Kommandeure der Revolutionsgarde beklagen sinkende Kampfmoral der Gardisten

Der geleakte Bericht eines Treffens zwischen dem Obersten Führer der Islamischen Republik Iran und Kommandeuren der iranischen Revolutionsgarde zeigt: Es gibt offenbar große Unzufriedenheit und Unruhe innerhalb der Garde.

Von Omid Rezaee

Kommandeure der Revolutionsgarden sollen bei einem Treffen mit Ayatollah Ali Chamenei ihre Frustration über die anhaltenden Proteste im Iran zum Ausdruck gebracht haben. Das geht aus einem Bericht hervor, der unter anderem von der oppositionellen Nachrichtenwebseite IranWire veröffentlicht wurde. Chamenei ist religiöses Staatsoberhaupt und oberster Befehlshaber der Streitkräfte des Iran.

Das Treffen soll bereits am 3. Januar dieses Jahr stattgefunden haben, vier Monate nach Ausbruch der landesweiten Proteste, deren Auslöser der gewaltsame Tod der 22-jährigen Kurdin Mahsa Jina Amini in iranischem Polizeigewahrsam war.

Bei dem Bericht handelt es sich um ein Protokoll des Treffens, bei dem 58 Kommandeure und hochrangige Sicherheitskräfte anwesend gewesen sein sollen. Demnach schätzten Kommandeure der Revolutionsgarde (IRGC) die Sicherheitslage im Land als besorgniserregend ein. Hauptthema des Treffens soll dem geleakten Bericht zufolge die Schwächung der Sicherheitskompetenz des Staates gewesen sein. Die anwesenden Kommandeure beschwerten sich diesbezüglich über mangelnde finanzielle Ressourcen und forderten mehr Geld für ihre Einheiten. Dies sei von entscheidender Bedeutung, um die Truppen weiter zusammenhalten zu können.

Moral“ der Revolutionsgarde sinkt

Viele der bei dem Treffen anwesenden Garde-Kommandeure haben sich dem Bericht zufolge insbesondere darüber besorgt gezeigt, dass viele Gardisten sich geweigert hätten, gegen die Protestierenden vorzugehen und auf Zivilist*innen zu schießen. Sie warnten Chamenei, dass die Kampfmoral der für Unterdrückung von Protesten zuständigen Garde mit dem Fortdauern des Aufstandes sinke. Zudem sollen Konflikte unter Unteroffizieren der Garde zugenommen haben. Demnach soll Abdullah Haji Sadeghi, Chameneis Sonderberichterstatter in der Revolutionsgarde, bei dem Treffen gesagt haben: „Aus unseren Erkenntnissen geht hervor, dass sich die IRGC-Kräfte nicht mehr in der gleichen Lage wie im letzten Jahr befinden, insbesondere was ihre Moral betrifft, da sie abgesunken ist.“ „Wir haben Informationen und Zahlen von verschiedenen Einheiten über alle Abteilungen hinaus erhoben, die das Auftreten von Konflikten innerhalb der Truppen aufzeigen,“ so Haji Sadeghi. Er warnte zudem davor, „dass es nicht um eine Handvoll von Persönlichkeiten geht, sondern um eine Streitkraft, die aus über 600.000 Personen besteht.“

In verschiedenen Einheiten der Revolutionsgarde gibt es Konflikte unter den Gardisten, sagt Chameneis Vertreter bei der IRGC

Ein Beispiel soll Ehsan Khorshidi, der stellvertretende Kommandeur der Revolutionsgarde in der Provinz Alborz, genannt haben. Demnach hatte eine Gruppe von Soldaten, die ihre Wehrpflicht bei der Revolutionsgarde ableisten, einen Diebstahl aus einem Militärlager gemeldet. Bei einer Untersuchung habe sich dann herausgestellt, dass der Diebstahl eine Inszenierung war: Soldaten und Unteroffiziere hätten die aus dem Lager verschwundenen Güter in ärmeren Vierteln der Großstadt Karaj verteilt, so der Kommandeur: „Die Verdächtigen befinden sich derzeit in Gewahrsam, aber wir wissen nicht, wie wir weiter vorgehen sollen.“

Laut Mahmoud Mohammadi Shahroudi, der für die paramilitärische Unterabteilung der Revolutionsgarde Basij an den Universitäten und theologischen Schulen zuständig ist, hätten in den letzten Monaten rund 5.000 Basij-Mitglieder die Organisation verlassen. „Ich glaube, dass dies sowie die Meinungsverschiedenheiten zwischen Theologiestudenten und etablierten Geistlichen in den letzten zwei Monaten, nicht nur für die Vertreter des Obersten Führers, sondern auch für die Juristen und die religiös-politischen Gremien der IRGC eine Überraschung war“, soll Mohammadi Shahroudi bei dem Treffen gesagt haben.

Während der landesweiten Proteste 2022 sollen rund 5.000 Basijis die paramilitärische Organisation Basij verlassen haben
Während der landesweiten Proteste 2022 sollen rund 5.000 Basijis die paramilitärische Organisation Basij verlassen haben

Plan zum Angriff auf Chameneis Residenz

Laut Gholamali Rashid, Befehlshaber des Khatam-al-Anbiya-Hauptquartiers in Teheran und zuvor stellvertretender Generalstabschef der Streitkräfte der Islamischen Republik, geht die Unzufriedenheit so weit, dass ein Offizier der Garde Chameneis Residenz mit Artillerie beschießen wollte. „Dank der sofortigen Reaktion unserer Kameraden in der Einheit konnte der Täter identifiziert und festgenommen werden“, so Rashid.

Die Kommandeure und Chamenei hätten eine Reihe von Beschlüssen gefasst, um die Lage in den Griff zu bekommen, heißt es in dem Bericht, der zuerst auf einem Telegram-Kanal veröffentlicht wurde. Dazu sollen die Freilassung einer großen Zahl inhaftierter Demonstrant*innen, die Erhöhung des Haushalts der Revolutionsgarde, des Militärs und der Geheimdienste sowie finanzielle Vorteile für Mitglieder der Basij-Truppen gehören. Doch woher die zusätzlichen Gelder kommen, ist unklar. Die Islamische Republik erlebt derzeit eine beispiellose Wirtschaftskrise. Die Inflation ist schwindelerregend und der Wertverlust des iranischen Rials erreicht täglich neue Rekorde.

Auf die Authentizität des Berichts verweist, dass Chamenei seine alte Position nach dem Treffen überraschend mäßigte. Am 4. Januar – ein Tag nach dem Treffen – erklärte er, man dürfe nicht alle Frauen, die die islamischen Bekleidungsvorschriften „nicht richtig einhalten“, als „konterrevolutionär“ bezeichnen: „Sie sind alle unsere Töchter.“ Zwei Monate zuvor hatte er von „vom Ausland irregeführten Frauen“ gesprochen und die Kritiker des Kopftuchzwangs als „bewusste oder unbewusste Komplizen ausländischer Feinde“ bezeichnet.

Derzeit tragen viele Frauen in den iranischen Großstädten kein Kopftuch. Sie werden zwar immer wieder als „Feindinnen des Islams“ mit drakonischen Strafen bedroht, doch Chameneis Äußerung zeigt, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, den Schleierzwang durchzusetzen.♦

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