Wandel durch Handel und Annäherung?
Wer hat im Iran von der Wiederbelebung des Handels mit dem Ausland profitiert? Bilanz und Lehren nach vier Jahren Rohani-Präsidentschaft im Iran – von Ali Fathollah Nejad.
Kaum war am 14. Juli 2015 die Tinte unter dem Atomdeal getrocknet, landete der damalige Wirtschafts- und Energieminister der Bundesrepublik Deutschland, Sigmar Gabriel (SPD), mit einer großen Wirtschaftsdelegation in Teheran. Die Deutschen hatten sich als Erste in Erwartung nun wegfallender Sanktionen dorthin begeben. Immerhin wurde der Iran von Finanzagenturen als die lukrativste ökonomische Goldgrube nach dem Zerfall der Sowjetunion beworben. Die Reise des Vizekanzlers aber erntete prompt Kritik: Sie sei ein voreiliges, wenn nicht gar falsches Signal an ein unverändert autoritäres Regime. Indes wurde die Wiederbelebung wirtschaftlicher und auch politischer Beziehungen als Teil einer Politik des „Wandels durch Handel und Annäherung“ rationalisiert – und als solcher seitdem vor Kritik abgeschottet.
Nun zum Ende der ersten Amtszeit von Präsident Hassan Rouhani ist die Zeit für eine erste Bilanz gekommen: Hat die europäische Annäherungspolitik einen Wandel im Iran begünstigt oder eher nicht?
Nach wie vor wird die Hoffnung gehegt, dass eine Öffnung zum Westen die für die iranische Zivilgesellschaft so wichtigen Räume ausweiten könnte. Doch die Fakten sprechen eine etwas andere Sprache: Erstens hat sich unter Rouhani die Menschenrechtssituation noch verschlimmert. Der Iran hält in puncto Exekutionsrate einen beschämenden Weltrekord.
Zweitens gingen der Großteil der nach dem Atomdeal abgeschlossenen Abkommen mit dem Iran an die Wirtschaftsimperien der Revolutionswächter und des Obersten Führers Ali Khamenei. Zuverlässige Quellen legen offen: von knapp 110 Abkommen mit einem Wert von mindestens 80 Milliarden US-Dollar, die nach dem Atomdeal abgeschlossen wurden, gingen 90 an Unternehmen, die sich entweder im Besitz oder unter der Kontrolle von iranischen Staatsinstanzen befinden. Mit anderen Worten profitierte von der Wiederbelebung des Handels mit dem Ausland fast ausnahmslos der autoritäre Staat. Dies wiederum ist vor dem Hintergrund der real existierenden polit-ökonomischen Machtverhältnisse in der Islamischen Republik, die der Privatwirtschaft nur eine marginale Rolle zugesteht, aber wenig überraschend. Drittens hat die auswärtige Kulturpolitik die gesamte Bandbreite der iranischen Kulturszene nur ungenügend einbezogen. Vielmehr wurden zuvorderst jene Wege beschritten, die die Islamische Republik vorgab. Und viertens wurde Rouhanis Politik der Mäßigung gegenüber dem Westen durch eine zunehmend hegemoniale Regionalpolitik des Iran konterkariert.
Beispiel „Arabische Frühling“
Wie der „Arabische Frühling“ dramatisch vor Augen führte, hat sich die jahrzehntelange Hofierung der dortigen Autokratien durch den Westen als wenig nachhaltig erwiesen. Die angeblich einer Stabilität verpflichtete Politik (dem Paradigma der ‚autoritären Stabilität‘ folgend) und die damit einhergehenden Geschäftsbeziehungen haben es den Eliten ermöglicht, sich an der Bevölkerung vorbei zu bereichern. Ausgerechnet die Spitzen der als wirtschaftlich erfolgreich und politisch stabil gepriesenen Regime in Tunesien und Ägypten wurden zuerst davongejagt. Die auch durch Beziehungen zum Westen forcierte soziale Ungleichheit und zementierten autoritären Strukturen entpuppten sich als Motor der arabischen Revolutionen.
Nun wird der Einwand formuliert, der Iran sei viel besser aufgestellt als seine arabischen Nachbarn. Mit Ausnahme des jahrhundertelangen Kampfes der iranischen Zivilgesellschaft gegen Diktatur und für Demokratie ist dies allerdings kaum haltbar. Denn die sozio-ökonomischen Indikatoren zeichnen ein ähnlich desolates Bild von einer sehr hohen Arbeitslosigkeit vor allem der Jugend und massiver Armut einerseits und der Anhäufung immensen Reichtums durch Wenige auf der anderen Seite. Dazu besteht eine politische Unmündigkeit des Großteils der Bevölkerung, deren Schicksal in den Händen einer ausschließlich islamistischen Elite liegt. Das Potential für Unruhen und Aufstände ist somit gegeben. Bei genauer Betrachtung also ist die gegenwärtig existierende Stabilität Irans eher fragiler Natur.
Geschäfte und Menschenrechte
Was können nun Deutschland und Europa es besser machen? Zunächst sollte sich Berlin für eine gemeinsame europäische Iran-Politik stark machen, die universellen Prinzipien statt kurzfristigen Wirtschaftsinteressen der Mitgliedsstaaten verpflichtet ist. Obgleich solch eine Forderung realitätsfern erscheinen mag, wird ein Ausbleiben einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik in einer zunehmend multipolaren Welt den Einfluss des ‚Alten Kontinents‘ im 21. Jahrhundert deutlich schmälern. Oder wie es der außenpolitische Sprecher von Bündnis90/Die Grünen, Omid Nouripour, Ende Mai ausdrückte: „Wenn die Europäer nicht endlich mit einer Stimme sprechen, dann werden sie sich bald von der weltpolitischen Bühne verabschieden.“ Im obigen Sinne fordert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die Koppelung von Iran-Geschäften an Menschenrechte.
Last but not least könnten die vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) formulierten Lehren aus dem „Arabischen Frühling“ auch in der Iran-Politik Anwendung finden. Denn nur durch eine Harmonisierung der Außen- mit der Entwicklungspolitik, die das Wohl der Bevölkerungsmehrheit im Blick hat, kann die Politik gegenüber diesem wichtigen Land auf eine nachhaltige Grundlage gestellt werden. Dabei muss das Ziel sein, eine inklusive und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Irans zu befördern.
Beziehungen an Bedingungen knüpfen
Die Iran-Politik während der ersten Rouhani-Amtszeit ähnelt vor dem Hintrergrund des Beschriebenen eher dem alten und als gescheitert zu erachtenden Paradigma der „autoritären Stabilität“. Um eine Kehrtwende einzuleiten, die uns den erstrebenswerten Zielen einer Politik des „Wandels durch Annäherung“ näher bringt, müsste eine Vertiefung der Beziehungen zu Teheran während seiner zweiten Amtszeit an Bedingungen geknüpft werden. Neben der Einhaltung der Menschenrechte wären dies wirtschaftliche Reformen, die der Gesamtbevölkerung erlauben, am Wirtschaftswachstum (das bis dato nicht inklusiver Natur war) teilzuhaben, sowie eine deeskalierende Regionalpolitik. Diese notwendigen innen- und außenpolitischen Korrekturen können dazu beitragen, sowohl die hiesige Iran-Politik auf nachhaltige Füße zu stellen als auch den Aspirationen der iranischen Bevölkerung gerecht zu werden.
ALI FATHOLLAH NEJAD*
*Dr. Ali Fathollah Nejad ist Iran-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und am Belfer Center for Science and International Affairs der Harvard Kennedy School, einem der weltweit führenden universitären Think-Tanks; Promotion an der SOAS, University of London; fathollah-nejad.eu
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