Die Zukunftsfähigkeit der Nukleartechnologie im Iran
Die Protagonisten des iranischen Nuklearprogramms zur Energiegewinnung – sowohl des alten wie des islamischen Regimes – haben stets behauptet, die Nukleartechnologie sei für das Land lebensnotwendig und der Motor des technologischen Fortschritts. Doch trifft das zu?
Von Behrooz Bayat
Wer von der Relevanz sowie dem langfristigen Kosten-Nutzen-Verhältnis der Anwendung von Nukleartechnologie (NT) spricht, muss im Auge behalten, welche Anwendungsfelder gemeint sind: die rapide Energiefreisetzung in Kernwaffen, die kontrollierte Freisetzung zur Stromerzeugung in Atomkraftwerken (AKW) oder die vielfältigen sonstigen Anwendungen in den Bereichen Medizin, wissenschaftliche Forschung, Landwirtschaft, Industrie, Hydrologie, Tierzucht, Archäologie, Kriminologie etc. – im folgenden zusammengefasst als MFLI.
Politisch betrachtet ist die MFLI-Anwendung der Nukleartechnologie durch die Islamische Republik unumstritten, während ein Aspekt der NT-Anwendung zur Energiegewinnung, nämlich die Urananreicherung, wohl umstritten ist: nämlich proliferationspolitisch, also hinsichtlich der Weitergabe von Know How und Technologie. Daher ist es sinnvoll, die Zukunftsfähigkeit der NT-Anwendungen im Iran gesondert zu würdigen.
Ist Nukleartechnologie für den Iran lebensnotwendig?
Lebensnotwendig hieße in diesem Fall: Die Wirtschaft des Landes würde ohne Elektrizität aus Atomkraftwerken (AKW) zusammenbrechen, die Industrie würde zum Stillstand kommen.
Was die unmittelbare Stromversorgung anbelangt, so betragen die Gas-Reserven des Iran 33,72 Billion Kubikmeter (m3). Mit dem gegenwärtig unverantwortlich hohen Gasverbrauch von 206,9 Millionen m3/Jahr (der dritthöchste auf der Welt nach den USA und Russland, sowohl absolut als auch pro Kopf) würden diese Reserven für 163 Jahre ausreichen. Hierbei ist eminent wichtig, explizit darauf hinzuweisen, dass es sich hier nicht um eine Empfehlung handelt, die kostbaren Gasreserven Irans zu verbrennen. Vielmehr ist es nur ein Hinweis darauf, dass das Fehlen der Nuklearenergie keine Existenzbedrohung darstellt, weil die unmittelbare Energieversorgung gesichert ist, bis neue erneuerbare Energiequellen erschlossen werden.
Natürlich muss das Ziel die Schaffung der Voraussetzungen für die Nutzung erneuerbarer Energien sein, die bisher vernachlässigt und daher kaum entwickelt worden sind, obwohl der Iran über vielfältige Ressourcen für erneuerbare Energie verfügt: Vom Norden zum Süden beträgt die tägliche Sonneneinstrahlung 2,8 bis 5,4 Kilowattstunden (kWh) pro Quadratmeter bei 300 Sonnentagen pro Jahr. Zudem befindet sich das Land in verschiedenen Windströmungen, und nicht zu vergessen ist das Potential für Geothermie. In 18 Provinzen Irans mit einer Fläche von 144.000 Quadratkilometern sind gute Voraussetzungen für die Nutzung der Geothermie verortet worden. Dennoch ist das, was der Iran bisher an erneuerbarer Energie gewinnt, vernachlässigbar klein.
Gewiss braucht das Land den Willen und die Zeit dafür. Doch die Zeit, die man für die Erschließung und Nutzung erneuerbarer Energien benötigen würde, wäre angesichts der politischen Gemengelage im und um den Iran nicht wesentlich länger als die, die man zur Errichtung von AKW braucht – Deutschland könnte trotz ungünstigerer Umstände mit einem erneuerbaren Stromanteil von über 40 Prozent als Vorbild dienen.
Ist die NT eine „Mutter- Technologie“?
Ferner wird von Befürwortern des iranischen Atomprogramms behauptet, die NT sei eine „Muttertechnologie“, auf deren Basis sich andere Technologien entwickelten – doch das ist eine überzogene und unbegründete Sichtweise. Denn erstens muss man unterscheiden zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Anwendungen: einerseits der Nuklearwaffenherstellung und/oder Stromerzeugung, andererseits die Anwendungen im Bereich MFLI. Beide Sektoren verdienen eine unterschiedliche Würdigung.
Was die Einschätzung der Relevanz der Nukleartechnologie anbelangt, lohnt ein Blick auf Webseiten von Forschungsinstitutionen, die in den 1950er Jahren explizit zur Förderung der NT gegründet wurden. Dort wird ersichtlich, dass diese Institutionen sich heute nur noch zu einem kleinen Teil mit diesem Thema befassen. So beschäftigen sich in den bekannten ehemaligen Kernforschungszentren Argonne National Lab und Bruckhaven National Lab in den USA heute nur noch eine von vormals 12 bzw. zwei von vormals 18 Forschungsbereiche mit Kernkraft. Das frühere deutsche Kernforschungszentrum in Karlsruhe ist heute in die Universität integriert, das Kernforschungszentrum Jülich heißt nur noch ‚Forschungszentrum‘. Auch hier haben sich die Abteilungen, die mit Kernkraft befasst sind, auf zwei von acht bzw. zwei von einstmals zehn reduziert.
Der Grund dafür ist, dass die große Euphorie, die in den 1950er und 1960er Jahren angesichts der vermuteten Möglichkeiten der NT für die Energieversorgung herrschte, spätestens in den 1980ern der Ernüchterung Platz machte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die NT keine Relevanz mehr besitzt, sondern dass sie keine prominente Stellung mehr innehat, sondern wie andere Wissenschafts- und Technologiezweige behandelt wird.
Motor der technologischen Entwicklung?
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