Atomkonflikt: Khamenei wirbt für Teilabkommen
Khamenei scheint aus wirtschaftlicher Not heraus zu handeln. Seine Hauptmotivation für ein mögliches neues Abkommen ist vermutlich die sanktionsbedingte Verschärfung der wirtschaftlichen Misere. Um dem entgegenzuwirken, braucht er die im Ausland eingefrorenen Gelder.
Der entscheidende Punkt in Khameneis Rede bei dem Besuch der Atomexperten ist jedoch seine Betonung des Erhalts der nuklearen Infrastruktur – losgelöst von möglichen zukünftigen Abkommen. Diese Infrastruktur ist im Vergleich zu der Zeit vor dem Wiener Abkommen umfangreicher geworden. Trotz des Abkommens blieben die nuklearen Infrastrukturen des Landes bestehen, auf Forschungsebene konnten sogar weitere Fortschritte erzielt werden. Darüber hinaus möchte der Iran, dass offene Fragen bezüglich nuklearer Aktivitäten von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nicht weiter verfolgt werden. Laut Mohammad Marandi, dem Medienberater der iranischen Verhandlungsdelegation, stellt auch ein befristetes vorläufiges Abkommen für die Islamische Republik eine Option dar – vorausgesetzt, dass die Untersuchungen der IAEA eingestellt werden.
Die Zustimmung der IAEA ist wichtig
Die Spannungen zwischen der iranischen Atomenergieorganisation und der Internationalen Atomenergiebehörde scheinen sich derzeit gelegt zu haben. Die IAEA hat ihre Überwachungsgeräte wieder in Betrieb genommen. Einige Streitpunkte existieren jedoch weiterhin. Wenn der Iran den Forderungen der IAEA nicht nachkommt und die noch offenen Fragen nicht überzeugend klärt, würde ein neues Abkommen wahrscheinlich nicht zustande kommen. Derzeit ist die Zusammenarbeit zumindest insoweit zufriedenstellend, als der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde in seiner jüngsten Sitzung keine Resolution gegen die Islamische Republik verabschiedet hat. Dennoch bestehen immer noch Zweifel am friedlichen Zweck des iranischen Atomprogramms. Auch die Ausweitung des Kernbrennstoffbestands und der Einsatz von fortschrittlicheren Zentrifugen erregt Besorgnis.
Trotz allem ist durch die aktuellen Vereinbarungen mit der IAEA neue Hoffnung auf Kompromisse entstanden. Der Wechsel der US-Regierung und die Entwicklung innenpolitischer Verhältnisse im Iran stärken diese Hoffnung ebenfalls.
Inoffiziellen Angaben zufolge strebt die US-Regierung derzeit weder eine Wiederbelebung des Wiener Atomabkommens an noch bezweckt sie die Aktivierung des sogenannten Snap-Back-Mechanismus* durch ihre europäischen Partner. Auch zieht sie derzeit anscheinend keine militärische Konfrontation mit dem Iran in Erwägung. Stattdessen folgen die USA einer anderen Strategie: Mit einem Bündel von harten Maßnahmen versuchen sie die Islamische Republik von ihrem Kurs abzubringen. Auf der anderen Seite besteht das Hauptanliegen der Europäischen Union darin, die militärische Zusammenarbeit von Teheran und Moskau im Ukrainekrieg zu beenden. Zeitgleich zeigen die arabischen Nachbarländer des Iran kein großes Interesse mehr an die Wiederbelebung des Atomabkommens. Umso mehr sind sie an der Beteiligung der Ausarbeitung eines neuen Abkommens interessiert.
Rückkehr zum Atomdeal oder ein neues Abkommen?
Seit einiger Zeit gibt es Meldungen über indirekte Verhandlungen. Auch Vermittlerstaaten sind wieder aktiv. In diesem Zusammenhang kann man Khameneis Rede bei den Atomexperten als ein Zeichen der Bereitschaft zu einer vorübergehenden Entspannung im Atomprogramm interpretieren. Dabei könnte die Islamische Republik die sechzigprozentige Urananreicherung einstellen und einige Häftlinge mit doppelter Staatsangehörigkeit freilassen. Die USA könnten im Gegenzug einige Sanktionen aussetzen und einen Teil der eingefrorenen Öleinnahmen des Iran für kontrollierte Ausgaben freigeben. Solch ein Abkommen könnte ein Vorspiel für die Rückkehr zum Wiener Atomabkommen oder für ein anderes Abkommen in der Zukunft sein.
In den vergangenen Monaten sind Unterhändler aus dem Iran und den USA in den Oman gereist. Der Leiter des amerikanischen Atomverhandlungsteams und der UN-Botschafter der Islamischen Republik Iran haben sich auf US-Boden getroffen. Es gab unter anderem über Katar stellvertretend Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA. Ein Teil der sanktionsbedingt eingefrorenen Öl- und Gaseinnahmen des Iran im Irak wurden kürzlich mit Washingtons Genehmigung freigegeben. In den vergangenen Wochen reiste der Sultan von Oman nach Teheran. Oman gilt traditionell als Vermittler zwischen dem Iran und den USA. Diese Entwicklungen lassen Hoffnungen auf ein baldiges Abkommen aufkommen. Das Fehlen einer besseren Lösung macht diese deeskalierende Politik zur bestmöglichen Wahl. Gleichzeitig sind die Hindernisse und Meinungsverschiedenheiten so groß, dass ihre Überwindung eine schwierige und zeitaufwändige Herausforderung darstellt. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.
Die kommenden Wochen sind entscheidend. Khameneis Rede bei seinem Treffen mit den Vertretern der iranischen Atomindustrie signalisierte zwar die Bereitschaft für ein Abkommen. Er betrachtet jedoch jegliche Vereinbarung als taktischen Zug zur Beilegung eines Streits und nicht als Grundlage für einen außenpolitischen Strategiewechsel und eine dauerhafte Deeskalation mit den USA.♦
*Der Snapback-Mechanismus ermöglicht den Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens von 2015, Irans eventuelle Regelverstöße vor dem UN-Sicherheitsrat anzuprangern. Dadurch wird es möglich, alle UN-Sanktionen aus der Zeit vor der Einigung gegen den Iran wieder zu beleben. Keiner der Unterzeichnerstaaten kann dagegen ein Veto einlegen.
Dieser Artikel wurde zuerst in persischer Sprache in DW-Farsi veröffentlicht.