Irans Außenpolitik unter Raissi: neuer alter Kurs?

Das Parlament zu Diensten des „Führers“

Diese sieben Beschlüsse des Parlaments gehören zum neun-Punkte-Plan des iranischen Staatsoberhaupts Ali Khamenei. Raissi weiß wohl, dass das Parlament mit seinem Beschluss nur den Willen des “Revolutionsführers” vom Oktober 2015 umsetzen und die Regierung Rouhani daran hindern wollte, dem Verlangen Trumps nach neuen erweiterten Atomverhandlungen nachzugeben. Die Äußerungen Raissis zur Atomvereinbarung kamen zu einer Zeit, als sich die Fundamentalisten konsequent gegen Atomverhandlungen ausgesprochen und die Regierung Rouhani aufgefordert hatten, die Gespräche mit den USA und dem Westen über das iranische Atomprogramm auszusetzen.

Im Grunde hatte die iranische Führung mit dem Parlamentsbeschluss vom 1. Dezember 2020 den Iran gefährlich nahe an die Möglichkeit zur Produktion einer Atomwaffe gebracht. Daran ändern auch die rhetorischen Absichtserklärungen des neuen Präsidenten nichts. Selbst wenn wir von der Wahrhaftigkeit der Absichten Raissis ausgehen und annehmen, dass er die Atomvereinbarung wirklich umsetzen will, fragt sich, mit welchem Gremium er diesen Weg gehen könnte. In den letzten Jahren haben sich die fundamentalistische Bewegung und ihre Unterstützer daran gewöhnt, von ihrer Führung nur die Ablehnung der Atomvereinbarung zu erfahren. Für eine wirkliche Verständigung mit dem Westen fehlt es dem Präsidenten an einer ausreichenden politischen Basis.

Verhandlungen mit den proklamierten Feinden

Nun finden aber Treffen in Wien und Bagdad statt. In Wien geht es um ein erweitertes Atomabkommen der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschlands mit dem Iran, in Bagdad um die Verständigung mit Saudi-Arabien und anderen arabischen Nachbarländern. Dabei ist jedes Szenario möglich.

Das Treffen in Wien könnte lange dauern, zumal sich die Einigung über die Details im Verhandlungsprozess in die Länge zieht und die Beteiligten sich nicht sicher sind, ob ein Verhandlungsergebnis mit der scheidenden Regierung wünschenswert wäre. Denn die neue Administration könnte sich eventuell mit den stattgefundenen Kompromissen nicht abfinden und neue Forderungen auf den Tisch legen.

Dasselbe trifft auf das Bagdad-Treffen zu. Aus den genannten Gründen werden sowohl die Verhandlungspartner in Wien als auch die in Bagdad erst die Konstituierung der neuen Regierung abwarten. Ein Indiz für die Kompromissbereitschaft der neuen Regierung wird wohl in der Person des neuen Außenministers vermutet. Sollte der neue Außenminister Said Dschalili heißen, wird ein Verhandlungsergebnis noch längere Zeit benötigen. Dschalili hatte im Auftrag des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad von 2007 und 2013 die Atomverhandlungen mit den fünf UN-Vetomächten sowie Deutschland (5+1) geführt. Als die Regierung Hassan Rouhani in der Nacht zum 14. Juli 2015 die Verhandlungen mit einem akzeptablen Ergebnis abschließen konnte, wertete Dschalili das Abkommen noch am gleichen Tag als eine Demütigung für den Iran.

 

Seit Mitte April wird in Wien über die Rettung des Atomabkommens von 2015 verhandelt
Seit Mitte April wird in Wien über die Rettung des Atomabkommens von 2015 verhandelt

Die katastrophale Lage des Iran ist aber allen im Land bekannt, vom radikalsten Spektrum der Fundamentalisten bis hin zu den ernsthaftesten Reformern. Alle müssten inzwischen verstanden haben, dass der Rückzug des Landes aus dem Atombeschluss des UN-Sicherheitsrates, der mit seiner Resolution 2231 vom 20. Juli 2015 der Atomvereinbarung mit dem Iran einen international gültigen Vertragscharakter gegeben hat, und ein erfolgloses Ende der Verhandlungen in Bagdad nicht die Lösung wären. Daher sagt auch Raissi: „Der Iran sollte seine Beziehungen zu seinen Nachbarn ausbauen“, und: „Niemand sagt, Sanktionen sind gut für die Wirtschaft.“

Die Befreiung der Wirtschaft des Landes von den lähmenden Sanktionen ist der Wunsch aller. Die Frage ist nun, wie kann das alles erreicht werden? Und genau diese Frage hat zumindest im Wahlkampf keiner der Kandidaten beantwortet, Raissi am wenigsten. Er betonte immer wieder, alle Sanktionen müssen aufgehoben werden, bevor Teheran zu seinen nuklearen Verpflichtungen zurückkehrt.

Der Kandidat Raissi äußerte sich auch zum Thema ballistische Raketen des Iran. Der Iran brauche ein militärisches Abschreckungspotential, daher würden keine Verhandlungen zur Einschränkung der militärischen Fähigkeiten des Landes akzeptiert. Und genau dieser Punkt hat das Potential, das ganze Verhandlungspaket zum Scheitern zu bringen.

Möglicher Haftantrag gegen den Präsidenten

Von den 592 Präsidentschaftskandidaten, die sich zur Wahl angemeldet hatten, standen und stehen sechs auf der US-Sanktionsliste. Im März 2011 wurde Ebrahim Raissi in die Liste der 80 von der Europäischen Union sanktionierten iranischen Funktionsträger aufgenommen. Grund für diese Sanktionierung waren vor allem Menschenrechtsfragen. Am 4. November 2019 verhängte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen neun prominente Persönlichkeiten des Landes, darunter Ebrahim Raissi. Die US-Entscheidung galt den Verantwortlichen für die tödliche Zerschlagung die November-Proteste im Iran 2019.

Tatsächlich erlangte Raissi in den vierzig Jahren nach der islamisch gewordenen Revolution im Iran den Ruf eines Schreibtischtäters, auf dessen Konto unzählige Todesurteile gehen. Als absolut loyaler Funktionär hatte ihn der Revolutionsführer Ruhollah Khomeini im Juli 1988 zum Mitglied des Quadrumvirats des Todes ernannt. Raissi hatte bis dahin in allen nachrevolutionären Jahren als Staatsanwalt, Revolutionsrichter, Justizrevisor und Vorsitzender eines Inquisitionsgerichtshofs für Kleriker gedient.

Er galt schon immer als kalkulierend und kompromisslos. Das Todeskomitee, das Quadrumvirat, verurteilte bis November 1988 in meist nur wenige Minuten dauernden Prozessen zwischen 3.900 und 5.000 Gefangene zum Tode. Die Mordopfer wurden in anonymen Massengräbern verscharrt, die meisten auf einem verwilderten Friedhofsacker im Teheraner Vorort Kharavan.

Ebrahim Raissi wurde für seine Haltung nach der Revolution von der Europäischen Union und den USA sanktioniert. Nun ist er der Staatspräsident des Iran. Aber die Angehörigen seiner Opfer und die politische Opposition Irans werden nicht ruhig da sitzen und Zeugen seiner möglichen Karriere im politischen System, möglicherweise als Nachfolger des noch lebenden „Revolutionsführers“, werden. Immerhin wurde einer seiner Mittäter in Mord- und Folterkorridoren des Systems, Hamid Nouri, am 9. November 2019 in Stockholm verhaftet. Es gab einen begründeten Haftantrag von Zeugen seiner Verbrechen in iranischen Gefängnissen. Diese Verhaftung wurde möglich, weil viele EU-Länder ihre Strafgesetze internationalisiert haben. Dasselbe Schicksal könnte Ebrahim Raissi treffen, sollte er europäischen Boden betreten. Gewiss genießt er als Politiker im Amt eine gewisse Immunität, die jedoch unter Umständen aufhebbar wäre. Das wäre dann sicherlich eine Sache für kundige Juristen. Die Politik der europäischen Staaten müsste in einem solchen Fall gegenüber ihren Bürgern eine erklärbare Haltung finden. Abgesehen davon könnte der Staatspräsident Raissi auch kaum zu Sitzungen der Vereinten Nationen nach New York fahren. Er genießt zwar innerhalb der Geographie der Vereinten Nationen Immunität. Die USA könnten aber die Ausstellung eines Visums wegen des ihm geltenden Embargos verweigern, sollten dieses nicht zuvor aufgehoben worden sein.♦

*Zum Autor: Kian Tabrizi ist das Pseudonym eines renommierten politischen Analysten, der unter verschiedenen Pseudonymen für persischsprachige Medien schreibt.

© Iran Journal

Schließen Sie sich uns auf Instagram an

Zur Startseite

Diese Beiträge können Sie auch interessieren:

Präsidentenwahl im Iran: Das Doppelspiel ist vorbei

Die Präsidentenwahl als Totenglocke