Unterstützung aus Deutschland
Die protestierenden Iranerinnen bekommen Unterstützung von den „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“. Bisher hält sich die Solidarität in Deutschland mit den „Mädchen der Revolutionsstraße“ allerdings in Grenzen.
Ein halbes Jahr ist es inzwischen her, dass sich Vida Movahed in Teheran auf einen Stromkasten gestellt und ihr Kopftuch an einen Stock gebunden hat. Seither sind die Proteste der Iranerinnen explodiert. Es vergeht keine Woche, ohne dass neue Videos und Fotos von Frauen im Netz erscheinen, die es Vida Movahed gleich tun, oder unverschleiert durch die Straßen laufen, in Teheran und allerorten. Sie protestieren gegen das mächtigste Symbol ihrer Unterdrückung: die Zwangsverschleierung.
Während die Empörung über Trumps Sanktionen gegen das iranische Regime groß ist, halten sich die Solidaritätsbekundungen mit den sogenannten „Mädchen der Revolutionsstraße“ in Deutschland in Grenzen. Mal abgesehen von den Exil-IranerInnen, deren Kassandra-Rufe über den erbitterten Kampf ihrer Schwestern seit Jahrzehnten verhallen.
Nun aber: Solidarität aus Darmstadt! Dort hat zum 44. Mal das jährliche Treffen der „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“ stattgefunden – die „FiNuT Tagung“. Ergebnis: Die Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen haben mit großer Mehrheit eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der sie zur „Unterstützung der Frauenbewegung im Iran“ aufrufen. Sie fordern „die unverzügliche Abschaffung der diskriminierenden Bekleidungsvorschriften und der Zwangsverschleierung sowie die Beseitigung der eklatanten rechtlichen Benachteiligung von Frauen in Familie, Gesellschaft und Geschäftsleben.“
„Umdenken bei westlichen Politikerinnen“
Die deutsch-iranische Ingenieurin Afsar Soheila Sattari aus dem Vorstand der NUT-Frauen hat die Resolution initiiert. „Ich bin seit 32 Jahren in Deutschland und erlebe immer wieder, wie oberflächlich das Thema Iran behandelt wird, gerade unter Intellektuellen“, sagt sie.
Mit der Resolution will Sattari nicht nur auf den Jahrzehnte währenden Protest der Iranerinnen hinweisen, sondern auch ein Umdenken bei westlichen Politikerinnen erwirken. „Damit sie nicht länger verschleiert in den Iran reisen. Und damit sie endlich die Situation der Frauen zum Thema machen bei ihren Besuchen und einen Wandel fordern“, sagt Sattari. Eine der Adressatinnen der FiNuT-Erklärung ist Kanzlerin Merkel.
Dass sich ausgerechnet die Frauen in Naturwissenschaft und Technik solidarisieren, ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Mehr als 60 Prozent der Studierenden im Iran sind weiblich. Aber nur ein Bruchteil dieser Frauen kommt jemals in einem Beruf an. Laut Human Rights Watch arbeiten nur 14,9 Prozent der Iranerinnen (Männer: 64,1 Prozent). Die Menschenrechtsorganisation klagt: „Die iranische Regierung hat zahlreiche diskriminierende Gesetzte und Regulierungen geschaffen, die Frauen den Zugang in die Berufstätigkeit verwehren.“
Weit unten auf der Weltrangliste
Im „Global Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforum belegt die Islamische Republik deswegen Platz 140 von 144. Wenn es konkret um die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt geht, landet der Iran sogar auf dem vorletzten Platz. Nur im Tschad läuft es noch schlechter.
Was den Zugang von Frauen zu Bildung angeht, erreicht der Iran hingegen Platz 100 – knapp hinter Deutschland auf Platz 98.
Auch die FiNuT-Frauen verweisen in ihrer Resolution auf den immensen Gap zwischen dem Potential der Iranerinnen und ihrer politischen wie ökonomischen Zwangslage: „Die iranischen Frauen werden international als Regisseurinnen, Anwältinnen, Künstlerinnen und Schriftstellerinnen anerkannt. Sie haben eine Friedensnobelpreisträgerin hervorgebracht (Shirin Ebadi) und die erste Frau der Welt, die die Fields-Medaille für Mathematik erhalten hat (die inzwischen verstorbene Maryam Mirzakhani)“, schreiben die Wissenschaftlerinnen in Deutschland. Und trotzdem sind sie nicht frei.
Die Frauen in Naturwissenschaft und Technik rufen deswegen die „deutsche Öffentlichkeit“ dazu auf, die iranischen Frauen zu unterstützen. Hier ihr ganzer Appell.
ALEXANDRA EUL
© EMMA
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