Düzen Tekkal: Was in Iran passiert, geht uns alle an
Kaum eine andere Nicht-Iranerin im deutschsprachigen Raum setzt sich mehr für die Einhaltung der Menschenrechte in Iran ein als Düzen Tekkal. Was sie tut und erlebt, wie sie sich dabei fühlt, was sie von ihren Erfahrungen an andere Menschen weitergeben kann – darüber hat Farhad Payar für das Iran Journal mit der Menschenrechtlerin mit jesidischen Wurzeln gesprochen.
„Düzen Tekkal ist nicht ein Name, sondern eine Institution“, sagte einmal ein politischer Aktivist, der mit Hilfe der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help aus dem Iran nach Deutschland flüchtete. Die vielseitigen Aktivitäten der 46-Jährigen und ihre internationalen Auszeichnungen und Anerkennungsurkunden unterstreichen diese Aussage. Die in Hannover geborene und aufgewachsene Düzen ist ständig unterwegs, trifft sich mit Politiker:innen, ob in Deutschland oder bei der UN-Vollversammlung, aber auch mit international bekannten Menschenrechtsverteidiger:innen wie etwa Shirin Ebadi oder dem US-Schauspieler George Clooney und dessen Ehefrau, der Menschenrechtsanwältin Amal Clooney.
Düzen Tekkal reiste 2014 in den Irak, um als Journalistin über die Gräueltaten des sogenannten Islamischen Staats (IS) an ihrer Glaubensgemeinschaft der Jesiden zu berichten. Aus dieser Reise entstand 2015 nicht nur der Dokumentarfilm: HÁWAR – Meine Reise in den Genozid, sondern auch die Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help, die sie mit ihren Geschwistern ins Leben rief. In der persischen und kurdischen Sprache bedeutet Háwar „Hilferuf“. Heute ist HÁWAR.help zu einem Menschenrechts-Konglomerat gewachsen, das sich für Gerechtigkeit und Frieden in unterschiedlichen Ländern einsetzt.
Iran Journal: Du und Deine Mitkämpfer:innen bei HÁWAR.help setzt Euch im deutschsprachigen Raum mit Rat und Tat stärker für die Einhaltung der Menschenrecht in Iran ein als die meisten iranischen Oppositionsgruppen. Was motiviert Dich persönlich zu dieser Aktivität?
Düzen Tekkal: Die Liebe. Es klingt pathetisch, aber man muss keine Iranerin sein, um Liebe zu empfinden, um solidarisch zu sein mit dem, was in Iran passiert. Ich habe vom ersten Tag der Freiheitsbewegung Frau, Leben, Freiheit an gespürt, dass das etwas ganz Großes ist. Dass Hunderte Menschen für ihre Sehnsucht nach Freiheit getötet und Tausende eingesperrt wurden, als das Regime die Proteste niederschlug, war sehr schmerzvoll mitanzusehen und für mich auch der Antrieb, mich weiter für die Bewegung einzusetzen. Ich habe nie verstanden, warum nur negativ auf das geschaut worden ist, was in der Islamischen Republik passiert, denn die Zivilbevölkerung ist ja genau das Gegenteil vom Regime. Es war im September 2022. Wir waren zur UNO-Vollversammlung eingeladen. Da hörte ich zum ersten Mal von den Protesten in Iran. Vor Ort in New York haben wir uns einer großen Demonstration der Exil-Oppositionellen angeschlossen. Dann haben wir Leute angerufen wie Natalie Amiri, Shahrzad Osterer, Mariam Claren und standen mit ihnen in Kontakt, um weitere Schritte zu organisieren. Wir haben von New York aus damit begonnen, eine der ersten Kundgebungen in Deutschland auf die Beine zu stellen. Dabei haben sich auch mehrere politische Entscheidungsträger:innen Deutschlands, Vertreter:innen von der CDU bis zu Grünen, Aktivist:innen, Autor:innen, Journalist:innen, Schauspieler:innen auf unsere Bühne vor dem Brandenburger Tor gestellt. Im Oktober schlossen wir uns mit HÁWAR.help auch der großen Demonstration am großen Stern in Berlin an, für die sogar aus dem Ausland Teilnehmer:innen anreisten.
Was hat Dich am meisten berührt?
Als ich die ersten Bilder des Widerstandes in Iran gesehen habe, vor allem von den starken Frauen, war ich voll begeistert. Für mich war klar: Es geht dabei nicht nur um die Iranerinnen, es geht um uns alle. Denn wenn man sich die neuere Geschichte der Region anschaut, sieht man, dass, egal was in Iran passiert ist, dies auch direkt oder indirekt Einfluss auf die gesamte Region und andere Teile der Erde hatte. Es hat mich tief berührt, dass die iranische Bevölkerung aufgestanden ist für die Rechte einer Kurdin. Allerdings wäre ich genauso laut gewesen, wenn es eine Belutschin oder Perserin gewesen wäre*. Ich war fasziniert von dem Mut der Menschen, nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer, die sich hinter die Frauen gestellt haben, die Widerstand geleistet haben und für ihre Freiheit ihr Leben geopfert haben. Diese Bilder und diese Stimmung werde ich nie vergessen. Mit der Übertragung der Parole „Jin, Jiyan, Azadi“ (Kurdisch für „Frau, Leben, Freiheit“ – die Red.) ins Persische („Zan, Zendegi, Azadi“) ist etwas zum ersten Mal geschehen: Ein Slogan aus der kurdischen Freiheitsbewegung wurde internationalisiert. Unsere Organisation HÁWAR.help ist auf der Asche des Völkermords an unserer Religionsgemeinschaft (Jesiden) gegründet worden. Die revolutionäre Bewegung in Iran war die zweite Zäsur in meinem Leben, würde ich sagen.
Auf der Webseite von HÁWAR.help steht, dass Ihr „die feministische Revolution in Iran von Beginn an begleitet und unterstützt“ habt. Was genau habt Ihr gemacht?
Als Menschenrechtsaktivist:innen ist es für uns wichtig, Strukturen zu schaffen. Also nicht nur eine Aufmerksamkeitsökonomie zu bedienen, sondern dahinter zu gucken, was wir leisten können, auch als Schallverstärkung. Über viele Sachen kann ich nicht reden. Aber einige Beispiele: Wir haben eine Petition gestartet, um eine Wende in der deutschen Politik gegenüber der Islamischen Republik einzuläuten und das Patenschaftsprogramm geschaffen, bei dem mehr als 450 Politiker:innen Patenschaften für politische Gefangene in Iran übernommen haben. Wir haben unterschiedliche Regierungsvertreter:innen getroffen zu unterschiedlichen Themen, aber auch Menschenrechtsorganisationen. Wir haben mit Iraner:innen gemeinsam demonstriert. Wir haben auch gesellschaftliche Gruppen aktiviert für die Freiheitsbewegung in Iran, zum Beispiel Fridays for Future, Ver.di und Schulen. Und wenn die verfolgten Aktivist:innen humanitäre Visa bekommen, für die wir uns auch einsetzen, dann betreuen wir diese Fälle auch. Ich treffe diese Menschen teilweise im Irak. Deswegen sind mir die Reisen in diese Regionen sehr wichtig, auch wenn sie immer gefährlicher werden. Ich war vor kurzem in Mosul und Bagdad. Ich war Teil der Delegation der Bundesregierung und habe die Menschenrechtsbeauftragte Luisa Amtsberg begleitet.
Und wenn die Geflüchteten dann hierherkommen, muss es ja weitergehen.
Wie kam das Projekt „Politische Patenschaften“ zustande und was habt Ihr damit erreicht?
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