Umfangreicher Antrag der Grünen im Bundestag zum Iran

Seit Februar 2020 wurden zudem eine Reihe von jungen Männern auf Grundlage des Vorwurfs sich während der Proteste an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt zu haben zum Tode verurteilt (dw.com). Anfang September 2020 wurde der Ringer Navid Afkari, unter dem Vorwurf am Rande von Protesten im Sommer 2018 einen Sicherheitsbeamten erstochen zu haben, zum Tode verurteilt. Am 12. September 2020 wurde das Urteil, unangekündigt und trotz internationaler Proteste, vollstreckt. Afkari wurde jeder Anschein eines ordnungsgemäßen Verfahrens und eines fairen Prozesses verweigert. Es gibt Beweise dafür, dass er die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen hat, und sein Vorwurf sein Geständnis sei unter Folter erzwungen worden, wurde von der iranischen Justiz nie untersucht. Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Strafe, die gegen die Grundrechte eines jeden Menschen auf Leben und Würde verstößt. Der Iran führt sogar weltweit die düstere Liste der Länder an, die minderjährige StraftäterInnen hinrichten (amnesty-todesstrafe.de).

Afghanische Kinder und Jugendliche werden darüber hinaus durch ihre Zwangsrekrutierung als Soldaten im Krieg in Syrien regelrecht in den Tod geschickt (hrw.org ). Darüber hinaus verletzt die iranische Regierung die Menschenrechte afghanischer Geflüchteter auf verschiedene Weise. Darunter durch Zwangsdeportation, Verweigerung des Rechts auf Bildung, Zwangsarbeit, fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung, Verweigerung der Bewegungsfreiheit, erzwungene Familientrennung, regelmäßige körperliche Misshandlungen und Misshandlungen in Haft- und Deportationszentren (refugeeresearchonline.org).

Die iranische Bevölkerung leidet zudem unter der sogenannten „maximum pressure“ Kampagne der Trump Administration seit dem einseitigen Ausstieg der USA aus der Wiener Nuklearvereinbarung und der Intensivierung des US-amerikanischen Sanktionsregimes. Neben Korruption und Missmanagement verschärft es die wirtschaftliche Lage der Iranerinnen und Iraner dramatisch. Eine Untersuchung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vom Oktober 2019 stellt beispielsweise fest, dass der Iran kaum noch in der Lage sei, humanitäre Importe, darunter auch Medikamente, zu finanzieren (hrw.org ). Zudem wächst in der Bevölkerung die Angst vor einer militärischen Auseinandersetzung mit den USA. Die Menschen im Iran fühlen sich insofern innen- sowie außenpolitisch unter Druck gesetzt.

 

Dringend benötigte Medikamente bekommt man im Iran auf dem illegalen Markt, in vielen Fällen nur gegen harte Währung!
Dringend benötigte Medikamente bekommt man im Iran auf dem illegalen Markt, in vielen Fällen nur gegen harte Währung!

Zweitens: Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gegenüber der iranischen Regierung auf Rechtsstaatlichkeit sowie der Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu dringen, um die Sicherheit der iranischen Bevölkerung zu gewährleisten;

2. öffentlich und entschieden die Repression der Menschen- und Bürgerrechte im Iran zu verurteilen;

3. die iranische Regierung aufzufordern alle politischen Gefangenen sofort und bedingungslos aus der Haft zu entlassen und die Urteile gegen sie aufzuheben;

4. gegenüber der iranischen Regierung auf Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen im Rahmen des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte zu bestehen, zu denen insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit zählen;

5. die Bemühungen der iranischen Zivilgesellschaft zu unterstützen, die Gewährleistung von Grund- und Menschenrechten zu fördern, die die Grundlage für die Entstehung eines frei gewählten, offenen und demokratischen politischen Systems bilden;

6. der iranischen Bevölkerung zu helfen, Informationen frei und sicher im Internet und anderen Medien zu produzieren, zugänglich zu machen und auszutauschen;

7. die Regierung Irans aufzufordern die Diskriminierung und Verfolgung von MenschenrechtsverteidigerInnen, religiösen und ethnischen Minderheiten, Frauen, LGBTQI und Oppositionellen einzustellen sowie Fälle von Polizeigewalt und Vorwürfe über begangene Verbrechen gegen die Menschlichkeit juristisch aufzuklären, damit die Opfer entschädigt und die Täter verurteilt werden, um Straflosigkeit zu bekämpfen;

8. gemeinsam mit internationalen PartnerInnen zusammenzuarbeiten, um Menschenrechtsverletzungen durch hohe Beamte der iranischen Regierung zu untersuchen, unabhängig davon, wo und wann solche Verletzungen stattgefunden haben;

9. sich für faire rechtsstaatliche Verfahren für alle Inhaftierten und für die sofortige und bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen und MenschenrechtsverteidigerInnen einzusetzen bzw. für ihre menschenwürdige und medizinisch angemessene Behandlung während der Haft insbesondere während der andauernden Covid-19 Pandemie;

10. sich für die Bildung einer hochrangigen internationalen Delegation einzusetzen, die sich in direkten Gesprächen mit der iranischen Regierung für die Freilassung von MenschenrechtsaktivistInnen wie Nasrin

Sotoudeh und die Aufhebung des gegen sie verhängten Urteils aussprechen;

11. im Rahmen der EU, gezielte und individuelle Visa- und Vermögenssperren von führenden RegierungsvertreterInnen und Einzelpersonen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind auszuweiten;

12. im Rahmen der EU einen formellen Menschenrechtsdialog mit konkreten Voraussetzungen und Vorgaben aufzunehmen und informelle Menschenrechtskonsultationen zügig voranzutreiben;

13. öffentlich die iranische Regierung aufzufordern die Menschenrechtsverletzungen an im Iran lebenden Afghaninnen und Afghanen und die Zwangsrekrutierung gerade von Kindern und Jugendlichen als Soldaten im Syrien-Krieg durch die Revolutionsgarden sofort zu beenden und diesen Menschen eine Zukunftsperspektive im Iran zu ermöglichen;

14. die iranische Regierung aufzufordern die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur Kinderechtskonvention (Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on the involvement of children in armed conflict) durch das iranische Parlament voranzutreiben;

15. über das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zusätzliche Mittel für den Schutz und die Versorgung der Geflüchteten aus den Nachbarländern wie Afghanistan zur Verfügung zu stellen;

16. sich im Sinne der VN-Resolution 1325 und ihrer Folgeresolutionen dafür einzusetzen, dass spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt, insbesondere vor Vergewaltigung und anderen Formen des sexuellen Missbrauchs, ergriffen werden;

17. die iranische Regierung aufzufordern, die Zusammenarbeit mit dem VNHochkommissariat für Menschenrechte aufzunehmen, der Hochkommissarin für Menschenrechte Zutritt nach Iran zu gewähren und damit der schweren menschenrechtlichen Krise und Straflosigkeit entgegenzutreten;

18. die iranische Regierung aufzufordern mit dem VN-Sonderberichterstatter für Iran zu kooperieren und ihm entsprechend die Einreise in den Iran zu erlauben;

19. sich gegenüber der iranischen Regierung dafür einsetzen, dass inhumane Strafen wie Peitschenhiebe nicht länger zur Anwendung kommen und darauf zu dringen, dass Inhaftierungen und Haftstrafen den Mindestgrundsätzen der VN für die Behandlung der Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln) entsprechen;

20. gegenüber der iranischen Regierung drauf zu dringen Art. 48 des iranischen Strafprozessordnung dahingehend zu ändern, dass allen Angeklagten das Recht gewährt wird durch einen Verteidiger oder Verteidigerin ihrer Wahl vertreten zu werden und sie Zugang zu einem fairen Verfahren im Einklang mit dem VN-Zivilpakt haben;

21. die deutsche Botschaft zur regelmäßigen proaktiven Vernetzung mit MenschenrechtsverteidigerInnen vor Ort zu verpflichten, zum Beispiel Schutz- und Austauschräume anzubieten, Prozessbeobachtungen bei Gerichtsverfahren gegen MRV durchzuführen, bei der Sammlung von Beweisen über die Verfolgung von MRV vor Ort zur Bekämpfung von Straflosigkeit zu unterstützen, über Beteiligungsrechte aufzuklären;

22. häufiger und schneller humanitäre Visa für akut bedrohte MenschenrechtsverteidigerInnen zu erteilen;

23. die deutsche Botschaft anzuweisen, bei der Verhängung der Todesstrafe grundsätzlich zu protestieren und die Betroffenen in den Gefängnissen zu besuchen, um ihre Fälle öffentlich zu machen und zu dokumentieren;

24. sich für ein sofortiges Verbot der Todesstrafe, insbesondere an Minderjährigen einzusetzen und darauf hinzuweisen, dass diese Praxis gegen die seitens des Iran ratifizierte VN-Kinderrechtskonvention verstößt;

25. eine kohärente deutsche und europäische Politik im Außen-, Handels und Wirtschaftsbereich zu betreiben, zu deren Kernelementen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zählen.

Berlin, den 15. September 2020, Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion“