Iran–Israel-Konflikt flammt wieder auf
Israels Armee marschiert in den Libanon ein, Iran greift Israel mit Raketen an. Wie ist die Stimmung in Iran, innerhalb der Bevölkerung und unter den Verantwortlichen? Werden Iran und Israel einen Flächenbrand in der Region auslösen?
Von Farhad Payar
„Seit der Ermordung von Hassan Nasrallah ist die Verzweiflung in den Gesichtern der Menschen in der iranischen Hauptstadt deutlich zu sehen“, sagte ein in Teheran lebender politischer Analyst im Gespräch mit dem Iran Journal am Dienstag, den 1. Oktober. „Es gibt Berichte darüber, dass manche bereits Lebensmittel und Benzin horten. Alle warten gespannt auf die Entscheidung des Obersten Führers Ali Khamenei. Denn nach der iranischen Verfassung hat er allein über Krieg oder Frieden zu entscheiden“, so der Experte, der anonym bleiben möchte. Aus den bisherigen Äußerungen Khameneis könne man jedoch nicht entnehmen, dass die iranische Armee bald in den Krieg gegen Israel ziehen würde.
Weniger als sechs Stunden später greift die islamische Revolutionsgarde (IRGC) vom Iran aus Israel an. Mehr als Hundert Raketen sollen auf Israel abgefeuert worden sein, melden der Revolutionsgarde nahestehende Medien. Über Opfer dieses Angriffs gibt es bis zur Verfassung dieses Artikels keine Informationen. Sollte Israel auf diesen Angriff antworten, werde Teheran noch stärker reagieren, teilte die IRGC in einer Erklärung mit. Diese Aussage lässt die Vermutung zu, dass Iran nicht vorhabe, weitere direkte Aktionen gegen seinen Erzfeind durchführen.
Blamage für Khamenei
Israel hat das iranische Regime in den vergangenen Monaten gleich mehrmals blamiert: Hamas-Führer Ismail Haniyeh wurde in Teheran getötet, davor und danach kamen mehrere hochrangige Kommandeure der islamischen Revolutionsgarde durch israelische Angriffe ums Leben; dann die Tötung des wichtigsten Verbündeten des Iran, Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, und der Einmarsch in den Libanon. Viele Experten waren sich seit Tagen einig, dass Khamenei unter Zugzwang stehe und solch eine Blamage nicht unbeantwortet lassen werde.
Die Mehrheit von ihnen ging dabei davon aus, dass sich die Vergeltungsmaßnahmen des islamischen Regimes auf Angriffe auf israelische Einrichtungen in der Region und eventuell in andern Ländern begrenzen würden. Manche rechneten mit schweren Attentaten in Israel, einige auch mit Raketenangriffen wie im April, als Israel das iranische Konsulatsgebäude in Damaskus angegriffen und mehrere hochrangige Revolutionsgardisten getötet hatte. „Aber zu mehr wird Khameneis Regime nicht in der Lage sein“, sagte der Teheraner Experte dem Iran Journal am Dienstag. Teheran hatte vor dem Angriff im April die USA und Israel durch Vermittler darüber informiert. „’Good will‘ seitens des Iran“, sagten manche, „Angst vor größeren Maßnahmen seitens der Gegner“, glaubten andere. Außerdem wurde die israelische Armee bei der Abwehr der iranischen Raketen von den USA, England, Frankreich und Jordanien unterstützt. Doch heute kam der Angriff unangekündigt. US-amerikanische Medien meldeten laut „gut informierter Quellen“ Stunden zuvor „einen bevorstehenden Raketenangriff“. Davor hatte die US-Regierung Teheran vor einer direkten Konfrontation gewarnt.
Der Druck der Hardliner
Seit der Ermordung von Haniyeh hatten die Hardliner im Iran darauf gedrängt, Israel eine militärische Antwort zu geben. Obwohl die Befürworter des Krieges gegen Israel eine kleine Minderheit in den Machtzirkeln der Islamischen Republik bilden, waren sie anscheinend in der Lage, auf die politischen und militärischen Verantwortungsträger Druck auszuüben und sie zu einer schnelleren Gegenmaßnahme gegen den „zionistischen Erzfeind“ zu bewegen. Nicht wenige in der Regierung und der Revolutionsgarde hatten betont, dass die Vergeltungsmaßnahmen nicht in Eile unternommen werden dürften.
„Die Hardliner sind derzeit fleißig dabei, gegen den gemäßigten Präsidenten Pezeshkian mobil zu machen, weil ihr Kandidat bei den letzten Wahlen verloren hat“, so der Teheraner Experte gegenüber dem Iran Journal: „Das ist ein innerer Machtkampf, auch wenn der Präsident die volle Unterstützung Khameneis hat und selbst immer wieder betont, nur ein ausführendes Organ des Führers zu sein.“
„Vernichtung Israels“
Auf die Frage, ob die Vernichtung Israels nicht mehr Teil der Doktorin des islamischen Regimes sei, antwortete er: „Doch, aber nirgends ist davon die Rede, der Iran sollte Israel militärisch besiegen und vernichten. Deshalb hat das Regime die sogenannte Achse des Widerstandes gegen Israel aufgebaut. Diese Achse besteht aus schiitischen Gruppen in den Ländern um Israel, damit diese Krieg gegen den jüdischen Staat führen.“
Viele in der Welt haben Israel vor einer Eskalation mit dem Iran gewarnt, um einen Flächenbrand in der Region zu vermeiden. Sie wiesen darauf hin, dass im Falle der Verwicklung Israels in einen direkten Krieg gegen den Iran die USA und deren enge Verbündete auch Partei ergreifen müssten. Auf der anderen Seite gibt es die Befürchtung, dass in einem Worst Case China und Russland direkt oder indirekt der Islamischen Republik beistehen würden.
Ob dieser Fall eintreten wird, ist von den diplomatischen Beziehungen der Partner der beiden Parteien in den nächsten Wochen abhängig. Ob die Diplomatie zur Beruhigung der Lage eine Chance haben wird oder nicht, hängt vorerst von Israels Reaktion auf die Raketenangriffe Irans ab.♦
Liebe Leser:innen,
wenn Sie unsere Arbeit schätzen und die Zukunft des Iran Journal sichern wollen, werden Sie durch direkte Spenden (mit Spendenbescheinigung (hier klicken) oder durch die Plattform Steady (hier klicken) Fördermitglied der Redaktion. Dadurch sichern Sie eine kritische und unabhängige Stimme für die iranische Zivilgesellschaft.
Zur Startseite