„Amerika ist schuld“

Die Revolutionsgarde hat nach eigener Darstellung das Passagierflugzeug der Ukraine International Airlines „unbeabsichtigt“ abgeschossen. Die Reaktionen auf dieses Eingeständnis sind enorm. Laut dem iranischen Außenminister sind die USA schuld.

Von Farhad Payar

Am Samstag gab der Generalstab der iranischen Streitkräfte bekannt, die Revolutionsgarde habe das ukrainische Passagierflugzeug „unbeabsichtigt“ abgeschossen. Am frühen Mittwochmorgen war die Maschine mit 176 Menschen an Bord nahe der iranischen Hauptstadt abgestürzt. Dabei kamen alle 168 Fluggäste und die Besatzung ums Leben.
Direkt nach dem Absturz hatte die iranische Regierung zunächst von einem „technischen Versagen“ als Unglücksursache gesprochen. Am gleichen Tag noch sollen Bulldozer die Absturzstelle aufgeräumt haben.
Das löste Skepsis aus. Zahlreiche Expert*innen, Medien und Aktivist*innen der sozialen Netzwerke stellten die Frage, was die eilige Aufräumaktion der iranischen Behörden veranlasst habe. Viele vermuteten die Verwicklung der Islamischen Republik in die Katastrophe. Doch die Vertreter des Regimes wiesen vehement jede Schuld von sich. Der iranische Botschafter in Großbritannien, Hamid Baidinejad, bekräftigte noch am Freitag in einem Fernsehinterview die offizielle Version des Absturzes. Auf die Frage des Moderators, ob er die Wahrheit verheimliche, antwortete der Botschafter: „Das ist eine absurde Schlussfolgerung Ihrerseits.“ Baidinejad hat sich am Samstag dafür entschuldigt.

Offizielle Reaktionen

Irans Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei drückte am Samstag den Familien der Opfer sein Beileid aus und verlangte ausdrücklich, „mögliche Mängel und die Frage der Schuld“ zu klären, damit sich solche Unfälle nicht wiederholten. Laut der iranischen Nachrichtenagentur FARS soll Khamenei bereits am Freitagmorgen über die Ursache des Unglücks informiert worden sein. Präsident Hassan Rouhani ließ in einer Erklärung wissen, dass Untersuchungen zur Ermittlung und Verfolgung aller Verursacher „dieses großen und unverzeihlichen Fehlers“ im Gange seien.

Amerikas „Schuld“

Außenminister Mohammed Javad Zarif schrieb per Twitter, nach „vorläufigen Schlussfolgerungen aus internen Untersuchungen der Streitkräfte“ habe menschliches Versagen, „verursacht durch das Abenteurer der USA“, zu der Katastrophe geführt.
Auch Amir Ali Hajizadeh, der Befehlshaber der Luftstreitkräfte der iranischen Revolutionsgarde, wies am Samstag in diesem Zusammenhang auf Angriffspläne der USA und Aussagen von US-Präsident Donald Trump hin.

Die Absturzstelle soll schnell aufgeräumt worden sein
Die Absturzstelle soll schnell aufgeräumt worden sein

 
Trump hatte nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch einen amerikanischen Raketenangriff gedroht, im Falle iranischer Vergeltungsaktionen werde die US-Armee 52 Ziele im Iran angreifen. Deshalb seien zum Zeitpunkt des iranischen Angriffs auf zwei US-Stützpunkte im Irak am Mittwoch alle iranischen Offensiv- und Defensivkräfte in Alarmbereitschaft gewesen, so Hajizadeh. Seiner Aussage nach soll ein „Operator“ einer Boden-Luft-Raketenbasis im Westen Teherans die Nachricht erhalten haben, dass eine Rakete auf dem Weg nach Teheran sei. Dabei habe es sich jedoch um das Passagierflugzeug gehandelt.
„Die Luftstreitkräfte der Revolutionsgarde übernehmen die Verantwortung für das Unglück und sind bereit, jede Art von Konsequenzen zu tragen“, erklärte Hajizadeh.

Rücktrittsforderung

Mohammad Reza Aref, Vorsitzender der reformorientierten Fraktion im iranischen Parlament, verlangte auf seiner Instagram-Seite den Rücktritt des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani und anderer „Täter, Verschleierer und all jener, die der Nation die Wahrheit verheimlicht haben“.
Mustafa Tajzadeh, einer der bekanntesten Reform-Politiker des Landes, erklärte auf Twitter, er hätte „nie geglaubt“, dass die Verantwortlichen der Islamischen Republik die Bevölkerung derart täuschen und ihr wichtige Informationen verheimlichen würden.
Der Abgeordnete Hashmatollah Falahat Pisheh, Mitglied im Sicherheitsausschuss des Parlaments, wies darauf hin, dass in „Kriegssituationen“ keine Erlaubnis für zivilen Flugverkehr erteilt werden müsse. Ein rechtzeitiges und „aufrichtiges Geständnis“ der Verantwortlichen hätte für das Regime „weniger negative Auswirkungen“ gehabt. Mit der „Verheimlichung der Wahrheit“ habe man dem Vertrauen in die Verantwortlichen geschadet.

„Beim Raketenangriff mehr Passierflugzeuge in der Luft“

Auch in den sozialen Netzwerken ergießt sich eine Lawine der Kritik über die politischen und militärischen Verantwortlichen. Die Stellungnahmen reichen von wortloser Trauer mit einer schwarzen Fahne bis zu Forderungen nach einer Maßnahme des UN-Sicherheitsrates gegen die Verantwortlichen des Abschusses.
Auch der oppositionelle „Rat zur Regulierung des Übergangs“ beschäftigt sich mit der Frage, ob diese folgenschwere Fehlentscheidung der iranischen Militärs nicht ein Fall für den UN-Sicherheitsrat ist. Mehran Barati, Sprecher des Rates, sagte gegenüber dem Iran Journal, die Islamische Republik habe bei der Vergeltungsmaßnahme für Soleimani auf „das Leben von Hunderten Menschen keine Rücksicht genommen“. Barati zufolge starteten während der Raketenangriffe der Revolutionsgarde auf US-Stützpunkte im Irak bis zu acht Passagierflugzeuge vom Teheraner Flughafen: „Wir haben Glück, dass nur eine Maschine getroffen wurde“, so Barati.
Die Regierungschefs von Kanada und der Ukraine hatten sich bereits kurz nach dem Unglück zu Wort gemeldet. Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau machte unter Berufung auf Geheimdienstinformationen das iranische Regime für das Ereignis verantwortlich. Er verlangte am Samstag restlose Aufklärung. Wolodymyr Selenskyj, Staatschef der Ukraine, verlangte von Teheran Entschuldigung und Entschädigung.
In der ukrainischen Maschine saßen nach Berichten iranischer Medien 82 iranische Staatsbürger*innen, 63 Kanadier*innen iranischer Abstammung und neun Menschen aus der Ukraine. Die restlichen Opfer sollen aus verschiedenen anderen Ländern stammen.♦

  Farhad Payar

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