Feldzug der Hardliner gegen die Moderaten
In der Islamischen Republik wurde wieder eine mögliche Staatskrise abgewendet. Doch damit sind die Probleme des Landes nicht gelöst. Hardliner im Parlament verlangen eine aktuelle Stunde mit dem Präsidenten. Ein Kommentar von Javad Kooroshy.
Das mehrheitlich aus Hardlinern bestehende iranische Parlament, das seine Arbeit Mitte Juni aufnahm, hatte signalisiert, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsident Hassan Rouhani einleiten zu wollen. Die Parlamentarier machen seine Regierung für die dramatische Abwertung der iranischen Währung und die rasant steigende Teuerungsrate im Land verantwortlich. Außerdem sehen sie sich darin, dass das Atomabkommen mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates (China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA) und Deutschland für den Iran schädlich ist. Die Hardliner waren mit dem Abkommen stets unzufrieden, doch ihre Integrationsfigur, Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Khamenei, stand hinter den Atomverhandlungen.
Auch der Plan, die Regierung zu stürzen, ist vorerst von Khamenei verhindert worden. Er forderte die neu gewählten Abgeordneten beim traditionellen Empfang am 12. Juli – der in diesem Jahr online stattfand – dazu auf, sich auf die „Schlüsselfragen“ zu konzentrieren und mit Exekutive und Judikative zusammenzuarbeiten.
Ohne die verbalen Angriffe mancher Abgeordneter auf Regierungsmitglieder zu erwähnen, forderte Khamenei das Parlament auf, sich bei der Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Organen „nur vom Gesetz und von der Scharia“ leiten zu lassen und die Regierungsmitglieder nicht zu beleidigen oder ihnen „Unrecht“ zu unterstellen.
Außenminister als „Lügner“ beschimpft
Damit bezog er sich auf die parlamentarische Fragestunde mit Außenminister Mohammad Javad Zarif am 5. Juli. Zarif sollte dabei offene Fragen bezüglich des Atomabkommens beantworten. Doch die Fragestunde entwickelte sich zu einem Schauprozess mit Hasstiraden von Hardlinern gegenüber der moderaten Regierung. Auf beleidigende Zwischenrufe wie „Tod dem Lügner“ und „Du bist feige“ antwortete der Außenminister, alles, was er getan habe, sei mit der Zustimmung des „Führers“ geschehen. Khamenei habe ihn wiederholt als „ehrlich“ und „tapfer“ bezeichnet.
Für manche politische Beobachter war Zarifs Einladung eine Art Wahlwerbung für die nächsten Präsidentschaftswahlen. Denn die Hardliner möchten neben dem Parlament und der Justiz auch die Regierungsgeschäfte an sich reißen.
Ohne Khameneis Einverständnis?
War die verbale Attacke gegen den Außenminister ein Alleingang der Hardliner im Parlament, ohne Khameneis Zustimmung? Oder war das Szenario mit dem „Führer“ abgestimmt – bad cop, good cop? Diese Frage bleibt vorerst unbeantwortet.
Beim Videochat mit den Abgeordneten jedenfalls unterstützte Khamenei den Regierungschef und seinen Außenminister und wies darauf hin, dass im letzten Jahr von Rouhanis Präsidentschaft, aber auch in Anbetracht der Corona-Krise und des wirtschaftlichen Drucks von außen Auseinandersetzungen innerhalb der Staatsgewalten nicht angebracht seien.
Gleichzeitig lobte er die Abgeordneten und bezeichnete das neue Parlament als „das jüngste, stärkste und revolutionärste Parlament“ in der Geschichte der Islamischen Republik. Außerdem betonte Khamenei, dass es durch eine „akzeptable Prozentzahl von Wahlberechtigten“ zustande gekommen sei.
Nach offiziellen Statistiken war die Wahlbeteiligung bei den jüngsten Parlamentswahlen im Februar 2020 landesweit um 19 Prozent zurück gegangen: von 61 Prozent im Jahr 2016 auf nur noch 42 Prozent. In Teheran, dem größten Wahlbezirk des Landes, ging die Beteiligung sogar auf 18 Prozent zurück, wobei laut Ali Motahari, dem früheren Vizepräsidenten des Parlaments, acht Prozent der Wahlzettel „nicht beschriftet“ gewesen seien. Da bekannte reformistische und laizistische Kandidaten zu den Wahlen gar nicht erst zugelassen worden waren, besteht das neue Parlament mehrheitlich aus moderaten Konservativen und Hardlinern.
Nun sollen etwa 200 Abgeordnete einen Antrag auf eine Befragung von Präsident Rouhani selbst gestellt haben. Ob auch diese Vorladung wie die des Außenministers zu einer Machtdemonstration der Hardliner im Parlament ausarten wird, ist aber fraglich. Denn Rouhani kann nach zwei Wahlperioden bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht erneut antreten. Zarif aber wird in Fachkreisen als ein aussichtsreicher Kandidat bei den Wahlen im nächsten Jahr verhandelt.
Doch ob der moderate Zarif oder ein Erzkonservativer nächster Präsident des Iran werden wird – an der Tatsache, dass Khamenei über alle relevanten Angelegenheiten der Innen- wie Außenpolitik entscheidet, wird sich nichts ändern. Auch der nächste Präsident wird wie die bisherigen den Empfehlungen des „Führers“ folgen und für dessen Fehlentscheidungen gerade stehen müssen.♦
© Iran Journal
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