Details zum Anschlag auf Irans Top-Kernphysiker
Immer mehr Informationen über das raffinierte Attentat auf den iranischen Atomwissenschaftler Mohsen Fakhrizadeh geraten an die Öffentlichkeit. Umso stärker werden die Sicherheitsapparate der Islamischen Republik kritisiert.
Die der Revolutionsgarde nahestehende Nachrichtenagentur Fars hat am Montag weitere Details zum Attentat auf den Leiter der Organisation für Forschung und Innovation des iranischen Verteidigungsministeriums Mohsen Fakhrizadeh veröffentlicht. Die Reporter der Nachrichtenagentur wollen herausgefunden haben, dass die „terroristische Operation“ nur drei Minuten gedauert habe. Fakhrizadeh sei mit einem ferngesteuerten Maschinengewehr erschossen worden.
Dem Bericht zufolge war der Kernphysiker mit seiner Ehefrau, begleitet von drei Escort-Wagen, auf dem Weg von der nordiranischen Provinz in die Stadt Absard nahe der Hauptstadt Teheran unterwegs. Kurz vor dem Ziel habe das erste Escort-Team sich vom Rest des Konvois getrennt, um die Sicherheitslage am Ziel zu kontrollieren. Unmittelbar danach seien auf Fakhrizadehs kugelsicheren Wagen mehrere Schüsse aus einem automatischen ferngesteuerten Maschinengewehr abgefeuert worden. Der Wissenschaftler habe nicht bemerkt, was geschehen sei und sei deshalb ausgestiegen, um herauszufinden, ob der Wagen einen Gegenstand angefahren oder einen Motorschaden habe. Dabei sei er erneut beschossen und von drei Kugeln getroffen worden. Die Waffe sei auf einem Nissan-Kleintransporter installiert gewesen, der Sekunden später explodiert sei.
Nach Angabe der Nachrichtenagentur seien keine Personen an dem Attentat beteiligt gewesen. Die Aktion sei perfekt vollautomatisch durchgeführt und dabei nur ein Leibwächter Fakhrizadehs verletzt worden.
Nach Fars-Informationen habe die Suche nach der Identität des Besitzers des Anschlagwagens ergeben, dass der Kleinlaster den Iran am 29. Oktober dieses Jahres verlassen habe – in welches Land, wurde nicht bekannt gegeben.
Im ersten Bericht von Fars war von „drei oder vier“ getöteten „Terroristen“ die Rede.
Versagen der iranischen Geheimdienste
Fakhrizadeh war eine der best geschützten Persönlichkeiten der Islamischen Republik. Bis Freitag gab es kein einziges aktuelles Foto von ihm, er lebte unter dem Pseudonym Dr. Hassan Mohseni. Mit seinem richtigen Namen steht er auf der Liste der „500 mächtigsten Menschen der Welt“ von Foreign Policy und ebenso auf der Sanktionsliste der USA. Deshalb war die berüchtigte Revolutionsgarde für seine Sicherheit verantwortlich.
Der blitzschnelle Anschlag zeugt von Infiltrationen ungeahnten Ausmaßes in den Sicherheitsapparaten der Islamischen Republik, die seit Freitag zum Spott von Aktivist*innen in den Sozialen Netzwerke geworden sind. Es gibt Unmengen von zynischen Kommentaren wie: „Während unsere Sicherheitsorgane auf der Suche nach feindlichen F35-Jets in den Himmel geschaut haben, geschah der Anschlag mit einem klapprigen Kleintransporter. So blöd seid ihr!“, oder „Das Regime setzt lieber die Geheimdienste und Sicherheitsorgane für die Verhaftung von tanzenden Schüler*innen und Frauen ein, die sich nicht an die islamischen Kleidervorschriften halten!“
Das Attentat bietet aber auch radikalen Kräften innerhalb der iranischen Machtzirkel Stoff für neue Propaganda gegen Israel. Diese beharren seit Freitag wie im Falle der Tötung von General Ghassem Soleimani im Januar auf Vergeltung. Doch ob sie dazu in der Lage sind, bezweifeln nicht nur die Expert*innen.
In der Fachcommunity wird auch über den Zeitpunkt des Attentats spekuliert. Nach Meinung Vieler sollte es während Donald Trumps Präsidentschaft geschehen, denn Trump und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu haben in etwa die gleiche Vorstellung über den Umgang mit der Islamischen Republik.
Teheran in der Zwickmühle
„Israel und Saudi-Arabien sehen sich als Verlierer einer möglichen Einigung zwischen dem Iran und der nächsten US-Regierung“, schrieb Jafar Mohammadi, Chefredakteur des renommierten iranischen Nachrichtenportals Asr Iran, am Freitag. Er sieht „das Dreieck aus Israel, Saudi-Arabien und ihren Handlangern“ innerhalb der iranischen Machtzirkel als Drahtzieher des Anschlages.
Der Kenner der iranischen Innen- und Außenpolitik ist der Überzeugung, dass die Infiltratoren unter den „scheinbar orthodoxen Gläubigen und Revolutionären“ zu suchen seien.
Seine Behauptung beruhe nicht auf Informationen der Geheimdienste – die seiner Meinung nach „sehr wahrscheinlich niemals veröffentlicht werden“ -, sondern auf der Analyse der jüngsten Ereignisse, so Mohammadi. Er vermutet, dass die Planer des Terroranschlages „wahrscheinlich nach dieser Logik vorgegangen sind“: Mit dem Attentat beseitigt man nicht nur eine Schlüsselfigur in Irans Atom- und Raketenprogramm, sondern es besteht auch die Möglichkeit, dass Teheran sich dadurch in eine Konfrontation begibt, die am Ende die Wiederbelebung des Atomabkommens und mögliche Verhandlungen über die Aufhebung von Sanktionen an den Rand drängen würde.
Mohammadi betont, dass das Fehlen des Kernphysikers Fakhrizadeh „dem iranischen Nuklearprogramm einen größeren Schlag“ versetzt habe „als jemals zuvor.“ Der iranische Physiker Mehran Mostafavi behauptet im Interview mit Radio Kucheh, Fakhrizadehs Rolle im iranischen Atomprogramm könne man mit der Position Robert Oppenheimers im US-amerikanischen Nuklearprogramm vergleichen. „Der Vater der amerikanischen Atombombe“ war während des zweiten Weltkrieges Leiter des amerikanischen Manhattan-Projekts.
Andere Aktivitäten gegen Irans Atomprogramm
Das Atomprogramm der Islamischen Republik hat nicht nur durch internationale Sanktionen Rückschläge erlebt. In den letzten Jahren fielen Majid Shahriari, Massoud Ali Mohammadi, Daryoush Rezai Nejad und Mostafa Ahmadi Roushan auf unterschiedliche Weise Attentaten zum Opfer. Sie alle waren Wissenschaftler im Dienste des Atom- oder Raketenprogramms der Islamischen Republik.
Außerdem verursachte im Juli eine Explosion im Kernkraftwerk Natanz schwere Schäden. Und 2018 hatten Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad in Teheran zehntausende Seiten streng geheimer Dokumente über das Nuklearprogramm des Iran aus den Safes seiner Geheimdienste entwendet.
Bei der Vorstellung von Teilen dieser Dokumente hatte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu Fakhrizadeh vor zwei Jahren in einem Video als einen der wichtigsten Verantwortlichen für das Atom- und Raketenprogramm des Iran bezeichnet und betont: „Behalten Sie diesen Namen im Gedächtnis: Fakhrizadeh!“♦
(fp)
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