"Wo bleiben die Europäer?"
Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag fordert im Gespräch mit dem Iran Journal Europa auf, in Sachen Iran endlich „den Kopf aus dem Sand zu ziehen“ und eine klare Haltung zu Menschenrechtsverletzungen und dem Vorgehen des Regimes bei den aktuellen Unruhen einzunehmen. Dass die Menschen für ihre Rechte auf die Straße gingen, zeige ein „immenses Potential“. Die Regime-Change-Politik der USA kritisiert der Grüne, „weil nicht das Ausland entscheiden darf, wer im Iran regiert“.
Herr Nouripour, Sie haben in einer Erklärung das Vorgehen des iranischen Regimes gegen die Demonstrant*innen kritisiert. Unterstützen die Grünen die Protestierenden?
Omid Nouripour: Die Menschen im Iran sind verzweifelt, der ökonomische Druck wächst täglich. Gepaart mit politischen Unfreiheiten, treibt sie das auf die Straße. Das System sollte nicht Gewalt, sondern Lösungen anbieten.
Das Internet im Iran war völlig lahmgelegt. Wie haben Sie sich informiert?
Ich habe ja meine eigenen Netzwerke. Zudem finden die Leute vor Ort immer wieder wundersame Wege, sich zu artikulieren. Trotz der Internetsperre gibt es genügend Videos und Berichte der Menschen vor Ort über die Ereignisse. Aber es wäre schön, wenn sich die Europäer überlegen würden, wie sie helfen können, damit die Leute dort wieder am weltweiten Netz teilnehmen können. Es gibt ein Angebot der USA, das halb vergiftet ist, weil die Amerikaner selbst Teil des Problems sind. Nur: Wo bleiben die Europäer?
Inwiefern sind die Amerikaner Teil des Problems?
Ich meine die Politik des „maximalen Drucks“. Sie hat dazu geführt, dass man nicht einmal Verbandsmaterial in den meisten iranischen Apotheken findet.
Die US-Regierung will dadurch einen Regimewechsel oder zumindest einen „Behavior-Change“ des Regimes erreichen und behauptet, im Interesse der Iraner*innen zu handeln.
Wenn die Amerikaner es gut meinen würden, dann würde es keine Einreiseverbote für Menschen geben, die in irgendeiner Weise mit dem Iran zu tun haben. Es ist kein Geheimnis, dass viele superreiche Familien aus den iranischen Machtzirkeln fette Bankkonten in den USA haben, während einfache Iraner*innen, selbst deutsche Staatsangehörige iranischer Abstammung, Schwierigkeiten haben, in das Land einzureisen oder für ihre dort studierenden Kinder Geld zu überweisen.
Waren Sie von den Protesten der letzten Tage überrascht?
Jein! Bereits Anfang des Jahres hatte es landesweite Proteste im Iran gegeben, aber die wurden im Keim erstickt. Danach gab es fast wöchentlich Demonstrationen und Sitzstreiks von Arbeiter*innen und Angestellten. Was mich jetzt überrascht hat, war der Beschluss der Regierung zur Rationierung und Preiserhöhung von Benzin. Der zeigt, dass die Kombination aus dem maximalen Druck der Amerikaner und dem Missmanagement und der Korruption innerhalb des iranischen Systems mittlerweile die Handlungsfähigkeit der Machthaber schwer reduziert hat. Dass die Menschen darauf reagieren werden, war mir klar, aber dass die Reaktion so schnell und so heftig los geht, habe ich nicht erwartet. Dass es schon seit langem im ganzen Land brodelt, ist mit den Händen zu greifen. Um zu sehen, dass es den Menschen schlecht geht, sie unzufrieden sind, braucht man nur einmal in Teheran auf die Straße zu gehen.
Wann waren Sie zuletzt in Teheran?
Im Juni.
Konnten Sie außer mit Vertretern der Regierung auch mit den unzufriedenen Menschen sprechen?
Ich würde niemals in den Iran fahren, wenn ich nur mit Regierungsvertretern sprechen könnte. Ich war sehr kurz da, aber wenn man das Land ein paar Mal besucht hat, ist man geübt darin, Leute zu finden, die offen sprechen.
Straßenblockade in der Stadt Shiraz am 16. November:
Und wie war deren Stimmung?
Richtig mies. Allgemein ist die Unzufriedenheit riesig, wegen der Lebensumstände, wegen der ökonomischen und auch der ökologischen Lage. In Ahvaz (im Südwesten des Iran) ist die Luftverschmutzung so gravierend, dass es als Glück gilt, wenn man auf die Straße geht und keinen Herzinfarkt bekommt. Auch der Wassermangel ist immens.
Laut Amnesty International sind seit Freitag mehr als 106 Menschen bei den Protesten getötet, mindestens 3.000 verwundet worden. Amnesty verurteilt das Vorgehen der Sicherheitskräfte.
Auch in Ihrer Erklärung heißt es, die gewaltsame Repression durch die Sicherheitskräfte sei mehr als unverhältnismäßig. Welche Reaktion wäre verhältnismäßig?
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