„Für nachhaltige statt autoritäre Stabilität“

Durch unsere Arbeit wollen wir analytisch unser Augenmerk auf Beides setzen, sowohl auf die geopolitische Ebene als auch auf die Staats- und Gesellschaftsebene, denn dort sind die Dynamiken absolut stabilitätsrelevant. Mit anderen Worten: Wir wollen den Stabilitäts-Begriff in der Debatte erweitern, sie wegholen von der sehr engstirnigen Vorstellung, dass Stabilität durch die „eiserne Hand“ autoritärer Herrscher verlässlich herzustellen sei. Denn wie wir gesehen haben, ist dieses Konzept durch immer radikaler werdende Volkserhebungen gegen den Status-Quo nicht mehr haltbar. Da geht es nicht nur darum, wie Europa, ihre Ziele in der Region wahrnimmt. Es geht um eine Politik, die nachhaltig Stabilität schaffen kann.

Iran zieht sich angeblich aus einigen Ländern der Region zurück, will sich etwa nicht länger in Syrien einmischen, weil dieser Weg ins Nichts führte und das Land sich nicht länger leisten kann, die eigenen Problemen zu ignorieren. Ist das richtig?

Da bin ich skeptisch, zumal die in der gesamten Region von Teheran angeführte „Achse des Widerstands“ mit seiner von ihr ausgehenden Destabilisierung eng mit der Identität der Islamischen Republik verzahnt ist – und somit kaum ohne Weiteres aufzugeben ist.

Zum Hintergrund: Iran war Anfang der 2000er Jahre bis zur Wiener Nuklearvereinbarung im Jahre 2015 zu einer Macht herangewachsen, die in der Region geopolitisch und auch von der Soft Power her zu einer führenden Macht avancierte, vor allem im Zuge des „11. Septembers“. Das vergangene Jahrzehnt aber deutet darauf hin, dass das Land ebenjene Macht und Einfluss in der Region eingebüßt hat. Irans Regionalpolitik basierte stark auf Milizen und das Land war eine konterrevolutionäre Macht im Zuge des „arabischen Frühlings“, angefangen mit Syrien und zuletzt beispielsweise im Irak. Jüngste Umfragen zeigen sogar, dass das Ansehen Saudi-Arabiens in der Region dreimal so groß ist wie das Irans. Das ist ein sehr ernüchterndes Fazit der vom Regime immerzu zelebrierten Regionalpolitik.  

Wird es bei den Rollen, die China und Russland in der Region spielen, in Bezug auf Iran künftig Verschiebungen geben?

Es gibt in Europa vor allem die große Befürchtung, dass, wenn man eine robustere Politik im Nahen und Mittleren Osten gegenüber Iran und anderen dortigen Ländern führt, diese sich umorientieren, den Kontakt zu uns zunehmend abbrechen und sich mit Russland und China strategisch verbrüdern. Das ist ein geopolitisches Argument, das man oft hört. Bei genauerem Hinsehen merkt man, dass dieses Argument nicht so unverrückbar ist, wie seine Befürworter suggerieren. Es ist richtig, dass die USA weniger Macht in der Region haben. Aber es ist nicht so, dass China oder Russland die amerikanische Rolle vollends übernehmen könnten. Es gibt zwar autokratische Regierungen, die sich in Richtung Chinas oder Russlands orientieren und die Beziehungen zu diesen Mächten vertiefen. Aber für viele dieser Regime sind die Beziehungen zum Westen nach wie vor wichtig, auch zu den USA, die zu den Sicherheitsgaranten vieler Staaten zählen. Zudem gibt es in Iran, von Seiten der Gesellschaft, aber auch von Teilen der technokratischen Elite, immense Bedenken gegenüber einer Annäherung an China und Russland, welche deswegen nicht konfliktfrei vonstattengehen wird. Mit anderen Worten: Man muss in dieser Frage zwischen Realität und Rhetorik unterscheiden. Und die Rhetorik suggeriert, dass man Iran vollends an „den Osten“ verliert. Aber die Realität zeigt, dass das Bild sehr viel komplizierter ist. Und das bedeutet, dass die westliche Politik hier eingreifen kann, um solche Entwicklungen mit zu beeinflussen.♦

Der deutsch-iranische Politologe Dr. Ali Fathollah-Nejad ist Experte für den Nahen/Mittleren Osten und außenpolitische Fragen. Von ihm erscheint demnächst eine längere Studie für EUISS (European Union Institute for Security Studies), dem Think-Tank der Europäischen Union, die die Krisen der Islamischen Republik nachzeichnet und einen Paradigmenwechsel in der Iran-Politik fordert.

Hinweis: Nächstes „Launch Webinar“ von CMEG findet am 31. Mai, ab 18 Uhr statt. Titel: „#IranFutures: A multidisciplinary look at Iran’s protests and future trajectory“, mit Azadeh Pourzand, Dr. Shirin Hakim, Dr. Behrooz Bayat, Dr. Mehdi Ghodsi. Moderation Dr. Ali Fathollah-Nejad. Registrierung via https://cmeg.org/events.

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