Arbeiterproteste im Iran
Es vergeht kaum eine Woche, in der im Iran keine Arbeiterproteste stattfinden. Gründe sind nicht bezahlte Löhne, mangelnde Rechtssicherheit und schlechte Arbeitsbedingungen. Die Regierung Rouhani stellt sich entweder auf die Seite der Arbeitgeber und bestraft die Arbeiteraktivisten, oder sie schweigt, wenn der Arbeitgeber die Arbeiter bestraft.
„Arbeiter mit gemeinsamem Schicksal, Arbeiter, die aus Angst vieles einstecken müssen, und Arbeitergeschichten, die sich wiederholen“, so beginnt ein Bericht der Nachrichtenagentur ILNA mit dem Titel „Wir verlangten nach unserem Recht, wurden dafür strafversetzt“, der am 5. Dezember veröffentlicht wurde. Er handelt von den Aktivitäten zweier Minenarbeiter in der iranischen Provinz Yazd, die ein Arbeiterkomitee gründen wollten, um ihre Rechte gegenüber ihrem Arbeitgeber zu verteidigen.
Weiter heißt es in dem Text: „Wenn Verträge befristet sind, gibt es kaum rechtliche Sicherheit für die Arbeiter, und so haben die Arbeitgeber freie Hand, mit den Arbeitern zu machen, was sie wollen.“ Die Arbeiter der Mine forderten bessere Verdienste, aber auch Mitspracherecht bei betrieblichen Entscheidungen, die die Situation der Arbeiter berühren.
Dafür gründeten sie zunächst eine virtuelle Gruppe beim Messaging-Dienst Telegram, der sich laut ILNAs Bericht viele Arbeiter mit Zeitvertrag anschlossen. Dort kamen sie zu dem Entschluss, den Vorstand der Betreiberfirma durch einen Brief von ihren Forderungen in Kenntnis zu setzen. Der Brief sei von der Hälfte der Belegschaft unterschrieben worden.
Der Vorstand akzeptierte zwei Forderungen nach Transparenz bei der Entlohnung der Beschäftigten, sprach sich aber gegen die Forderung nach einer dreiköpfigen Arbeitervertretung aus. Er wäre mit einem einzigen Vertreter einverstanden gewesen, heißt es in dem Bericht. Doch die Wahl des einen Vertreters wurde nach der Abstimmung vom Vorstand nicht akzeptiert, angeblich, weil die Wahlbeteiligung sehr niedrig gewesen sei, schreibt ILNA.
Die Unterdrückung beginnt
Danach beginnt die Schikane der Gründer der Telegram-Gruppe durch den Arbeitgeber. Die Arbeiter wenden sich daraufhin an das Arbeitsministerium in Teheran. Dort wird ihnen geraten, eine Vertreterorganisation zu gründen. Sie gründen eine Gruppe, in die drei Vertreter der Belegschaft gewählt werden.
Das ist dem Arbeitgeber zu viel. So werden zwei der drei Vertreter in eine Bergbauanlage versetzt, die 300 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt ist. Doch sie lehnen sich gegen diese Entscheidung auf, mit der Folge, dass ihr Nichterscheinen am neuen Arbeitsplatz als Arbeitsverweigerung bewertet wird. Also werden sie mit Konsequenzen zu rechnen haben.
ILNA hat sich bei dem Arbeitgeber nach der Versetzung erkundigt. Dessen Antwort lautete: Arbeiter hätten dort zu arbeiten, wo sie gebraucht würden. Wer sich weigerte, werde entlassen.
ILNA schreibt, dass die Arbeiter hofften, Rouhanis Regierung würde ihnen zu Hilfe kommen. Die beiden strafversetzten Arbeiter kämpfen nicht mehr für ihre Rechte, sondern nur noch für ihren Verbleib am bisherigen Arbeitsplatz.
Jahrelange Praxis
Seit Jahren wird im Iran über ähnliche Arbeiterproteste und rigorose Reaktionen der Arbeitgeber oder der Polizei berichtet.
„Wir haben es mit einem Kampf auf zwei Ebenen zu tun: einmal die Proteste wegen nicht gezahlter Löhne und Gehälter, und dann die Bemühungen um die Bildung von unabhängigen Interessenorganisationen“, sagt Alireza Navai im Gespräch mit der persischsprachigen Redaktion der Deutschen Welle. Der in Paris lebende Experte für Arbeiterrechte ist der Meinung, dass dieser Kampf nur dann effizient sein wird, wenn sich die Aktivitäten auf beiden Ebenen miteinander verbinden.
Rouhanis Regierung würde sich mehr um die Belange der Arbeitgeber als um die der Beschäftigten kümmern, sagt der Forscher: „Sie begünstigt die Entlassung der Arbeiter und verhindert die Schaffung von freien Interessenorganisationen.“
Die Gründe dieser arbeiterfeindlichen Haltung sieht Navai in der Bestrebung der Regierung, mehr Privatisierung zu schaffen und Investoren anzulocken: „Die Regierung glaubt, mit billiger und williger Arbeitskraft würde ausländisches Kapital ins Land fließen und die Konjunkturflaute beheben.“
Bislang haben diese Maßnahmen jedoch keine Früchte getragen. Zeitgleich werden die Proteste der legalen staatlichen und der illegalen unabhängigen Arbeiterverbände immer lauter. Am internationalen Tag der Arbeit etwa haben mehrere Arbeiterverbände die Regierung aufgefordert, die juristische Verfolgung von Arbeiteraktivisten zu beenden und nicht jeden Arbeiterprotest gleich als sicherheitsgefährdend einzustufen.
Jüngste eklatante Beispiele
Der letzte Übergriff von Spezialeinheiten der Polizei auf protestierende Arbeiter, der im Iran mediales Echo fand, ereignete sich im September. Die Beschäftigten der Hepko-Fabrik und der Montagefirma Azar-Ab in der zentraliranischen Provinz Arak protestierten wegen ausstehender Löhne. Sie waren monatelang unregelmäßig oder gar nicht bezahlt worden. Die Polizei schlug die Proteste nieder und verhaftete die Organisatoren der Aktionen.
Bereits seit dem Sommer kommt es in der Zuckergewinnungsanlage Haft-Tapeh in der südiranischen Provinz Chuzestan zu Arbeitsniederlegungen, Protesten und Festnahmen. Die Arbeiter sind seit dem 11. Juli nicht mehr bezahlt worden. Die Repressalien gegen die Aktivisten sind so groß, dass die Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Catering-, Tabak- und verwandter Arbeitnehmerverbände (IUL) zur Solidarität aufgerufen hat. Auf der IUL-Homepage kann man eine Protestbotschaft an den Führer der Islamischen Republik, Ali Khamenei, versenden.
Sie geben nicht auf
Trotz des Drucks, dem Arbeiter und besonders Zeitarbeiter ausgesetzt sind, hören die Proteste nicht auf. Zuletzt organisierten die Arbeiter der Lichtreklame-Fabrik Lavan Tablo in der Stadt Kerman eine Demonstration. Sie haben laut iranischen Medien seit neun Monaten keinen Lohn bekommen.
Davor, am 5. Dezember, veranstalteten die Beschäftigten der Expeditionsfirma Khalidje Fars einen Sitzstreik. Sie versammelten sich vor einem Büro der Firma in Teheran und protestierten wegen monatelang ausgebliebener Löhne. Laut ILNA wurden die Arbeiter dieser Firma in einer Produktionsanlage in der Nähe von Teheran zwei Monate lang nicht bezahlt, ihre KollegInnen in anderen Städten vier Monate.
Am 4. Dezember hatte ILNA berichtet, dass die Arbeiter der Bonbon- und Keksfabrik Azarshahd in der Stadt Urmia seit Ende März nicht mehr bezahlt worden seien. Man erwartete Proteste, doch Gerüchten zufolge wurde den Arbeiteraktivisten mit hartem Vorgehen der Sicherheitskräfte gedroht. Ob sie sich von dieser Drohung einschüchtern lassen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.
Übertragen aus dem Persischen und überarbeitet von Iman Aslani
© Iran Journal
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