Hat der Atomdeal mit Iran noch eine Zukunft?

Strategiewechsel der IRI

Nach einjährigem Zögern seitens der Regierung Rouhani – wohl auch deshalb, weil dieser den Atomdeal als größte Errungenschaft seiner Präsidentschaft retten wollte – ging die IRI dazu über, die JCPOA-Verpflichtungen graduell abzubauen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes über „Strategische Maßnahmen zur Aufhebung der Sanktionen und zum Schutz der Interessen der iranischen Nation“ durch das neu gewählte und vollständig von Hardlinern dominierte Parlament im Dezember 2020 entledigte sich das Regime nicht nur aller Verpflichtungen aus dem JCPOA, sondern trieb auch einen beschleunigten Ausbau der Urananreicherung voran – ohne das Abkommen formell aufzukündigen.

Danach beachtete die IRI keinerlei Einschränkungen bei der Urananreicherung mehr – mit dem Resultat, dass sie nicht nur große Mengen leicht angereicherten Urans (LEU) anhäufte, sondern nach eigenen Angaben vom November 2021 über 210 Kilogramm um 20 Prozent und 25 Kilogramm um 60 Prozent hoch angereichertes Uran (HEU) sowie über entwickelte Zentrifugen bis zur sechsten Generation verfügt. Die Produktion von metallischem Uran ist ebenfalls angelaufen – zur Herstellung der Atombombe ist Uran in der metallischen Form unerlässlich. Außerdem hat die IRI das NPT-Zusatzprotokoll suspendiert und damit die Überwachung durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA auf ein Minimum reduziert.

Das Regime hat sich offensichtlich einem Strategiewechsel verschrieben. Mit dem besagten Gesetzesbeschluss des Parlamentes hat Teheran, just in der Zeit, als Joe Biden zum Präsidenten der USA gewählt wurde und bereits die Rückkehr zum JCPOA angekündigt hatte, die neue Strategie auch formal zum bindenden Gesetz erhoben.

Diese Strategie erfordert den Einsatz der entfesselten Urananreicherung als Druckmittel, ja, als verklausulierte Drohung. Der Kern der Botschaft lautet: „Wir können es.“ So will die IRI eine stärkere Verhandlungsposition erlangen. Um dieser Drohung Glaubwürdigkeit zu verleihen, haben ihre Verantwortlichen versucht, durch das Erschweren der IAEA-Inspektionen möglichst viel Intransparenz zu schaffen.

Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde Rafael Grossi (re.) reiste im September und im November 2021 in den Iran, um zu verhandeln - vergeblich! -
Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde Rafael Grossi (re.) reiste im September und im November 2021 in den Iran, um zu verhandeln – vergeblich! –

Was steht zur Debatte?

Die Biden-Administration hat erklärt, sie würde zur JCPOA zurückkehren und die nuklearbezogenen Sanktionen aufheben – genauer: dem Abkommen gemäß suspendieren -, unter der Maßgabe, dass Teheran seinerseits die Verletzungen des Atomdeals rückgängig mache. Darüber hinaus verlangte Biden, dass die IRI ihre Bereitschaft erkläre, die zeitlichen Beschränkungen, die JCPOA ihr auferlegt hatte, auszudehnen. Ferner müsse der Iran sich verpflichten, über seine regionale Politik sowie sein Raketenprogramm zu verhandeln.

Die iranische Seite wiederum besteht darauf, dass die USA diese Situation schuldhaft herbeigeführt habe. Daher müsse die Biden-Administration sich entschuldigen, alle Sanktionen ausnahmslos und verifizierbar aufheben und einen Verzicht auf einen erneuten Ausstieg garantieren.

Worin besteht das Problem?

Das Vertrauensverhältnis ist beidseitig zerstört. Die USA und der Westen sind entschlossen, auf alle Fälle – und möglichst ohne einen Krieg – zu verhindern, dass Teheran in den Besitz von Atomwaffen gelangt. Dazu halten sie den JCPOA in der ursprünglichen Fassung mit einigen Veränderungen für geeignet. Darüber hinaus hofft der Westen, dass der Iran in diplomatische Verhandlungen einwilligt, die seine Regionalpolitik im Mittleren Osten sowie seine Raketenausrüstung thematisieren. Der Westen verlangt, dass die neuen Generationen von Zentrifugen aus dem Verkehr gezogen werden, damit ein Teil der Ausgangsbedingungen für den JCPOA-Abschluss erfüllt sind. Ferner fürchtet er, dass iranische Experten technologisches Wissen gewonnen und irreversible Erfahrungen gesammelt haben könnten, die die Wiederherstellung der JCPOA-Anfangsbedingungen erschweren.
Für die IRI hingegen bereitet die Beseitigung der modernen Zentrifugen zwei Probleme: zum einen den Gesichtsverlust vor der eigenen Klientel, zum zweiten den Verzicht auf einen Eckpfeiler der neuen Strategie der verklausulierten Drohung mittels der Urananreicherung.
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