie mit einem Achselzucken abtun. Doch die Tragödie unserer Zeit besteht darin, dass diese Mullahs in ihren Städten die eigentliche Macht repräsentieren. Oft sind sie mächtiger als die Provinzgouverneure. Ihre Predigten werden von TV-Sendern direkt übertragen, und all das in einem Land, in dem über 60% der Studierenden Frauen sind.♦

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