UN-Ausschuss: Iran nutzt digitale Unterdrückungstechnologie
Ein neuer Bericht des UN-Untersuchungsausschusses zeigt, wie der iranische Staat digitale Technologien gezielt zur Unterdrückung der Bevölkerung einsetzt. Von verstärkter Überwachung bis hin zu Repression gegen Frauen und Protestierende – das Regime nutzt Apps, Drohnen und Einschüchterungstaktiken, um jede Opposition im Keim zu ersticken. Der Bericht dokumentiert auch außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und sexuelle Gewalt in Haft.
Laut dem Sonderausschuss der Vereinten Nationen setzt Iran digitale Technologien und Überwachung ein, um den anhaltenden Widerstand nach den „Frau, Leben, Freiheit“-Protesten zu brechen.
Der unabhängige Untersuchungsausschuss der UN hat am Freitag, den 14. März, einen neuen Bericht veröffentlicht. Der Bericht beschuldigt Teheran, „organisierte Bemühungen zu unternehmen, um die Stimmen der Protestierenden zum Schweigen zu bringen, eine Atmosphäre der Angst in der Gesellschaft zu schaffen und eine systematische Straflosigkeit für die Täter zu gewährleisten“. Dem Ausschuss zufolge nutzt die Islamischen Republik verstärkt Überwachungstechnologien und digitale Mittel, um Oppositionelle zum Schweigen zu bringen und die Meinungsfreiheit weiter „einzuschränken und zu überwachen“.
Brutale Niederschlagung von Protesten
Als Beispiel dafür wird die App Nazer („Beobachter“) angeführt, die es regimetreuen Personen ermöglicht, vermeintliche Verstöße gegen die Kopftuchpflicht – sogar in Privatfahrzeugen – zu melden. Der Untersuchungsausschuss berichtet, dass die aktualisierte Version dieser App, die seit Oktober 2024 in Betrieb ist, Frauen nun auch in Taxis, U-Bahnen und sogar Krankenwagen überwache. Das Regime praktiziert weiterhin auch die Beschlagnahmung von Privatfahrzeugen von Frauen, die gegen den Kopftuchzwang verstoßen.
Im September 2022 hatte der Tod der jungen Frau Mahsa Jina Amini, die sich wegen eines angeblich schlecht sitzenden Kopftuches im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei befand, monatelang andauernde Demonstrationen und Proteste unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ ausgelöst, die das islamische Regime vor ernste Herausforderungen stellten. Die brutale und blutige Niederschlagung dieser Proteste hatte den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen veranlasst, rasch umfassende Untersuchungen einzuleiten.
Sara Hossain, die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, erklärte: „In den vergangenen zwei Jahren hat Iran sich geweigert, die Forderungen nach Gerechtigkeit und Gleichberechtigung anzuerkennen – genau jene Forderungen, die die Proteste entfacht haben.“ Die „Kriminalisierung, Überwachungsmaßnahmen und die anhaltende Repression von Oppositionellen, Angehörigen der Opfer und Überlebenden, insbesondere Frauen und Mädchen“ sei „äußerst besorgniserregend“, so Hossain.
Kriminalisierung und Repression von Überlebenden und Angehörigen
Dem Bericht zufolge hat die Islamische Republik seit März 2024 die Überwachung und Verfolgung von Frauen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzen, weiter intensiviert. Der erste Bericht des Ausschusses war zu dem Schluss gekommen, dass die gewaltsame Niederschlagung der friedlichen Proteste sowie die Diskriminierung von Frauen und Mädchen zu „gravierenden und massiven Menschenrechtsverletzungen“ geführt hatten, die in vielen Fällen als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gewertet werden könnten.
Der neue Bericht befasst sich eingehender mit den Mustern von Repression und Menschenrechtsverletzungen sowie der Entwicklung dieser Maßnahmen und betont, dass Opfer mit Folter und anderen Misshandlungen verfolgt würden und das Regime systematisch Einschüchterungstaktiken gegen ihre Familien einsetze.
Die Mitglieder des Ausschusses weisen zudem darauf hin, dass bisher zehn Männer im Zusammenhang mit den Protesten hingerichtet wurden und mindestens elf weitere Männer sowie drei Frauen von der Todesstrafe bedroht sind.
Einsatz von Technologie zur „intensivierten Überwachung und Kontrolle“
Der Ausschuss berichtet außerdem, dass das Regime im März 2024, insbesondere während der Neujahrsfeiertage, Drohnen eingesetzt habe, um die Einhaltung der Kopftuchpflicht in Teheran und im Süden des Landes zu überwachen.
Der Untersuchungsausschuss hat Beweise für die außergerichtliche Hinrichtung von sechs Demonstranten gefunden, darunter drei Minderjährige. Die Islamische Republik bestreitet die Tötung oder Hinrichtung dieser Personen und gibt stattdessen an, sie hätten „Selbstmord begangen“.
Der Bericht verweist zudem auf den Fall einer Frau, die während ihrer Inhaftierung schwer misshandelt, zweimal einem vorgetäuschten Hinrichtungsversuch ausgesetzt und schließlich Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde. Es gebe zahlreiche weitere Fälle sexualisierter Gewalt in Haft, darunter Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen.
Anhaltende Einschüchterung der Opfer
Der Bericht betont die „mangelnde Unabhängigkeit des iranischen Justizsystems“ und stellt fest, dass die Sicherhteitsbehörderden nicht nur die Forderungen der Opfer nach Gerechtigkeit und Rechenschaft ignoriert, sondern sie und ihre Familien regelmäßig „eingeschüchtert, bedroht, verhaftet und strafrechtlich verfolgt“ hätten. Ausschussmitglied Shahin Sardar Ali betonte daher: „Es ist unerlässlich, umfassende Mechanismen für Verantwortlichkeit und Rechenschaft außerhalb Irans einzusetzen.“
Widerspruch aus Iran
Ein Mitglied des von der Islamischen Republik eingerichteten Ausschusses zur „Untersuchung der Unruhen von 2022“ erklärte unterdessen, dass es drei Sitzungen mit dem Untersuchungsausschuss des UN-Menschenrechtsrats gegeben habe, der eine „voreingenommene Haltung“ habe. Man habe den UN-Vertreter*innen mitgeteilt, dass sie in ihrem „Berichtsentwurf die getroffenen Maßnahmen und geleisteten Entschädigungen nicht berücksichtigt“ hätten. Die Islamische Republik habe „umfangreiche Entschädigungen“ geleistet, so das Mitglied des regierungsnahen Ausschusses: „Wir haben denjenigen, die während dieser Unruhen Schaden erlitten haben, Entschädigungen gezahlt. Sogar Menschen, bei denen der Täter unbekannt war, haben Entschädigungen erhalten.“
Die Islamische Republik hat den Mitgliedern des UN-Untersuchungsausschusses sowie der UN-Sonderberichterstatterin bislang weder die Einreise ins Land noch den Zugang zu Gerichtsakten gestattet. Der Ausschuss der Vereinten Nationen hat in mehr als zwei Jahren 38.000 Zeugenaussagen gesammelt und überprüft sowie 285 Opfer und Zeugen befragt, um seinen Bericht zu erstellen. Der Untersuchungsausschusses legt seinen zweiten Bericht am Dienstag, dem 18. März, dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vor.
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