Wie man aus einer Anklägerin eine Angeklagte macht
Die deutsch-iranische Künstlerin Parastou Forouhar reist einmal im Jahr in den Iran, um an den Jahrestag des Mordes an ihren Eltern, dem Politikerehepaar Parvaneh und Dariush Forouhar, zu erinnern und auf ein faires Verfahren gegen die Mörder ihrer Eltern zu pochen. Doch eine öffentliche Gedenkveranstaltung wird stets verhindert. Diesmal hat die iranische Justiz die Künstlerin sogar angeklagt. Was man ihr vorwirft und wie die Verhöre verliefen, beschreibt Parastou Forouhar in ihrem Reisebericht.
Am 16. November 2016 reiste ich wie jedes Jahr nach Teheran, um meiner Eltern Parvaneh und Dariush Forouhar zu gedenken, die vor achtzehn Jahren im Zuge einer Serie politischer Morde durch Agenten des Geheimdienstes der Islamischen Republik Iran bestialisch getötet wurden. Ich hatte vor, an ihrem Todestag eine Gedenkfeier in ihrem Haus abzuhalten. Wegen des Schaltjahrs fiel der Tag auf den 21. November.
Zwei Tage vor diesem Termin erhielt ich einen Anruf. Auf dem Display stand „anonym“. Der Anrufer stellte sich als „vom Ministerium“ vor und begann mir in einem aufdringlichen Monolog „brüderliche Ratschläge“ bezüglich meines Vorhabens zu erteilen und die Konsequenzen aufzuzählen, welche die Missachtung dieser „Ratschläge“ nach sich ziehen würde. „Wir werden nicht zulassen, dass Konterrevolutionäre diesen Anlass für ihre Zwecke missbrauchen“, wiederholte er die alte Leier, die ich nun schon seit Jahren anhören muss. Den Mann zu unterbrechen war nicht möglich. Wir redeten beide gleichzeitig. Auf meine Zweifel an der Legitimität solcher anonymen Anrufe zur Übermittlung offizieller Richtlinien reagierte er nur mit der Wiederholung seiner Routine-Sätze in zunehmender Lautstärke.
Am selben Nachmittag, als ich vom Einkaufen zurückkam, standen zwei Männer vor meinem Elternhaus. Sie redeten mit unserem Haushälter, der auf der Türschwelle stand. Die Männer hatten sich als Beamte des Einwohnermeldeamts vorgestellt und dem älteren Herrn ausführliche Fragen über das Haus und dessen Bewohner gestellt. Sie hatten sogar seinen Personalausweis fotografiert. Als ich dazukam und die Männer nach ihren Dienstausweisen fragte, brachten sie zunächst seltsame Ausreden vor, bis sie sich endlich als Offiziere der Sicherheitskräfte auswiesen. „Wir wollten keine Unruhe stiften und den alten Mann nicht verängstigen“, gaben sie als Begründung für ihre Heimlichtuerei an. Sie seien da, um meine Sicherheit zu gewährleisten, und ich solle ihnen dankbar dafür sein. Als sie mich nach dem Programm für die geplante Gedenkveranstaltung fragten, fragte ich nach ihren Anordnungen. „Sie dürfen die Zeremonie wie in den Jahren zuvor abhalten“, sagte einer der Offiziere. Dabei ist allgemein bekannt, dass seit Jahren jegliche Zusammenkunft an diesem Tag verboten worden war. Ich war sprachlos.
Besatzungsähnliche Präsenz der Sicherheitskräfte
Obwohl mir das Verbot offiziell nicht mitgeteilt wurde, wurde es auch in diesem Jahr in voller Härte durchgesetzt.
Die Agenten erschienen zahlreich und versperrten die Zugangsstraßen zu meinem Elternhaus. Wer an der Veranstaltung teilnehmen wollte, wurde behindert, schikaniert, fotografiert, einige gar kurzfristig in Gewahrsam genommen. Meine Fragen nach der Begründung des Verbots und der Stelle, die sie angeordnet hatte, wurden ignoriert oder mit dem Satz erwidert: „Wir führen nur unsere Befehle aus.“ Trotz des wiederholten Verbots der Gedenkversammlung sind aber die mediale Präsenz und die Anteilnahme am Schicksal meiner Eltern in den vergangenen Jahren spürbar gewachsen. Das ist ermutigend und erfüllt mich mit Trost und Hoffnung. Doch habe ich den Eindruck, dass diese Erinnerungsarbeit stets von meiner alljährlichen Herbstreise nach Teheran abhängt, und dass ohne mein Engagement das Schicksal meiner Eltern zu einer traurigen Geschichte verkümmern und sein Protestpotential für die Zukunft verstummen würde.
Das Informationsministerium als Ankläger
Am 22. November folgte ich der Vorladung einer Behörde der Teheraner Staatsanwaltschaft, die für Sicherheitsangelegenheiten zuständig ist; ich sollte mich zu einer Klage äußern, die gegen mich eingeleitet worden war. Der Ermittlungsrichter, ein schmaler Geistlicher um die Vierzig, saß hinter seinem Schreibtisch und blätterte in einem Papierstapel: Ausdrucke aus dem Internet. Hier und da erkannte ich Bilder meiner Kunstwerke. Er fragte mich ausführlich nach meiner Ausbildung, meinen beruflichen Aktivitäten, meinem Familienstand und ähnlichem. Dann fragte er mich nach dem Namen aller Medien, die mich je interviewt oder meine Texte veröffentlicht hatten, nach den Themen solcher Veröffentlichungen, nach den Feldern meiner gesellschaftlichen Aktivitäten, nach allen „Sitzungen“, an denen ich je teilgenommen hatte und so fort. Ich antwortete so kurz und irrelevant wie möglich, was ihn mürrisch machte. Als ich ihn nach dem Inhalt der Klage gegen mich und der Identität der Kläger fragte, verschob er die Antwort auf den nächsten Termin in Anwesenheit der „Sachkundigen“ meiner Akte. Die Sitzung kam mir wie ein obligatorisches Vorspiel vor.
Bei der nächsten Sitzung wurde mir dann mitgeteilt, dass der Kläger kein geringerer als das Informationsministerium der Islamischen Republik sei. Das Ministerium beschuldige mich der „Propaganda gegen das System“ und der „Beleidigung von Sakrosanktem“. Diese Beschuldigungen sind fester Bestandteil des Justizjargons der Islamischen Republik gegen Oppositionelle. Sie decken jede kritische Bemerkung gegen das Regime und dessen Doktrin, die als Religion auslegt wird, ab. Die bei diesem Termin anwesenden zwei „Sachkundigen“ stellten sich mir als „vom Ministerium“ vor. Eine verkehrte Welt: Das Ministerium, dessen Agenten die brutalen Morde an meinen Eltern begangen haben, hat mich, die Klägerin, nun verklagt. Wohlgemerkt sind solche Vorgänge ein immer wiederkehrendes Muster im System des iranischen Staates. Opfer werden verklagt und zu Tätern gemacht, um sie zum Schweigen zu bringen.
Kunstwerke als Vorwand
Fortsetzung auf Seite 2