Iran-Proteste: Das Ende der Duldung?

Kaderschmiede der Garden

Lang ist die Liste seiner bisherigen Positionen in diesen vier Dekaden. Zuletzt war er elf Jahre lang Vizekommandeur der Imam-Hossein-Universität. Diese Militärhochschule ist Khameneis Lieblingseinrichtung. Pedantisch überwacht er ihr Lehrpersonal, alljährlich nimmt er an der Abschlussfeier der Absolventen teil und hält dort seine wichtigen Reden. Denn hier werden Kommandeure und Offiziere der Revolutionsgarden ausgebildet. Der Hochschule angeschlossen ist eine weitere Universität, an der Naturwissenschaft und Militärtechnik gelehrt wird.

Der Atomphysiker Mohsen Fakhrizadeh, der 2020 höchstwahrscheinlich vom israelischen Geheimdienst ermordet wurde, war der prominenteste Professor dieser Uni. Er galt als Vater des iranischen Atomprogramms, die US-Zeitschrift Foreign Policy zählte ihn zu den 500 mächtigsten Menschen der Welt.

Es wäre eine lange Geschichte, wollte man die Hürden beschreiben, bis jemand zu dieser Hochschule zugelassen wird. Kommandeur dieser Einrichtung zu sein, wie Hamid Abazari, dafür bedarf es einer besonderen Nähe zu Ali Khamenei.

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Die landesweiten Proteste 2022 haben anscheinend auch innerhalb der Revolutionsgarde und der Geistlichkeit zur Meinungsverschiedenheit geführt

Ein TV-Auftritt mit Folgen

Abazari, der als Brigadegeneral tituliert wird, hatte am 27. Dezember einen bemerkenswerten Aufritt im Regionalfernsehen der Provinz Mazandaran am Kaspischen Meer. Er redete lange über Widerstand, Ausdauer und die Notwendigkeit des Kampfes gegen „Unruhestifter und Konterrevolutionäre.“ Ausführlich beschrieb er die psychischen Schwierigkeiten dieses Kampfes.

Dann sagte er wörtlich: „Selbst ich als Kommandant weiß nicht, was morgen geschieht. Ich sah große Kommandeure, die nicht mehr wollten und konnten, sie waren wichtige Kriegsbefehlshaber, ich kannte sie aus dem Krieg sehr gut, und gerade diese wurden schwach und stellten sich gegen unsere Werte.“

Das Video dieses Auftritts sorgte in allen sozialen Medien augenblicklich für beispielloses Aufsehen. Kommentare und Ergänzungen ließen nicht lange auf sich warten. Die Revolutionsgarden mussten unverzüglich auf die Äußerung des Brigadegenerals reagieren; Verschweigen war zwecklos. Abazaris Rede war klar, ausführlich und gut dokumentiert. Dementieren war ebenso unmöglich wie ein persönlicher Angriff gegen den Kommandanten.

All das sei nicht die Position der Garden, es entspreche nicht der Wirklichkeit und sei nur eine persönliche Meinung von Abazari. Mit diesen dürren Zeilen glaubten die Garden allen Spekulationen über einen Riss in der Führung ein Ende gesetzt zu haben. Vergebens. Andere ähnliche Äußerungen von höchsten Stellen folgten.

Das Schweigen der Großayatollahs

Einen Tag später kritisierte Gholamhossein Gheybparvar, der frühere Befehlshaber der Basij-Streitkräfte, „einige Eliten“ dafür, dass sie immer noch über die Unruhen schwiegen. Man habe den Eindruck, dass sie die „islamische Revolution“ schon aufgegeben hätten. „Wir leugnen nicht, dass wir wirtschaftliche Probleme, hohe Preise, Arbeitslosigkeit und andere Schwierigkeiten haben. Wir dürfen aber in dieser Situation keine Zweifel oder Schwäche zeigen“, so der führende Gardist.

Anfang Dezember verbreitete die Hackergruppe Black Reward Dutzende Dateien exklusiver Sicherheitsbriefings, die für Hossein Salami, den Oberkommandanten der Revolutionsgarden, bestimmt waren. In einem dieser Dokumente heißt es, Revolutionsführer Ali Khamenei habe sich bei Gholam Ali Haddad-Adel beklagt, dass viele Eliten der islamischen Republik zu den Unruhen schwiegen. Haddad ist der Schwiegervater von Khameneis Lieblingssohn Mojtaba, der dem Vater folgen will.

Mit schweigender Elite meint Khamenei vor allem jene einflussreichen Geistlichen in Qom, dem Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit im Iran, die in den letzten 30 Jahren bedingungslos und felsenfest seine Herrschaft verteidigten, egal, was er tat. Wie zum Beispiel jene drei Großayatollahs Makarem, Nuri Hamedani und Amoli, die stets alles guthießen, was Khamenei anordnete. Vor den jüngsten Unruhen waren sie ständig in den Medien präsent. Die Zeiten sind vorbei.

Die Proteste haben zwar ihre Heftigkeit inzwischen verloren, doch verschwinden werden sie nicht. Denn nichts hat sich an der Misere der Islamischen Republik geändert – weder an den diversen wirtschaftlichen und politischen Problemen des Landes noch an der Unfähigkeit der Mächtigen, eine Lösung dafür zu finden. Die Veränderungen der letzten drei Monaten sind irreversibel.♦

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