Atom-Abkommen: Ein Ende und ein Anfang

Der Atomdeal zwischen dem Iran und dem Westen ist zustande gekommen. Beide Seiten sind erleichtert. Doch was wurde vereinbart, was hat der Iran gewonnen, was verloren? Eine Bestandsaufnahme.

Nach zwölf ergebnislosen Verhandlungsjahren haben die iranische Regierung unter Hassan Rouhani und die sogenannte Gruppe 5+1, bestehend aus den fünf UN-Sicherheitsmächten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA sowie aus Deutschland in einem 20-monatigen Verhandlungsmarathon die Atomverhandlungen in Wien mit dem “goldenen Tor” beendet.
Es wurde ein Ergebnis erzielt, das zur Beendigung der gegen den Iran verhängten Embargos führt. Wer das „goldene Tor“ geschossen hat, will allerdings niemand wissen, alle sind froh, dass das Spiel beendet ist. Auf dem Höhepunkt des Misstrauens beider Seiten konnte Rouhani sein Wahlversprechen erfüllen, für ein Ende der gegen sein Land verhängten Embargos zu sorgen und mit dem “historischen Moment der Einigung” die Isolation des Iran zu beenden. Es wird zwar nur ein Ende der Embargos auf Raten geben, dennoch gilt die Zustimmung aller Beteiligten als sicher. Mit der Schließung der Nuklearakte Irans beginnt eine neue Entwicklung des Landes im internationalen politischen System, in dem die atomtechnischen Entwicklungen und die befürchteten möglichen militärischen Dimension des iranischen Atomprogramms eine spannungsgeladene Plattform von Gegnern mobilisiert und zu sechs Embargobeschlüssen des Weltsicherheitsrates und weiteren der Europäischen Union, der US-Regierung, des US-Kongresses und weiterer Länder geführt hatten.
In den vergangenen zwölf Jahren waren in Genf, Istanbul, Wien, Moskau, Bagdad, Almati, New York, Lausanne und Wien Verhandlungen geführt worden, um das iranische Atomprogramm einzuschränken oder ganz zu beenden. Nun haben Rouhani und sein Außenminister es in 20 Monaten Verhandlungen in Genf, Lausanne und Wien geschafft, einen sogenannten “Umfassenden Gemeinsamen Aktionsplan” mit der Gruppe 5+1 zu erarbeiten, der sicherlich kein Win-Win-Ergebnis ist. Denn die Iraner haben nichts zu gewinnen. Ihr Gewinn ist nur die Begrenzung des Schadens, den die Embargos angerichtet haben. Sie haben das Land in den wirtschaftlichen Ruin getrieben. Die Islamische Republik musste alles geben, um einige Tausend sinnlos rotierende Zentrifugen zur Urananreicherung zu bekommen. Das dabei angereicherte Uran soll hinterher wieder verpulvert werden. Dabei darf der Iran nur museale Zentrifugen betreiben, die 40 mal mehr Energie schlucken als die neueren im Land entwickelten Anlagen. Hohe Energiekosten werden in den nächsten 15 Jahren den Haushalt des Landes belasten

Obama erklärt den Inhalt der Übereinkunft

Hassan Rouhani und sein amerikanischer Amtskollege Barack Obama sind mit dem Atomdeal sehr zufrieden - Foto: jamnews.ir
Bringen Historisches in den iranisch-amerikanischen Beziehungen zustande: Hassan Rouhani und sein amerikanischer Amtskollege Barack Obama – Foto: jamnews.ir

Um 7 Uhr früh Washingtoner Zeit erklärt US-Präsident Barack Obama am 14. Juli der Weltöffentlichkeit seine Bewertung der Übereinkunft mit dem Iran:
– Hätte er nicht den diplomatischen Weg zur Krisenlösung mit dem Iran gewählt, so der Präsident, müssten er oder jeder Präsident nach ihm den Kriegsweg mit all seinen Risiken wählen. Mit seiner Politik habe er die Welt, die Nahostregion und Israel sicherer gemacht.
– Der Iran werde für sehr lange Zeit keine Möglichkeit haben, eine Atombombe zu bauen, denn sein für den Bau von zehn Atombomben ausreichendes angereichertes Uran werde zu 98 Prozent neutralisiert.
– Das atomfähige Plutonium werde außer Landes gebracht, neue Anlagen werden nicht gebaut.
– Die Internationale Atomagentur habe die Möglichkeit, jede verborgene Anlage des Iran zu untersuchen. Die iranischen Atomanlagen werden 24 Stunden am Tag überwacht.
– Die die Menschenrechte und den Terrorismus betreffenden Embargos bleiben bestehen.
– Der amerikanische Kongress werde alle Details der Übereinkunft mit dem Iran bekommen, um sie gründlich zu überprüfen. Er, Obama, werde aber jeden ablehnenden Beschluss des Kongresses mit seinem Veto beantworten.
– Den Iranern sei bekannt, dass die Aufhebung aller Embargos umkehrbar sei, sollte das Land seinen Verpflichtungen nicht nachkommen.

Details der Wiener Übereinkunft

Der 100-seitige Text der Übereinkunft samt Anlagen ist bisher nicht veröffentlicht worden. Russische, iranische und amerikanische Nachrichtenagenturen haben jedoch einige glaubhafte Details veröffentlicht, die sich mit den Angaben Obamas decken:
– Der Iran wird in den nächsten 15 Jahren nicht über 3,67 Prozent Uran anreichern.
– Der Iran wird für acht Jahre die Forschung und Entwicklung der neueren Generation seiner Zentrifugen unterlassen.
– In der Atomanlage Fordo wird weder Urananreicherung betrieben noch geforscht. Es wird dort auch kein radioaktives Material aufbewahrt.
– Die Europäische Union setzt alle Embargos in den Bereichen Banken, Versicherungen und Kapitalverkehr aus, der Swift-Code wird freigegeben.
– Das im Iran verfügbare leicht angereicherte Uran wird in den nächsten 15 Jahren die Menge von 300 Kilogramm nicht überschreiten. Das gesamte vorhandene Uran Hexafluorid wird entweder verdünnt oder auf dem Weltmarkt verkauft. Der Iran könnte sein überschüssiges Uran auch der Uranbank der Internationalen Atomagentur in Kasachstan verkaufen.
– 130 bis 150 Kontrolleure der Internationalen Atomagentur aus Ländern, die mit dem Iran diplomatische Beziehungen unterhalten, werden die Umsetzung der übernommenen Verpflichtungen überwachen.
– Die Einschränkungen bezüglich der Öl- und Gasexporte in die EU werden aufgehoben, der Import von Ausrüstungen für diese Industrien wird erlaubt.
– Mit der Aufhebung aller Embargos ist erst in zehn Jahren zu rechnen. In diesem Rahmen werden die EU-Länder ihren Kapitalinvestoren bei Notwendigkeit Lizenzen oder Exportkredite gewähren.
– Die Internationale Atomagentur und der Iran seien überein gekommen, bis zum Jahresende alle Fragen zu möglichen militärischen Dimensionen des iranischen Atomprogramms zu behandeln und zu Ende zu bringen.
– Der Iran akzeptiert die Umkehrbarkeit der Aufhebung der Embargos, falls er seinen übernommenen Verpflichtungen nicht nachkommt. Die Embargos könnten dann innerhalb von 65 Tagen reaktiviert werden.
– Der Weltsicherheitsrat wird noch im laufenden Monat zur Beschlussfassung über die Aufhebung seiner Embargos gegen den Iran zusammenkommen.
– Die Embargos für Verteidigungswaffen bleiben fünf Jahre lang in Kraft, für Raketen acht Jahre.
– Die eingefrorenen iranischen Dollarguthaben werden freigegeben.

Der deutsche Vizekanzler auf dem Weg in den Iran

In der unterirdischen Urananreicherungsanlage in Fordu sind etwa 3.000 Zentrifugen neuerer Generation installiert - Foto: qomefarda.ir
In der unterirdischen Urananreicherungsanlage in Fordu sind etwa 3.000 Zentrifugen neuerer Generation installiert – Foto: qomefarda.ir

Kaum war die Meldung über die Übereinkunft verbreitet, meldete die iranische Nachrichtenagentur IRNA, dass der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister kommenden Sonntag mit einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation in die iranische Hauptstadt reisen werde, um Handels- und Wirtschaftsabkommen zu unterzeichnen. Die deutschen Exporteure hätten ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dem profitablen iranischen Markt ferngeblieben zu sein, während Konkurrenten aus anderen Ländern bereits sehr früh in Teheran angekommen seien. Vor dem Wirtschaftsembargo gegen den Iran hätten die deutschen Exporte in das Land vier Milliarden Euro betragen, sie seien jetzt fast halbiert. Die Iraner seien an deutschen Investitionen im Energiesektor interessiert. Mit dem Ende der Wirtschaftsembargos könne die 4-Milliarden-Grenze der deutschen Exporte schnell überschritten werden. Der Iran sei zur Stärkung seiner Verteidigungsfähigkeit an deutschen Panzern und Abwehrwaffen interessiert.

Die geopolitische Bedeutung des Iran wird wachsen

Nach den jahrelangen Verhandlungen der Weltmächte mit dem Iran ist als Nebenprodukt ein Muster der Krisenbewältigung in der Welt entstanden, das die Iraner zur Kompromissfähigkeit gezwungen hat. Dabei kam nach und nach das regionale politische Gewicht der Islamischen Republik zur Entschärfung regionaler Krisenherde zur Geltung. Die arabischen Länder und Israel befürchten, dass der Iran wieder zu seiner Spitzenposition der siebziger Jahre zurückfinden könnte. Diese Annahme ist angesichts der Bedeutung Irans im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) nicht unbegründet. Bereits jetzt kooperieren iranische Milizverbände und amerikanische Militärzentren im Irak bei ihren Aktionen gegen Kampfverbände des IS. Saudi-Arabien und die Golfstaaten wollen diese neue Position des Iran in der Regionalpolitik nicht kampflos hinnehmen. Es ist damit zu rechnen, dass Israel und arabische Staaten weiterhin bemüht sein werden, den Atomdeal mit dem Iran im amerikanischen Kongress und Senat scheitern zu lassen.

  MEHRAN BARATI

© Iran Journal

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