„Man will mich zum Schweigen bringen“

Die in Deutschland lebende iranische Künstlerin Parastou Forouhar beharrt seit Jahren auf der vollständigen Aufklärung der Hintergründe der sogenannten „Kettenmorde“, die von Agenten des iranischen Informationsministeriums ausgeführt wurden. Dabei waren auch ihre Eltern bestialisch ermordet worden. Doch nun ist Forouhar selber angeklagt. Sie befindet sich derzeit in Teheran. Ihr drohen Haftstrafen. Iran Journal hat die Künstlerin interviewt.Iran Journal: Frau Forouhar, Sie reisen jedes Jahr in den Iran, um des Jahrestags der Ermordung Ihrer Eltern zu gedenken. Jedes Mal haben Sie mit den Sicherheitsbehörden zu kämpfen. Aber nun haben Sie einen Prozess am Hals. Was wirft man Ihnen vor?
Parastou Forouhar*: Ich werde der Beleidigung des Sakrosankten und der Propaganda gegen das System beschuldigt. Im vergangenen Jahr gab es wegen der gleichen Sache bereits eine Anhörung. Seitdem haben meine Anwältin in Teheran und ich selbst von Deutschland aus vergeblich versucht, die Aufhebung der Klagen zu erreichen.
Haben Sie „Heiligtümer“ oder „Heilige“ beleidigt oder“ Propaganda gegen das System“ betrieben?
Nein. Es geht bei dem ersten Vorwurf um bestimmte Kunstwerke von mir, die Countdown- Serie, die ja mehrmals in Europa gezeigt worden ist (Kunstobjekte, deren Form an Sitzsäcke mit religiösen Motiven erinnert – Anm. der Red.). Aber es gab ein Foto von einer iranischen Aktivistin im Ausland, das sie mit einem Glas Flüssigkeit in der Hand auf einem der Kunstwerke sitzend zeigt. Sie hat das Foto bei einer Sammlerin oder einem Sammler gemacht und dann ins Netz gestellt. Das hat eine Welle der Hetze gegen sie und dann auch gegen mich ausgelöst (Iran Journal berichtete: Wie man aus einer Anklägerin eine Angeklagte macht).
Das heißt, Sie werden dafür angeklagt, dass jemand ein Kunstwerk von Ihnen zweckentfremdet hat?
Genau! Die Objekte sehen zwar wie Stühle und Sitzkissen aus, sind aber nicht für den täglichen Gebrauch gemacht.
Ist es im Iran verboten, Kunstwerke mit religiösen Motiven auszustellen?
Nein. Auch bei meinen Ausstellungen in Europa, über die die Medien berichtet haben, gab es keine Proteste.

Parvaneh und Dariush Forouhar
Parastou Forouhars Eltern: Parvaneh Eskandari-Forouhar und Dariush Forouhar

Was sind die Gründe für den anderen Vorwurf der Propaganda gegen das System?
Es geht es um meine Aktivitäten zur Aufrechterhaltung der Erinnerung an die politische Arbeit meiner Eltern und die politischen Verbrechen im Iran, bekannt als „Kettenmorde“. Meine Versuche, den Jahrestag der Ermordung meiner Eltern zu zelebrieren, werden als „Propaganda gegen das System“ ausgelegt, ebenso meine Treffen mit politischen Aktivisten. Dabei sind es ganz normale und öffentliche Treffen. Bisher war ich die Anklägerin, jetzt bin ich die Angeklagte – verdrehte Realität.
Sind Sie bereits verhört worden?
Ich hatte zwei Termine beim Revolutionsgericht, wo ich Akteneinsicht hatte. Was in den Akten stand, war erschreckend.
Was genau?
Es wird zum Beispiel behauptet, ich würde selber Gegenstände aus dem Haus meiner Eltern entwenden, um einen juristischen Prozess in Gang zu setzen. Damit wolle ich Propaganda gegen das System betreiben. Eine andere Anschuldigung ist, ich würde die Mitarbeiter des Informationsministeriums beschuldigen, meine Eltern ermordet zu haben. Dabei hat dieses Ministerium selbst zugegeben, dass seine Mitarbeiter die Mörder meiner Eltern sind. Sie wurden auch vor Gericht gestellt.
Ein Kunstwerk, das vom iranischen Regime als "Beleidigung des Sankrosanten" eingestuft wird
Ein Kunstobjekt, das vom iranischen Regime als „Beleidigung des Sakrosankten“ aufgefasst wird

 
Mit welchen Konsequenzen?
Das war ein Schauprozess. Achtzehn Handlanger wurden angeklagt und haben unterschiedliche Haftstrafen bekommen. Aber die Befehlsgeber, die Auftraggeber wurden verschont. Wir, die Hinterbliebenen der sogenannten Kettenmorde, bestehen auf vollständiger Aufklärung dieser politischen Verbrechen. Das wollen sie verhindern.
Haben Sie öffentlich zur Trauerfeier zum Jahrestag der Ermordung Ihrer Eltern eingeladen?
Viele Menschen kennen das Datum und ich schalte zudem eine Anzeige in einer Zeitung. Aber jedes Jahr verhindern die Sicherheitsbehörden die Trauerfeier. Ich gehe davon aus, dass es auch dieses Jahr nicht anders sein wird. Sicherheitsbeamte sperren die Straßen um das Haus meiner Eltern ab, damit niemand daran teilnehmen kann.
Wovor haben sie Angst?
Ich würde gern die offizielle Erklärung wissen. Aber niemand antwortet auf unsere Fragen. Ich habe an den Parlamentsausschuss „Kommission Paragraph 90“, der für die Klärung derartiger Konflikte zuständig ist, appelliert, aber auch sie antworten nicht. Ich bin mir sicher, dass sie Angst haben, wenn man die Erinnerung an die politischen Morde am Leben hält und nach gerechten Strafen für deren Auftraggeber verlangt. Es geht also darum, mich zum Schweigen zu bringen. Es wird mit allen Mitteln versucht, mir Hürden in den Weg zu stellen, damit ich zu dem Ergebnis komme, es habe keinen Sinn, weiter auf das Recht zu pochen.
Was könnte Sie im Falle eines Gerichtsverfahrens erwarten?
Der Vorwurf der Beleidigung des Sakrosankten führt in eine Schmuddelecke. Wenn man dahin getrieben wird, verliert man bei gewissen Teilen der Gesellschaft die Integrität. Ich glaube, das wollen die Verantwortlichen erreichen. Ich habe mit vielen Menschen, auch mit Religiösen, gesprochen. Ohne Ausnahme sagen alle, die Vorwürfe seien nur ein Vorwand. Wenn sie mich verurteilen sollten, sieht das Gesetz für beide Anklagen Haftstrafen vor. Es könnte auch ein Urteil mit Bewährung geben. Ich hätte zwar die Möglichkeit, in die Revision zu gehen, aber das Ganze könnte ewig in die Länge gezogen werden – eine Art Damoklesschwert, das über meinem Kopf schwebt.
Interview: Farhad Payar

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