Schikanen gegen Frauen wegen Verstößen gegen Hijab nehmen zu

Zusammenfassung eines Berichts der Teheraner Zeitung Etemad.

Seit dem landesweiten Aufstand im Iran ab September 2022, der in verschiedenen Formen bis heute weitergeht, trauen sich immer mehr iranische Frauen, ohne Kopftuch in die Öffentlichkeit zu gehen – etwa beim Autofahren. Gleichzeitig verstärkt das Regime Strafmaßnahmen und andere Formen der Schikane gegen Frauen. Polizist:innen und Geheimdienstmitarbeiter:innen sowie Taxifahrer:innen müssen Auto-Kennzeichen solcher Frauen aufschreiben oder fotografieren und diese an die Polizei weiterleiten.

Die angezeigten Frauen bekommen dann von der Polizei eine SMS, die besagt, dass sie bis zur Klärung des Sachverhalts ihr Auto nicht nutzen dürfen. Dafür müssen sie ihr Auto auf einem von der Polizei bestimmten Parkplatz abstellen. In der Regel wird für „widerspenstige“ Frauen beim ersten Mal eine Geldstrafe festgelegt. Bei Wiederholung drohen ihnen auch Gefängnisstrafen oder Peitschenhiebe.

Die Journalistin Nayereh Khademi hat für die Teheraner Tageszeitung Etemad eine Polizeistation besucht und mit Betroffenen gesprochen. Das Iran Journal veröffentlicht eine Zusammenfassung des Berichtes:

Die Liste der Parkhäuser, die mit der Polizei unter Vertrag stehen, ist vor einem Plattenbau neben einer Station der „Sicherheitspolizei“ platziert. Darauf stehen die Namen und Adressen von 45 Parkhäusern. Zuerst müssen Frauen, deren Auto abgestellt werden soll oder schon abgestellt wurde, in dem Gebäude bei verhüllten Frauen, die Operatorinnen genannt werden und hinter Glasscheiben sitzen, nachfragen, ob und wo sie ihr Auto bis zur Klärung des Falls parken sollen, oder ob sie ihre abgestellten Autos abholen dürfen.

Shiva ist eine von ihnen. Sie hat 17 mal eine SMS erhalten und sagt, dass sie wahrscheinlich auch in Zukunft solche Nachrichten bekommen werde, weil es ihr nicht wichtig sei, wie oft ihr Auto wegen des Verstoßes gegen die Hijabvorschriften beschlagnahmt wird.

Eine andere Frau hatte vor einigen Tagen im Straßenverkehr einen Streit mit einem Taxifahrer. Sie glaubt, der Taxifahrer habe das Nummernschild ihres Autos aufgeschrieben und einen Verstoß gegen die Hijab-Regeln gemeldet.

Azar, deren Wangen rot vor Wut sind, zieht ihr Kopftuch zurecht und beschwert sich über die Schikanen. Nach einem kurzen Satzwechsel mit der Operatorin hinter der Glasscheibe antwortet diese ihr nicht mehr.

Die nächste Person ist eine Frau mit Sprachschwierigkeiten. Sie drückt mit Mühe unverständliche Wörter aus. Die Operatorin versteht sie nicht. Die Frau schreibt einen Satz auf ein Blatt Papier und zeigt ihr Mobiltelefon; sicherlich wurde auch für sie eine SMS zur Fahrzeugsicherstellung gesendet.

Vor dem Gebäude steht eine junge Frau mit besorgtem Gesichtsausdruck und wartet auf ihre krebskranke Schwester. Sie sagt: „Ich habe meine Schwester von der Chemotherapiesitzung direkt hierhergebracht, weil sie eine SMS zur Fahrzeugabstellung erhalten hat. Sie hat kein einziges Haar auf dem Kopf und man wirft ihr Verstoß gegen Hijab-Vorschriften vor! Die Aufregung verschlechtert ihren Zustand.“

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Wir sollen schaffen, was die Behörden nicht geschafft haben“

Niloufar ist eine junge Frau, die aufgrund ihrer Schulden seit einiger Zeit gezwungen ist, als Fahrerin für einen Online-Fahrdienst zu arbeiten. Sie hat auch eine der besagten SMS erhalten. Nicht wegen ihres eigenen Hijabs, sondern weil sie angeblich eine Passagierin ohne Kopftuch befördert haben soll. Sie bestreitet den Vorwurf und sagt: „Die Behörden erwarten, dass wir etwas tun, was überhaupt nichts mit unserem Beruf zu tun hat.“ Beim Kampf für die Durchsetzung der Hijab-Vorschriften seien die Behörden gescheitert, „jetzt erwarten sie das von uns!“

Es gibt auch eine Schlange von Männern. Vor dem Eingang stehen viele, die meisten mit einer Mappe, und sprechen mit dem Wächter. Sie versuchen freundlich zu sein, damit sie ins Gebäude gehen können, um ihre Angelegenheiten zu verfolgen. Aber der Wächter gibt nicht nach und die Antwort ist und bleibt dieselbe: Nur diejenigen, deren Fahrzeug mindestens eine Woche lang abgestellt wurde, dürfen hineingehen.

Said steht am Ende der Warteschlange. Er senkt den Kopf, hat beim Sprechen Tränen in den Augen. Als die Polizei ihn zum Abstellen seines Autos zwang, sagte sie ihm, es werde nach fünf Tagen freigegeben. Das ist aber nicht geschehen. „Dieses Auto trägt den Lebensunterhalt meiner Familie. Anscheinend interessiert sich niemand für diese Tatsache. Wie kann ich meine Fahrgäste dazu bringen, ihren Hijab vorschriftsmäßig zu tragen? Ich muss doch auf den Verkehr aufpassen und nicht auf die Kopftücher meiner Fahrgäste“, beschwert er sich.

Fast jeder Fahrer und jede Fahrerin hat dieselben Argumente, die vollkommen nachvollziehbar sind. „Sind wir Informanten oder Inspektoren?“, sagt ein anderer. „Es ist offensichtlich, dass damit die Bürger gegeneinander aufgehetzt werden.“

Ein Ehepaar kann sein Auto auch nach drei Wochen noch nicht freibekommen. Ohne den beiden einen Beweis vorgelegt zu haben, hat man behauptet, dass die Frau mehrmals ohne Kopftuch im Auto gesichtet worden sei.

Gleichgültigkeit gegenüber Beschwerden

Einer der Wartenden ist wegen der Schäden da, die beim Parken seines Autos zustande gekommen sind. Er ist verärgert, weil sich niemand verantwortlich fühlt und um seine Beschwerde kümmert. Ein anderer Mann, dessen Auto gerade freigegeben wurde, hat innerhalb einer Woche erneut eine SMS zur Stilllegung des Fahrzeugs erhalten. Der Vorwurf sei ungerechtfertigt, sagt er: „Als ich die SMS sah, habe ich bei der Beschwerdestelle der Polizei angerufen. Sie haben gesagt, ich solle zur Polizeistation gehen. Aber in der Polizeistation sagen sie, dass sie überhaupt nichts tun könnten und ich doch zur Beschwerdestelle der Polizei gehen soll.“

Der Kontakt der Menschen mit der Beschwerdestelle führt oft zu nichts. Die Angelegenheit bleibt auf der Ebene der Eingangsbestätigung der Nachricht und wird nicht bearbeitet. Manchmal wird der Operator wütend und legt einfach das Telefon auf, wie es bei Shojaei geschah. Der Medienschaffende hat die Geschichte auf seinem Instagram-Account erzählt: Er hatte eine der besagten SMS bekommen. In der darin erwähnten Zeit seien aber nur zwei Männer in seinem Auto gewesen. Er habe dann bei der Beschwerdestelle angerufen, wo ihm empfohlen wurde, sich an die Sittenpolizei zu wenden. Als er eine Erklärung dafür verlangte, wurde dort der Hörer aufgelegt.

Auch die Taxifahrerin Niloufar hat sich wegen der SMS mit dieser Stelle telefonisch in Verbindung gesetzt. Der Mann am Telefon sei sehr höflich gewesen, habe ihr aber nicht geholfen, sondern empfohlen, sie solle auf den Hijab ihrer Fahrgäste achten, damit sie keine SMS bekommt: „Wenn Sie die SMS bekommen haben, dann kann man nichts mehr machen.“.

Männer mit langen Haaren
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