„Die unbeugsame Frau“
2022 kamen anders als in früheren Jahren keine iranischen Starregisseure wie etwa der zweifache Oscar-Gewinner für nicht englischsprachige Filme Asghar Farhadi, oder Mohammad Rasoul, der 2020 den Goldenen Bären gewann, nach Berlin. Es kamen zur diesjährigen Berlinale aber junge Regisseure unter anderem mit Filmen, die mit internationaler Unterstützung produziert wurden – darunter ein Panorama-Beitrag von Ali Asgari. Nasrin Bassiri hat für das Iran Journal mit ihm gesprochen.
Ali Asgaris Film „Ta Farda“ thematisiert wie viele iranischen Spielfilme die ungleichen Rechte der Frauen im Iran. Der 40-jährige Regisseur nähert sich dem Thema über eine junge ledige Mutter. Fereshteh, deren Name auf Deutsch Engel bedeutet, kommt aus der Provinz nach Teheran, um dort zu studieren. Als sie schwanger wird, möchte ihr Freund Yaser, dass sie das Baby abtreibt. Fereshteh bricht die Beziehung ab und zieht das Kind alleine auf: eigentlich eine alltägliche Geschichte, wenn man die islamische Herrschaft und die Gesetze im Iran nicht im Blick hat. Fereshteh ist eine starke und kluge Frau, gut organisiert arbeitet sie neben dem Studium in einer Druckerei und wird von den Nachbarn akzeptiert. Es scheint, dass sie alles im Griff hat, bis die Eltern nach Teheran reisen und bei ihr übernachten wollen. Da laufen die Dinge aus dem Ruder. Der Film erzählt von den 24 Stunden, in denen Fereshteh und ihre treue Freundin Atefeh versuchen, das Kind und alles, was auf seine Existenz hinweist, aus dem Blickfeld der Eltern zu entfernen. Es beginnt eine Odyssee voller Überraschungen, und auch der Film endet mit einer Überraschung.
IJ: Herr Asgari, warum haben Sie diese Geschichte gewählt?
Ali Asgari: Ich habe bereits zwei Kurzfilme gedreht, deren Protagonistinnen junge Mädchen waren, und wollte diese Serie mit einem weiteren Kurzfilm fortsetzen. Eine konkrete Idee hatte ich anfangs nicht, bis ich zufällig ein Bild auf Facebook sah, das zwei Mädchen in einer menschenleeren Gasse zeigte, von denen eine rauchte.
So kam mir die Idee, eine Geschichte von zwei Freundinnen zu erzählen. Später erzählte mir eine Freundin, dass sie gerne ein Kind bekommen würde. Ich sagte: Mach doch! Was hindert Dich daran? Und sie antwortete, dass ihre Mutter das nie akzeptieren würde, heiraten wolle sie aber nicht. Ich rede von einer Generation, die mit Tradition und Zwängen aufgewachsen ist, wo die Familie entscheidet, was sie tun und lassen sollen. Ich wollte versuchen, diese jungen Frauen zu ermuntern, das zu tun, was sie selbst für richtig halten. Damit war ein erster Funke für den Film in mein Hirn gesetzt, und ich habe vor sechs oder sieben Jahren zunächst einen kurzen Film, „Das Kind“, zu diesem Thema gedreht. Und vor einem Jahr habe ich mich dann mit meinem Co-Autor des Drehbuches an „Ta Farda“ gemacht.
Das Thema der ledigen Mütter ist in Anbetracht der zahlreichen „Ehrenmorde“, die im Iran offiziellen Angaben zufolge 30 Prozent der Tötungsdelikte ausmachen, überfällig. Bisher wurde es aber nie behandelt.
Wir hatten eine Drehgenehmigung für den Film. Der Weg, den unsere Protagonistin wählt, ist nach diversen religiösen Ansichten korrekt: Sie entscheidet sich für das Leben des ungeborenen Kindes. Das Problem ist eher, dass sie nicht mit dem Vater verheiratet ist. Mein Film wurde vom Teheraner Fajr-Festival abgelehnt, weil man mit dem Inhalt nicht einverstanden war. Was mich reizte, war, gegen das Klischee anzugehen, dass die Frau sich unbedingt dem Willen der Familie beugen soll. Warum soll eine Frau die Entscheidungen für ihr Leben nicht selbstständig treffen? Ich wollte mich nicht mit dem abfinden, was in vielen iranischen Filmen präsentiert wird: Die Frau beugt sich der Situation. Ich wollte Frauen ermutigen, Barrieren zur Seite zu schieben. Das tut meine Protagonistin auf allen Ebenen, sie widerspricht ihren Vorgesetzten, dem Arzt und allen, die sie am Weitergehen hindern. Sie ist diejenige, die die Entscheidungen trifft.
Warum haben Sie ein offenes Ende gewählt?
Fereshteh ist keine Frau, die nach Hause geht und auf die Strafe wartet. Sie ist keine, die getötet werden kann. Es gibt hier kein offenes Ende.
Sie haben den Film mitproduziert, warum?
Ich will über das sprechen, was uns heute bewegt, mit dem wir, die junge Generation, uns auseinandersetzen müssen, und zwar bildhaft und nicht wie in einer Reportage. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, eineinhalb Jahre lang habe ich versucht, es zu fassen. Genau wie ein Kämpfer muss man dabei aufmerksam sein, achtgeben. Wenn man ins Feld zieht, muss man gut gerüstet sein .
Was hat Sie persönlich so berührt, dass Sie sich so bemüht haben?
Ich habe sechs Schwestern, die alle älter sind als ich, und mein Vater war sehr religiös und hatte sehr traditionelle Ansichten. Ich war mit allen Problemen und Konflikten konfrontiert, die junge Frauen in einer konservativ-religiösen Familie haben, ich habe das aus nächster Nähe beobachtet, es hat mich tagtäglich begleitet und geprägt. Solche Art Filme zu machen, ist also tief in meiner Vergangenheit verwurzelt, und wenn Dich solche Ereignisse prägen, drängt es Dich, darüber zu schreiben. Aber es gibt auch andere Gründe: Das Leben im Iran führt dazu, dass Du dauernd mit solchen oder ähnlichen Situationen konfrontiert bist, in der Familie, Deiner Umgebung, vom Hörensagen. Es vergeht kein Tag, an dem Du nicht etwas von einem bitteren Ereignis erfährst, das um Ehre geht. Obwohl man mich kritisiert – warum wählst Du dermaßen bittere Themen? – denke ich: Widerstand muss sein!
© Iran Journal
Regisseur Ali Asgari 40, studierte in Italien Film. Seine Kurzfilme liefen bislang auf 600 Filmfestivals, darunter 150 internationale. Asgari ist Mitglied der Academy of Motion Picture Arts and Sciences.