Atomkonflikt: Khamenei wirbt für Teilabkommen

Khameneis Aussagen bei einem Treffen mit Experten der iranischen Atomindustrie bekommen angesichts inoffizieller Nachrichten über ein mögliches Atomabkommen mit dem Westen plötzlich eine neue Bedeutung. Eine Analyse von Ali Afshari.

Bei seinem jüngsten Treffen mit Experten der iranischen Atomindustrie Mitte Juni wiederholte das Oberhaupt der Islamischen Republik, Ali Khamenei, die staatliche Propaganda des Iran der vergangenen zwei Jahrzehnte. Er lobte „die atomaren Errungenschaften“ des Landes und betonte die Notwendigkeit der Produktion von nuklearen Brennstäben und anderen Nuklearprodukten. Die Islamische Republik habe aus religiösen Überzeugungen kein waffenfähiges Nuklearprogramm verfolgt, sagte Khamenei, die Strafmaßnahmen des Westens hätten dabei keine Rolle gespielt. Doch Zweifel an dieser Behauptung ist angebracht.

Khamenei hat den Erwerb nuklearer Technologien stets als wirksamen Machthebel betrachtet, der bei den strategischen sicherheitspolitischen und geopolitischen Zielen der Islamischen Republik Iran eine besondere Rolle spielt. Er behauptete bei dem Treffen mit den Atomexperten auch, die Erfahrung habe gezeigt, dass sein Misstrauen gegenüber dem Westen nicht unbegründet sei. Seine Argumente dafür greifen jedoch nicht. Das Wiener Atomabkommen von 2015 entstand in einer grundsätzlichen Atmosphäre des Misstrauens und in einem langen Prozess, bei dem nach und nach Vertrauen entstand und klare Mechanismen erarbeitet wurden. Khamenei war derjenige, der die Entstehung ähnlicher Abkommen auch in anderen Bereichen verbot. Er versperrte durch die Fortsetzung der konfrontativen Außenpolitik gegenüber den USA praktisch den Weg der Ausnutzung der Vorteile des mühsam erarbeiteten Atomabkommens. Die Entscheidung der Trump-Regierung, das Wiener Atomabkommen aufzukündigen, spielte Khamenei und seinen Unterstützern dabei in die Hände, die aktuelle Propaganda zu fördern.

Ohne die Strafmaßnahmen des Westens würde die Islamische Republik bereits dem Club der militärischen Atommächte angehören. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat das iranische Atomprogramm technisch die Schwelle der Produktion von Atombomben erreicht. An solch einem Punkt kann sich die Lage in eine Richtung entwickeln, in der der Bau von Atomwaffen nicht mehr eine Frage der Technik und Technologie ist, sondern einer politischen Entscheidung. Damit hat sich die iranische Atomindustrie in einen Druckhebel beziehungsweise ein Verhandlungsinstrument verwandelt. Tatsächlich ist dies seit Jahren Gegenstand strategischer und sicherheitspolitischer Überlegungen. Aus diesem Grund bestand in all den Jahren das Hauptziel des islamischen Regimes darin, durch das nukleare Abenteuer Sicherheitsgarantien von den USA zu erhalten.

Der Iran hat die besten Voraussetzungen für die Produktion erneuerbarer Energien
Der Iran hat die besten Voraussetzungen für die Produktion erneuerbarer Energien

Der Zweck einer hochgradigen Atomanreicherung

„Die hochgradige Anreicherung dient der Aufhebung der Sanktionen.“ Das sagt der Chef der iranischen Atomenergiebehörde, Mohammad Eslami. Es bekräftigt die aufgestellte These. Natürlich kamen die nuklearen Fortschritte auch dem Pharma- und Agrarsektor zugute. Diese Sparten erregen allerdings bei der internationalen Gemeinschaft keine Aufmerksamkeit.

Die Besonderheit des iranischen Atomprogramms ist dessen krebsartiges und unausgewogenes Wachstum. In den letzten zwanzig Jahren verursachten die überschaubaren Gewinne der iranischen Atomindustrie dem Land enorme Kosten. Auch mögliche strategische Vorteile bleiben unklar – vor allem im Vergleich zu anderen Alternativen. Das polarisierte Klima und die Verherrlichung der Nukleartechnik lassen eine wirtschaftstechnisch und fachlich unparteiische Kosten-Nutzen-Abwägung nicht zu.

Auch die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit des Atomstroms ist umstritten – zumindest im Hinblick auf Khameneis Begründungen. Trotz der exorbitanten Ausgaben für das iranische Atomprogramm in den vergangenen zwei Jahrzehnten, etwa die explodierenden Kosten für die Errichtung und die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Buschehr, liefert diese Anlage lediglich 1.000 Megawatt Strom. Khameneis Wunsch nach 20.000 Megawatt Atomstrom ist ein ehrgeiziger Plan, dessen wirtschaftlicher und technischer Nutzen unklar ist. Darüber hinaus ist nicht klar, wie die Produktion von Atomstrom in dieser Größenordnung erschwinglich sein kann, während der Iran nicht über die entsprechenden nuklearen Rohstoffe verfügt und die Kosten für die Anreicherung und andere damit verbundene Technologien ein Vielfaches des Weltmarktpreises betragen. Und das alles, obwohl im Iran riesige Mengen von billigen fossilen Energieträgern vorkommen.

Zum Einlenken gezwungen
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