Düzen Tekkal: Was in Iran passiert, geht uns alle an
Ja, das gehört ja zu unserem Leben dazu. Die Bedrohung ist immer da. Die Bedrohung aus der Islamischen Republik ist real. Das ist eine Gefahr, die von den Revolutionsgarden ausgeht. Wir fordern in unserer Petition auch, dass die deutsche Bundesregierung einen Schutzauftrag hat gegenüber den Iraner:innen hier, aber auch gegenüber den Freund:innen der Iraner:innen, die sich für die Menschenrechte dort einsetzen. Auch sie riskieren etwas damit. Aber fear is no option. Wir könnten diese Arbeit nicht machen, wenn wir damit nicht umgehen könnten. Ich kann nicht viel drüber reden, aber ich bin deswegen im Austausch mit Sicherheitsbehörden. Die größte Stärke der Islamischen Republik war und ist die Angst, die sie verbreitet. Deswegen dürfen wir dieses Spiel nicht mitmachen. Das ist etwas, was die Weltgemeinschaft, besonders Europa, verstehen muss, dass von den Revolutionsgarden eine Gefahr ausgeht über die Grenzen Irans hinaus, weltweit. Dass sie überall mitmischen und mitverantwortlich sind für den Flächenbrand im Mittleren und Nahen Osten, aber auch für vieles, was hier bei uns zutage kommt. Und deswegen habe ich mir immer gesagt: Arbeite so, dass die Angstmacher Angst bekommen.
Menschenrechtsverletzungen geschehen nicht nur in Iran. Setzt du dich auch für die Unterdrückten in anderen Ländern ein?
Das ist ja grundsätzlich die Frage: Wie gehen wir mit Unrechtsregimen um? Zum Beispiel Russland. Auch da versuchen wir, es den Vertretern des Staates so unangenehm wie möglich zu machen. Wir versuchen, Einfluss zu nehmen, auch da Advocacy-Arbeit zu leisten und dafür zu sorgen, dass deutlich wird und bleibt, dass Russland der Aggressor ist, der vor nichts zurück schreckt. Wir setzen uns auch für Menschenrechte in Afghanistan und Irak ein. In Afghanistan zum Beispiel haben wir zwei Schutzhäuser.
Was sind Schutzhäuser?
Es geht darum, 100 Frauen und ihren Kindern Schutz zu gewähren, die vor Gewalt fliehen, natürlich unter größten Sicherheitsrisiken, weil die Menschen, die dort mit uns arbeiten, ihr Leben aufs Spiel setzen. Auch dort wird Menschlichkeit bestraft. Es gibt Studien, wonach es den Frauen in Afghanistan weltweit am schlechtesten geht. Es gibt unter ihnen eine sehr hohe Selbstmordrate, weil den Frauen der Bezug zur Welt genommen wird. Sie dürfen nicht am Leben teilhaben, und das hält kein Mensch aus. Die Situation in Afghanistan ist besorgniserregend, und deswegen wäre es gut, wenn man hier die geschlechtsspezifische Verfolgung grundsätzlich als einen Asylgrund anerkennen würde. Wir kämpfen parallel dazu für die Durchsetzung des Bundesaufnahmeprogramms, besonders für Frauen, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

Vieles von dem, was du machst, hat den Anschein, deprimierend zu sein. Hast du auch manchmal Freude an deiner Arbeit?
Unsere Themen sind leidgekoppelt, sind also große Herausforderungen. Es ist nicht einfach, wenn man hört, dass wieder Menschen wegen ihrer politischen Meinung hingerichtet worden sind. Aber für Menschenrechte zu kämpfen, bedeutet, für ein schönes Leben zu kämpfen. Wir müssen nicht mitleiden, wir müssen nicht mit Tränensäcken durch die Gegend rennen, um für die Menschenrechte zu kämpfen. Frauen in Iran, die uns Videos schicken, zeigen uns, dass sie tanzen und singen, auch wenn das islamische Regime ihnen das verbietet. Sie zeigen, dass sie trotz der staatlichen Repressalien auch das Leben genießen.
Ich bin meinen iranischen Freund:innen und Weggefährt:innen sehr dankbar, dass sie mir auch etwas beigebracht haben über den Genuss des Lebens, sich anzudocken an die Lebensfreude und sich auch um sich zu kümmern. Das ist etwas, was viele von uns nicht so gut gelernt haben. Ich glaube, wir können in dieser Hinsicht auch der deutschen Mehrheitsgesellschaft etwas zeigen. Ich habe einen wunderbaren Satz von der Deutsch-Iranerin Nahid Taghavi gehört, die vom iranischen Regime eingesperrt und als Staatsgeisel gehalten wird, um Deutschland zu erpressen: „Wir sind zwar im Foltergefängnis von Evin, aber wir sind frei im Kopf.“ Diesen Satz, diesen Gedanken von Nahid finde ich total wertvoll. Die Freiheit beginnt im Kopf.
Dass Nahid Taghavi sich zurzeit im Hafturlaub befindet, ist unter anderem Euch zu verdanken.
Wir wissen, dass die Islamische Republik von Deals lebt. Es ist sehr wichtig, dass unsere Regierung sich um die deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi kümmert. Wenn nicht, dann ist das ein Armutszeugnis. Sich erpressen zu lassen, ist eine Bankroterklärung. Nahid ist schwer erkrankt. Wir dürfen nicht schweigen. Die Vertreter der Islamischen Republik müssen mitbekommen, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland, die NGOs und auch die Bundesregierung über Nahids Situation informiert sind und sich für sie stark machen. Wir arbeiten auf den Tag hin, wo wir Nahid an einem Flughafen in Deutschland abholen können.
Wenn man von den Auszeichnungen, die du bekommen hast, und von deinen Followern in den sozialen Netzwerken ausgeht, dann bist du viel beliebter als viele Politiker:innen in der Regierung. Werden wir bald eine Partei namens DTP haben?
DTP?
Düzen-Tekkal-Partei?
(Lacht) Nein! Wenn ich wirksam bin, dann deshalb, weil ich keine Parteipolitikerin bin, sondern außerparlamentarisch eine laute Stimme aus der Zivilgesellschaft. Das ist genau das, was wir gerade brauchen. Deshalb habe ich das Privileg, mit Vertreter:innen aller Parteien, aller demokratischen Parteien, unsere Forderungen auch überzeugend vortragen und zum Teil auch durchbringen zu können. Meine Loyalität gilt Menschen und Themen, nicht Parteien. Die Probleme unserer Zeit zeigen, dass wir neue Konzepte, neue Bündnisse brauchen, um sie zu lösen. Reden und meckern kann jeder. Aber was tun wir ganz konkret, um das Leben anderer Menschen zu verbessern? Am Ende des Tages, wenn ich mir diese Frage positiv beantworten kann, dann bin ich fein damit. ♦
*Iran ist ein Vielvölkerstaat, in dem unterschiedliche ethnische und religiöse Gruppierungen leben – unter anderem Araber, Belutschen, Kurden und Perser.
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