Düzen Tekkal: Was in Iran passiert, geht uns alle an
Die Initiatorinnen des Patenschaftsprogramms, Mina Khani, Daniela Sepehri und Mariam Claren sind auf mich zugekommen, ob HÁWAR.help das Programm unterstützen würde. Es war mir sofort klar, dass wir es tun. Also haben wir dafür die Rahmenbedingungen geschaffen. Das klingt einfach, aber dafür muss man die finanziellen Mittel aufbringen und einiges mehr. Wir haben mehr als 450 politische Patenschaften zustande gebracht, mit Politiker:innen aus allen demokratischen Parteien. Durch diese Patenschaften haben wir mit dazu beigetragen, dass etwa 200 politische Gefangene mittlerweile frei sind, dass die deutschen Politiker:innen sensibilisiert sind und Verantwortung übernehmen, dass Bundestagsabgeordnete Menschen treffen, die frisch aus Iran gekommen sind. In diesem Zusammenhang haben wir ein Recherche-Team, das im deutschsprachigen Raum die einzige Datenbank zu politischen Gefangenen in Iran pflegt. Wir sind die einzige Organisation in Deutschland, die einen direkten Draht ins Foltergefängnis von Evin hat. Das heißt, wir bekommen Informationen aus erster Hand, von den Familienangehörigen. Wir sind in sehr engem Austausch mit den Familien, wenn zum Beispiel hingerichtet werden soll. Das geschieht durch Menschenrechtsorganisationen wie Hengaw. Dadurch können wir relativ schnell reagieren und auf das Regime Druck machen. In den letzten zwei Jahren wurden manche Todesurteile gegen politische Gefangene durch internationale Proteste aufgehoben.
Ihr habt neulich Aktivist:innen von Hengaw in Berlin getroffen.
Ja. Sie waren hier. Wir hatten dabei auch ein Treffen mit Politiker:innen im Deutschen Bundestag, am 15. und 16. Oktober. Sie haben über die aktuelle Lage in Iran berichtet.
Deine letzte persönliche Protestaktion fand in der letzten Septemberwoche im Rahmen der 79. UN-Generalversammlung in New York statt. Wie verlief sie?
HÁWAR.help war zur Generalversammlung eingeladen. Für uns war es wichtig, mit der Stimme von Mariam Claren, der Tochter von Nahid Taghavi, eine Akteurin hörbar und sichtbar zu machen. Damit wollten wir die Regierungsvertreter:innen auf der Versammlung konfrontieren. Dadurch, dass wir sehr dichten Austausch auch mit verschiedenen Ministerien haben, in dem Fall mit dem Auswärtigen Amt, war es uns wichtig, auch eine Veranstaltung gemeinsam mit Annalena Baerbock zum Thema des weltweiten Pushbacks gegen die Frauenrechte zu machen. Das war eine Sidekick-Veranstaltung zur UN-Vollversammlung, auf der wir auch über die Situation der Jesid:innen in Irak sprachen. Für uns Aktivist:innen ist die Hinterbühne wichtiger als das, was man sieht oder hört. Also: Was kann man da für Gespräche anschieben, wen kann man damit konfrontieren, dass Dinge sich auch verändern können. Und besonders die Außenministerin hat in New York das Gespräch gesucht zur iranischen oppositionellen Diaspora. Für uns ist klar, dass die Situation der Freiheitsbewegung in Iran immer mitverhandelt werden muss.
(1/2) Diese Woche waren die Menschenrechtsaktivist:innen @jilamostajer und @AYarahamadi bei @HawarHelp zu Gast. Die beiden haben die kurdische Menschenrechtsorganisation @Hengaw_English gegründet, für die sie unter Einsatz ihres Lebens über Menschenrechtsverbrechen berichten. pic.twitter.com/Ekjow69QmK
— HAWAR.help (@HawarHelp) October 16, 2024
Apropos Außenministerin: Du stehst im engen Kontakt mit der Bundesregierung. Wie oft triffst Du Regierungsvertreter:innen?
Oft. Ich glaube, ich nerve die Außenministerin mittlerweile auch, ich liege ihr ständig in den Ohren. Aber es ist wichtig, dass sie aus unterschiedlichen Quellen hört, was in Iran passiert.
Ihr listet auch die für die Menschenrechtsverletzungen in Iran verantwortlichen Personen.
Ja. Menschen zu benennen, die sich an den Gräueltaten der Islamischen Republik beteiligt haben, ist sehr wichtig. Wir erstellen Dossiers, damit eines Tages auch die Verbrechen aufgedeckt und vor Gerichten verhandelt werden. Wir kämpfen dafür, dass Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip angeklagt werden, ähnlich wie wir das auch beim Völkermord an den Jesiden gemacht haben, dass man da auch Rang und Namen der Verantwortlichen registriert.

Die Proteste in Iran gehen in unterschiedlichen Formen weiter, aber in Deutschland bekommt man davon nicht viel mit. Wollt Ihr trotzdem so intensiv wie bisher weitermachen?
Unsere Aufgabe als Menschenrechtsaktivist:innen ist unter anderem, Geschichten zu erzählen, für die sich die Mehrheit nicht mehr interessiert. Dann hinzugehen, wenn die Medienaufmerksamkeit nachlässt, wieder hineinzuleuchten und zu sagen: Nur weil die Menschen leiser geworden sind, heißt es nicht, dass diese Revolution gestoppt wurde. Die Islamische Republik schürt Konflikte im Ausland und führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Es gibt Umfragen, die zeigen, dass über 80 – 90 Prozent der iranischen Bevölkerung dieser Islamischen Republik nicht mehr folgen. Das bestärkt mich in meiner Überzeugung, dass die Zeit der Islamischen Republik abgelaufen ist. Ich hoffe, dass noch so viele Menschen wie möglich ein freies, demokratisches Iran erleben werden, vor allem die Elterngeneration, die ein Leben lang dafür gekämpft hat.
Auf Eurer Webseite stellt Ihr eine Iran-Petition vor. Was ist daraus geworden?
Wir fordern eine 180-Grad-Wende in der deutschen Iran-Politik, darunter die Listung der Revolutionsgarden auf der Terrorliste. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir das noch erleben werden. Die Petition dazu liegt ja der Bundesregierung und der EU vor. Und wir wissen, dass es auch auf der EU-Ebene schon sehr konkrete, virulente Treffen gegeben hat, was die Listung der Revolutionsgarden angeht. Es ist beschämend, dass Deutschland der beste Wirtschaftspartner der Islamischen Republik ist und dass die Wirtschaftsbeziehungen sogar zugenommen haben seit der Freiheitsbewegung vor zwei Jahren. Dieser Wahrheit müssen wir ins Gesicht schauen und deswegen erst recht parallel dazu die Verantwortlichen konfrontieren und zeigen, was dort passiert.
Das iranische Regime geht rigoros gegen seine Kritiker:innen vor. Bist Du oder sind Deine Mitkämpfer:innen bereits von Handlanger:innen des Regimes bedroht worden?
Fortsetzung auf Seite 3