Bidens Iran-Politik und der Schatten der Obama-Doktrin

Nachdem US-Präsident Biden sein Iran-Team zusammenstellte, erschien eine Wiederholung der Iran-Politik Obamas an der Tagesordnung. Die Islamische Republik setzt unterdessen auf dieselbe Strategie wie vor einem Jahrzehnt mit dem Ziel, die regimedestabilisierenden Sanktionen aufzuheben. Eine Analyse von Ali Fathollah-Nejad.

In der Islamischen Republik Iran sind zentrale außen- und sicherheitspolitische Themen, darunter das Atomprogramm, Resultat eines Elitekonsenses, dessen oberstes Ziel der Machterhalt des Regimes ist. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass der Westen in die gleichen iranischen Fallen tappen könnte wie während der Obama-Ära. Die Eile, die Wiener Nuklearvereinbarung über das iranische Atomprogramm (JCPOA) in einem Vertragstreue-versus-Vertragstreue-Mechanismus wiederzubeleben, würde zwar die Bedenken hinsichtlich der Nichtverbreitung von Atomwaffen ausräumen, aber gleichzeitig die Chance vergeben, Teheran zu einem umfassenderen Abkommen zu bewegen. Nicht zuletzt aufgrund der geopolitischen Lage in der Region, die sich in den letzten zehn Jahren stark verändert hat, wird eine bloße Rückkehr zum Iran-Ansatz der Obama-Ära wahrscheinlich die Kehrseiten des JCPOA reproduzieren und bestehende regionale Rivalitäten verfestigen anstatt sie zu reduzieren.

Bidens „Obama 2.0“-Iran-Team

Die Biden-Regierung hat ein Team von Offiziellen zusammengestellt, das für die Iran-Politik zuständig sein sollen: Außenminister Antony Blinken, der Iran-Sondergesandte Robert Malley, Unterstaatssekretärin Wendy Sherman, der Nationale Sicherheitsberater Jack Sullivan und CIA-Direktor William Burns. Bis auf Blinken waren alle anderen aktiv an den Verhandlungen der Obama-Regierung mit Teheran beteiligt, zunächst über den geheimen „Oman-Kanal“ und anschließend an den Verhandlungen 2013–15, die zur Unterzeichnung des JCPOA führten.

Biden versprach bereits während seines Präsidentschaftswahlkampfs, dem JCPOA als Präsident wieder beizutreten – was die Aufhebung der nuklearbezogenen extraterritorialen US-Sanktionen beinhalten würde, die von seinem Vorgänger Trump nach dem einseitigen Rückzug der USA aus dem JCPOA im Mai 2018 erneut verhängt wurden – sobald Iran zur vollständigen Erfüllung seiner nuklearen Verpflichtungen im Rahmen des Abkommens zurückkehrt. So wurde eine Wiederbelebung von Obamas Iran-Politik, und zwar sowohl mit seinen Vorteilen (nukleare Nichtverbreitung) als auch mit seinen Nachteilen (Iran geopolitisch gewähren zu lassen, was angesichts der expansiven Politik Teherans kontraproduktiv für die Befriedung der Region war). Blinken hat jedoch gefordert, dass eine umfassendere Vereinbarung angestrebt wird, deren Abschluss möglicherweise mehr Zeit braucht.

Dieses Treffen keimte die Hoffnung auf eine Erholung der iranischen Wirtschaft - Irans Außenminister M. Javad Zarif und sein US-amerikanischer Amtskollege John Kerry nach der Einigung im Atomstreit
Gute Freunde: Die ehemaligen Außenminister des Iran und der USA, Mohammad Javad Zarif (re.) und  John Kerry!

„Maximaler Widerstand“ gegen „maximalen Druck“

Trotz der Rhetorik des Obersten Führers Ali Chamenei, Teheran seien die Kandidaten für das Weiße Haus gleichgültig, hatte die Elite des Landes die Wiederwahl Trumps und eine damit einhergehende Fortsetzung seiner äußerst belastenden Politik des „maximalen Drucks“ mit ihren lähmenden Sanktionen befürchtet. Das Regime setzte seine Hoffnungen darauf, dass die Biden-Administration die Sanktionen zügig lockert. Trumps „maximaler Druck“ hatte die Wirtschaft und die finanziellen Lebensadern der Islamischen Republik massiv beschädigt, was geschätzte 300 Milliarden US-Dollar kostete – und somit dem Regime in einer Zeit beispiellosen Drucks von unten zu schaffen machte. Die von der Substanz zehrende Krise der Islamischen Republik äußerte sich in den beiden großen landesweiten Aufstände zur Jahreswende 2017/18 und im November 2019 sowie bei den historisch niedrigsten Wahlbeteiligungen bei der letztjährigen Parlaments- und den diesjährigen Präsidentschaftswahlen. Diese fragile Situation verschärft sich durch die Ungewissheit über die Nachfolge des 82-jährigen Obersten Führers Chamenei an der Spitze der Islamischen Republik.

Als Reaktion auf den „maximalen Druck“ Trumps verfolgte Iran nun eine Politik des „maximalen Widerstands“, die sich auf eine schrittweise Reduzierung seiner nuklearen Verpflichtungen im JCPOA konzentrierte. Sie gipfelte Anfang des Jahres in der Ankündigung der Wiederaufnahme der Urananreicherung von 20 Prozent, was einen qualitativen Sprung in Richtung Waffenfähigkeit darstellt.

Diese Strategie des Iran war das Ergebnis eines fraktionsübergreifenden Elitekonsenses, der die 2000er Jahre spiegelte, als das Sanktionsregime Iran zu lähmen begann. Wie vor dem Durchbruch des geheimen Oman-Gesprächskanals zwischen den USA und Iran 2012 will Teheran seine Position neu konsolidieren und ein Gefühl von Alarmismus in der internationalen Gemeinschaft erzeugen, indem es ihr die Wahl zwischen Pest (ein iranische Atommacht) und Cholera (Bombardierung der nuklearen Infrastruktur Irans) in Aussicht stellt – wobei Letzteres heute noch weniger Unterstützung, international und in den USA, als damals hat sowie zunehmend von erfolgreichen Sabotageakten des israelischen Geheimdienstes gegen das iranische Atomprojekt abgelöst wird.

Bemühung um Sanktionslockerungen

Ziel des „maximalen Widerstands“ Teherans ist es, dringend benötigte Sanktionslockerungen zu erwirken. Iran glaubt, dadurch aus einer Position der Stärke in Verhandlungen mit Washington eintreten zu können, indem es die Hebelwirkung einer deutlichen Ausweitung seines Atomprogramms ausbaut. Derweil hat die iranische Elite die Forderung Washingtons zurückgewiesen, den ersten Schritt zu tun und die Reduzierung seiner JCPOA-Verpflichtungen rückgängig zu machen. Aber noch wichtiger als die Frage der Abfolge zwischen den iranischen (Rückgängigmachung der Reduzierung der Nuklearverpflichtungen) und den amerikanischen (Sanktionslockerung) Schritten, ist jene nach einem umfassenderen Deal.

Zwar hat Teheran die Aufnahme nichtnuklearer Themen wie seiner Regionalpolitik und seines Raketenprogramms abgelehnt, aber es ist fraglich, ob die USA eine bloße Rückkehr zum JCPOA innen- und regionalpolitisch nachhaltig durchsetzen können. Würde Biden nämlich lediglich Obamas Atomdeal wieder zum Leben erwecken, würde er damit auch die Chance verspielen, in einem nächsten Schritt Teheran Konzessionen bei der Regionalpolitik und beim Raketenprogramm abzuringen – denn dann hätte es bereits mit den Sanktionsaufhebungen ihr Hauptdruckmittel aus der Hand gegeben.

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