Hat der Atomdeal mit Iran noch eine Zukunft?

Was bezweckt die Islamische Republik Iran?

Die iranische Strategie des uneingeschränkten Vorantreibens der Urananreicherung könnte zwei Ziele verfolgen. Das erste könnte darin bestehen, dem Westen zu signalisieren: „Wir könnten die Bombe bauen, wenn wir es politisch wollten“, um damit möglichst viel Zugeständnisse herauszupressen.

Eigentlich müsste sich das Regime für eine schnelle Aufhebung der Wirtschaftssanktionen einsetzen. Aber der Imperativ der IRI ist nicht das Wohl der Bevölkerung, sondern die Zementierung der Herrschaft des Klerus. Die iranischen Bürgerinnen und Bürger sind zu Geiseln einer verfehlten Außen- und Atompolitik der Ayatollahs geworden.

Und hier spielt die regionale Politik der IRI als die einzig verbleibende, vermeintlich Legitimation stiftende Säule dieser Herrschaft eine wesentliche Rolle. Die Teheraner Machthaber haben es durch beharrliche Arbeit in den vergangenen 42 Jahren geschafft, in den Ländern Libanon, Syrien, Irak und später auch Jemen bewaffnete Kräfte ins Leben zu rufen und/oder zu unterstützen. Dazu kommen ökonomische Partikularinteressen der Parteigänger des iranischen Regimes, die sich um diese Politik geschart haben und sie fortzusetzen versuchen. Das macht es für die Ayatollahs ungemein schwer, dieser Politik abzuschwören.

Hinzukommt, dass der Iran von Joe Biden Zugeständnisse fordert, die dieser angesichts der gegebenen politischen Spaltung der USA mit bestem Willen nicht machen kann. Dazu zählen die Aufhebung der von der USA-Legislative beschlossenen Sanktionen in Bezug auf die IRI-Regionalpolitik sowie auf das Ende der Unterstützung des Terrorismus und der Verletzung der Menschenrechte. Die USA haben aus diesen Gründen fast alle relevanten Mitglieder des iranischen Regimes unter Sanktionen gestellt – etwa den gegenwärtigen Präsidenten des Iran, Ebrahim Raissi, der maßgeblich zur willkürlichen Hinrichtung von Tausenden politischen Gefangenen beigetragen hat.

Eine weitere Intention des iranischen Regimes könnte darin bestehen, die erschwerte Kontrolle der internationalen Atomaufsicht dazu zu nutzen, sich entweder bis an die Schwelle der Herstellung einer Atombombe heranzuarbeiten, oder – weniger wahrscheinlich – die Bombe selbst zu bauen. Die erlangte Anreicherungskapazität im Schatten des suspendierten Zusatzprotokolls NPT-AP könnte das Regime in Versuchung gebracht haben, vollendete Tatsachen zu schaffen. Dies wäre allerdings nur möglich, wenn die IRI über genügend Erfahrung zum Bau der Bombe verfügte – was nach derzeitigem Informationsstand eher unwahrscheinlich ist. Dazu müsste der Iran das NPT aufkündigen – ein Schritt, der Folgen bis zu einem Krieg nach sich ziehen könnte.

 

Irans Armee präsentiert immer wieder ihre "neuen Raketen", die der Abschreckung dienen sollen!
Irans Armee präsentiert immer wieder ihre „neuen Raketen“, die der Abschreckung dienen sollen!

Es ist schwer abzuschätzen, ob relevante Teil des iranischen Regimes einen Krieg als ein „Geschenk Gottes“ erachten würde – wohl wissend, dass es sich gegebenenfalls um einen Luftkrieg handeln würde, der zwar die Infrastruktur des Iran zerstören, ihre Herrschaft aber intakt lassen würde.

Ein weiterer Umstand, der das Regime zu einem solchen Schritt ermuntern könnte, ist das klägliche Scheitern der USA am beharrlichen Widerstand der Taliban in Afghanistan. Dies könnte Islamisten jeder Couleur – wie die Machthaber der IRI – auf die Idee bringen, durch andauernden Widerstand ihre Ziele erreichen zu können: Widerstand ist ohnehin das Lieblingswort von Chamenei.

Auf der anderen Seite stecken der Westen und die USA in einem Dilemma: Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, dass der IRI die atomare Bewaffnung gelingt. Gleichzeitig wollen sie nicht in eine Situation geraten, die einen Krieg unvermeidbar machen würde.

Diese Ambivalenz ist dem IRI-Regime bewusst, und es versucht sie mit einigem Erfolg auszubeuten. Der Schlüssel dazu ist das Vorantreiben der Urananreicherung. Somit ist die „breakout time“ auf wenige Monate reduziert.

Doch unabhängig davon, zu welchem Zweck das islamische Regime die Urananreicherung vorantreibt: Sie setzt auf Hinhaltetaktik, um Zeit zu gewinnen. Auch das bewusste Herbeiführen von Intransparenz spielt hierbei eine verstärkende Rolle. Die IAEA-Inspektionen sind im Wesentlichen auf Eis gelegt – mit ungewissem Ausgang. Ob die IAEA jemals Monitoringdaten erhält, ist vom Ausgang der unterbrochenen Wiener Verhandlungen, die am 29. November 2021 wieder beginnen sollen, abhängig.

Schlussfolgerung

So ist eine Gemengelage entstanden, die selbst bei beiderseitig gutem Willen eine Einigung kompliziert. Die neue Strategie der IRI, die entfesselte Urananreicherung als Druck- und Drohmittel einzusetzen, war in Anbetracht der gegenwärtigen Kriegsvermeidungspriorität des Westens vermeintlich erfolgreich. Die Statements von US-Außenminister Antony Blinken und Sicherheitsberater Jake Sullivan, sie würden sich bei den bevorstehenden Verhandlungen in Wien hauptsächlich auf das IRI-Atomprogramm konzentrieren und Themen wie Regionalpolitik und Raketenrüstung hintan stellten, könnte als ein solcher Erfolg aufgefasst werden. Aber beide haben hinzugefügt, dass sie letztere Themen nicht aufgeben würden.
Es ist zu hoffen, dass die IRI nicht die Illusion hegt, an Nuklearwaffen zu gelangen. Der scheinbare Erfolg wird sich als ein desaströses Glücksspiel erweisen, das den unermesslichen direkten und politischen Sanktionsfolgen durch das bisherige Urananreicherungsprogramm die Zerstörung des Landes hinzufügen würde. Käme der gesunde Menschenverstand zum Zuge, müsste man erwarten, dass sich die IRI-Führung mit den USA arrangiert, um den JCPOA zu revitalisieren. Damit wären alle Beteiligten bedient, die zur Misswirtschaft der IRI addierte Sanktionslast von den Schultern der iranischen Bevölkerung entfernt und dem Regime der Vorwand zur Rechtfertigung der prekären Lage des Landes und der Repressalien genommen sowie ein möglicher Krieg gebannt.

Und wenn die iranischen Bürgerinnen und Bürger aufatmen können, dann wird ihr Streben nach demokratischer Partizipation aktuell. Zugleich sollten aber die atomaren Ambitionen der Teheraner Machthaber nicht gänzlich bagatellisiert werden.♦

© Iran Journal

Zum Autor: Dr. Behrooz Bayat, geboren im Iran, studierte Physik an den Universitäten Teheran, Frankfurt am Main und Marburg. Nach Promotion und Forschungstätigkeit arbeitete er unter anderem als freiberuflicher Berater für die Internationale Atomenergiebehörde in Wien. In seinen Publikationen setzt er sich u.a. mit der Nuklearpolitik des Iran auseinander.

Zur Startseite

Diese Beiträge können Sie auch interessieren:

Bidens Iran-Politik und der Schatten der Obama-Doktrin

Irans Außenpolitik unter Raissi: neuer alter Kurs?