Ein einmaliges Eingeständnis

Der Iran gibt zu, einen Fehler gemacht und die ukrainische Passagiermaschine selbst abgeschossen zu haben. Ist das ein Hinweis auf eine veränderte Haltung des Regimes? Von Ali Sadrzadeh
Von den 167 Passagieren des ukrainischen Flugzeuges, das am vergangenen Mittwoch von der iranischen Revolutionsgarde abgeschossen wurde, waren 146 Iraner*innen, mehrheitlich Akademiker*innen, wohnhaft in Kanada, in Schweden oder anderen europäischen Ländern.
Fast alle der Toten hatten neben der iranischen weitere Staatsbürgerschaften. Fast alle waren Ingenieur*innen, Ärzt*innen, IT- Expert*innen oder Universitätsprofessor*innen. Die Lebensgeschichten dieser Toten, die dieser Tage in der virtuellen Welt kursieren, sagen viel über die 40-jährige Geschichte der Islamischen Republik Iran aus.Sie bilden jene dramatische Talentflucht ab, die die Herrschenden in Teheran nicht stoppen können.
Der Iran ist Weltmeister nicht nur bei der Zahl der Hinrichtungen, sondern auch beim so genannten Brain Drain. Gut ausgebildete und talentierte Iraner*innen kehren dem Land den Rücken. Vor zwei Jahren führte die Teheraner Tageszeitung Financial Tribune eine Befragung unter Studierenden der Teheraner Universität durch. Das Ergebnis: 64 Prozent wollten gleich nach dem Studium das Land verlassen. Und das erste Ziel ihrer Wahl: die USA. Heute dürften diese Zahlen noch höher sein.
Nach den landesweiten Unruhen im November 2019, bei denen bis zu 1.500 Menschen getötet wurden, meldete Google, Immigration sei das meistgesuchte Wort der Iraner*innen im Internet.
Die Insassen der abgeschossenen Maschine wollten ihren Weihnachtsurlaub in der alten Heimat verbringen. Doch sie wurden Opfer eines Konflikts, dessen Ende nicht absehbar ist und bei dem wahrscheinlich noch weitere Unschuldige sterben werden.
Die Machthaber der Islamischen Republik haben nach Tagen der Lüge endlich einen Fehler zugegeben und sich zu einer nationalen Katastrophe bekannt. Das ist einmalig für diese eigenartige Republik, die sich als göttliche Ordnung versteht und für unfehlbar hält.

Demonstration in Teheran wegen des Abschusses der Passagiermaschine von Ukraine Airlines am 11. Januar!
Demonstration in Teheran wegen des Abschusses der Passagiermaschine von Ukraine Airlines am 11. Januar!

 
Druck aus dem Ausland
Das Geständnis verdanken wir den emigrierten Iraner*innen, die zugleich Bürger*innen anderer Staaten waren. Ohne Druck der Regierungen ihrer Wahlheimaten gäbe es dieses einmalige Eingeständnis nicht. Vor allem Justin Trudeau, der kanadische Ministerpräsident, forderte sehr früh und sehr laut eine schnelle Aufklärung. Schon Stunden nach dem Abschuss der Maschine hatte er erklärt: „Wir haben Geheimdienstinformationen von mehreren Quellen unserer Alliierten und eigene Informationen, dass die Maschine abgeschossen worden ist.“ Und auch nach dem iranischen Eingeständnis lässt Trudeau nicht locker und fordert Transparenz und Gerechtigkeit.
Kann dieses Eingeständnis auch zu einer Normalisierung der Verhältnisse führen?
Wohl kaum. Im Inneren des Iran bleibt alles beim Alten. Diejenigen, die den Befehl zum Abschuss der Passagiermaschine gaben, setzen ihren Kurs weiter fort.
Doch ohne Qasem Soleimani, den getöteten Kommandanten der Quds-Brigaden, werden Irans Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Chamenei und seine Revolutionsgarden es schwer haben, ihren regionalen Machtanspruch durchzusetzen können. Die Islamische Republik birgt viele Überraschungen. Man kann nur hoffen, dass diese künftig weniger Leid mit sich bringen.
© Iran Journal

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