Umfangreicher Antrag der Grünen im Bundestag zum Iran

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag fordert die Bundesregierung in einem umfangreichen Antrag auf, sich deutlich massiver als bisher für eine Verbesserung der menschen- und bürgerrechtlichen Situation im Iran einzusetzen. Der Antrag schlägt dazu 25 Maßnahmen vor, die die Lage der Iraner*innen deutlich verändern könnten. Das Iran Journal veröffentlicht den Wortlaut des Antrags.

„Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Margarete Bause, Claudia Roth, Kai Gehring, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Jürgen Trittin, Ottmar von Holtz und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Iran – Menschenrechtsverletzungen verurteilen und völkerrechtliche Verpflichtungen konsequent einfordern Der Bundestag wolle beschließen:

Erstens: Der Deutsche Bundestag stellt fest: Der Iran ist Mitglied der Vereinten Nationen, hat für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gestimmt und ist Signatar des Internationalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte sowie anderer internationaler Menschenrechtsverträge. Unter Verstoß dieser und anderer internationaler Verpflichtungen werden im Iran systematisch Menschen- und Bürgerrechte missachtet und verletzt.

Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit werden von den Behörden massiv eingeschränkt. Internetseiten und soziale Medien werden blockiert und kritische Medienbetriebe geschlossen. Initiativen für mehr Frauenrechte werden im Keim erstickt. Die Behörden gehen beispielsweise erbittert gegen AktivistInnen vor, die sich gegen den diskriminierenden Kopftuchzwang engagieren – teilweise mit jahrzehntelangen Gefängnisstrafen oder Peitschenhieben. Hinzu kommt, dass die Behörden mit äußerster Härte gegen MenschenrechtsanwältInnen vorgehen und sie strafrechtlich wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit verfolgen. Im März 2019 wurde die Rechtsanwältin und Trägerin des Sacharow-Menschenrechtspreises des Europaparlaments, Nasrin Sotoudeh, zu 33 Jahren und sechs Monaten Gefängnis und zu 148 Peitschenhieben verurteilt (zeit.de). Berichten zufolge befindet sie sich zunehmend in Lebensgefahr (euronews.com). Es ist das zweite Mal innerhalb von weniger als sechs Monaten, dass Sotoudeh in einen Hungerstreik getreten ist, um gegen die Misshandlung iranischer politischer Gefangener zu protestieren, die durch die Covid19-Pandemie, die auch in den Gefängnissen des Landes wütet, gefährdet sind. Während die iranische Justiz Anfang April über 100 000 Insassen, zumindest vorübergehend, aus der Haft entlassen hat, verbleiben politische Gefangene unter menschenunwürdigen Bedingungen weiterhin inhaftiert. Indem die iranischen Behörden politische Gefangene in überfüllten und unhygienischen Gefängnissen halten, wo ihnen medizinische Versorgung verweigert wird und sie nicht von kranken Gefangenen getrennt werden, werden sie einer Covid-19 Infektion mit möglichen fatalen Folgen schutzlos ausgeliefert.

Parole gegen Baha'i auf einem Schaufenster: "Baha'i, amerikanische Heiden - Tod den Baha'i, israelische Heiden"
Parole gegen Baha’i auf einem Schaufenster: „Baha’i, amerikanische Heiden – Tod den Baha’i, israelische Heiden“

Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten wie etwa Kurden, Baha’is, Christen, Sufis und Sunniten sind im Iran oft vielfachen Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt (dw.com). Die Baha’is sind mit 300.000 Anhängern die größte religiöse Minderheit im Iran. Seit Jahrzehnten werden sie willkürlich inhaftiert, schikaniert und diffamiert. Baha’is haben keinen rechtlichen Schutz als Minderheit, weil ihr Glaube nicht in der Verfassung anerkannt ist (iran-hrm.com). Unter dem Deckmantel der Covid19-Pandemie haben iranische Behörden in den vergangenen Monaten zahlreiche Baha’is zur Strafverfolgung ins Visier genommen. 26 von ihnen wurden angeklagt und verurteilt (iranjournal.org).

Aufgrund diskriminierender Gesetze sind Homosexuelle und andere sexuelle Minderheiten (LGBTQI) im Iran regelmäßig der Gefahr von Belästigung, Gewalt und sogar dem Tod ausgesetzt (https://www.hrw.org/news/2010/12/15/irandiscrimination-and-violence-against-sexual-minorities).

Auch AktivistInnen im Bereich Umwelt- und Naturschutz sind von Repression und Willkür nicht sicher. Im Januar 2018 verhafteten Islamische Revolutionsgarden neun UmweltaktivistInnen. Einer der Inhaftierten, der Universitätsprofessor Kavous Seyed-Emami, kam nach zwei Wochen in Untersuchungshaft unter ungeklärten Umständen ums Leben. Zwei der Aktivisten, Morad Tahbaz und Niloufar Bayani, wurden zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Houman Jokar und Taher Ghadirian erhielten jeweils acht Jahre Haft wegen angeblicher „Zusammenarbeit mit der feindlichen Regierung Amerikas“. Drei weitere AktivistInnen – Sam Rajabi, Sepideh Kashan Doust und Amirhossein Khaleghi Hamidi – wurden jeweils zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Der achte Aktivist, Abdolreza Kouhpayeh, wurde zu vier Jahren Haft in einem iranischen Gefängnis verurteilt (rferl.org).

Friedliche Proteste werden in den meisten Fällen unterdrückt und niedergeschlagen. Unzählige Fälle von Verschwindenlassen sind zwar dokumentiert, werden aber nicht aufgearbeitet. JournalistInnen, RegierungskritikerInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen und zivilgesellschaftliche AktivistInnen werden willkürlich festgenommen und ohne faire Gerichtsverfahren verurteilt. Doppelstaatlerinnen und Doppelstaatler wie Fariba Abdelkhah, Kamran Ghaderi oder Nazanin Zaghari-Ratcliffe sowie westliche ForscherInnen wie Kylie Moore-Gilbert werden immer wieder als politische Geisel behandelt und müssen als Druckmittel im Konflikt mit dem Western herhalten.

Nazanin-Zaghari-Ratcliffe soll erneut der Prozess gemacht werden!
Nazanin-Zaghari-Ratcliffe soll erneut der Prozess gemacht werden!

Ende Juli wurde der in den USA lebende Deutsch-Iraner Jamshid Shahrmahd vom iranischen Geheimdienst laut Aussagen seiner Familie aus Dubai entführt und in iranischer Haft unter Folter zu einem Geständnis gezwungen (radiofarda.com). Noch im vergangenen Oktober wurde ein in Paris ansässiger Dissident, Ruhollah Zam, in den Irak gelockt und dort verhaftet. Ein Islamisches Revolutionsgericht verurteilte Zam Ende Juni letzten Jahres zum Tode.

Häufig erleiden politische Gefangene in der Haft Folter und Misshandlungen und ihnen werden notwendige medizinische Behandlungen vorenthalten (hrw.org ). Die iranischen Justizbehörden haben den Preis für friedlichen Dissens dramatisch erhöht und Dutzende von MenschenrechtsverteidigerInnen und -aktivistInnen zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt. Schwerwiegende Missbräuche durch die Sicherheits- und Geheimdienstbehörden bei den landesweiten Protesten von November 2019 werden bis heute vertuscht, genauso wie die zahlreichen Todesopfer der Proteste (reuters.com ) und die tausenden unrechtmäßigen Verhaftungen und Verurteilungen.

Laut eines umfangreichen Berichts von Amnesty International seien insgesamt rund 7.000 Männer, Frauen und auch Kinder innerhalb weniger Tage festgenommen, gefoltert und misshandelt worden. Dadurch seien zweifelhafte „Geständnisse“ über Teilnahmen an Demonstrationen, Mitgliedschaft in Oppositionsgruppen sowie Kontakte zu ausländischen Regierungen und Medien erzwungen worden. Zu den angewendeten Foltertechniken gehörten „Waterboarding“, Elektroschocks, das Besprühen der Genitalien mit Pfefferspray, Prügel, sexuelle Gewaltanwendung und Scheinhinrichtungen (amnesty.org).

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