Im Jammertal der Verlierer: Khameneis verlorenes Atomspiel
Irans Revolutionsführer beklagt, Iran habe einen hohen Preis für die Aufhebung der internationalen Sanktionen bezahlt. Tatsächlich hat das Land bei dem Atompoker mehr als 500 Milliarden US-Dollar verloren und musste für die Einigung mit dem Westen enorme Zugeständnisse machen. Doch eine Selbstschuld erkennt Khamenei nicht. Eine Bestandsaufnahme von Mehran Barati.
Am 16. Januar 2016 bestätigte die Internationale Atomenergiebehörde, der Iran habe alle im Rahmen des Wiener Atomabkommens vom Juli 2015 übernommenen Verpflichtungen erfüllt – es sei nun sichergestellt, dass das iranische Atomprogramm der friedlichen Nutzung diene. Damit seien die Bedingungen für die Aufhebung der internationalen Sanktionen gegen das Land erfüllt.
Am Tag darauf meldete sich Barack Obama per Videobotschaft aus dem Weißen Haus. Der US-Präsident stellte fest, dass der Iran mehr als ein Jahrzehnt an einem Atomprogramm gearbeitet und vor dem Atomdeal fast 20.000 Zentrifugen zur Urananreicherung für den Bau von Atombomben installiert habe. Die angesammelte Uranmenge hätte für den Bau von zehn Atombomben gereicht. Dank der US-Diplomatie seien zwei Drittel dieser Maschinen entfernt und 98 Prozent der Uranbestände in ein Drittland ausgeliefert worden. Vor der Einigung sei der Iran kurz vor der Fertigstellung eines neuen Schwerwasserreaktors zur Herstellung von kernwaffenfähigem Plutonium gewesen. Heute sei der Kern des Reaktors herausgezogen und mit Beton gefüllt und könne so nicht wieder verwendet werden. Vor dem Deal habe die Welt wenig Einblick in das iranische Atomprogramm gehabt, so der Präsident weiter. Heute seien internationale Inspektoren auf iranischem Boden, die die iranischen Atomanlagen Rund um die Uhr überwachten. Der Iran habe vor dem Abkommen nur zwei bis drei Monate gebraucht, um Material zum Bau einer Bombe zu sammeln. Heute betrage der so genannte „Breakout-Punkt“ ein Jahr, führte Obama wieter aus. Mit der beispiellosen Kontrolle über Irans Atom-Programm sei die Welt auch in den kommenden zehn Jahren in der Lage, sofort zu erkennen, ob der Iran sich der Kontrolle entziehen wolle.
Mit dem Ende der IAEA-Überprüfungen und der Bestätigung der Unbedenklichkeit der iranischen Nuklearaktivitäten könne mit der Aufhebung der Embargos durch die USA und die internationale Gemeinschaft begonnen werden, so Obama. Der Iran habe nun Zugriff auf sein vom Westen eingefrorenes Geld. Der Präsident betonte, am allerwichtigsten sei für die USA die Tatsache, dass sie diesen historische Fortschritt allein durch Diplomatie, also ohne einen weiteren Krieg im Nahen Osten erreicht hätte. Allerdings werde eine Reihe von US-Sanktionen weiterhin in Kraft bleiben: etwa die Sanktionen im Bereich Raketentechnologie und konventioneller Waffen. Zudem solche, die dem Iran als Unterstützer von Terrorismus auferlegt wurden. Diese Sanktionen betreffen Personen, die in Kooperation mit dem Iran Terror unterstützen, Autoritäten und Institutionen, die die Entwicklung ballistischer Raketen fördern, Behörden und Personen, die verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen und Zensur sind und Verantwortliche für regionale Destabilisierung etwa in Syrien und dem Jemen.
Die US-Innenpolitik und das Schicksal des Wiener Abkommens
Die Ausführungen des US-Präsidenten zeigen, dass die gegen die Islamische Republik Iran verhängten Embargos nur ausgesetzt und nicht aufgehoben werden. Die Grenze zwischen erlaubtem und verbotenem Warenhandel mit dem Iran bleibt verschwommen. Die gesamte Einigung ist von Veränderungen der innenpolitischen Machtverhältnisse in den USA abhängig. Die Wiener Übereinkunft hat einige wesentliche Fragen offen gelassen, die Interpretationen in jede Richtung erlauben. So ist etwa über die Frage der iranischen Luft-, Wasser- und Bodenverteidigung und die dazu notwendigen Waffengattungen nicht gesprochen worden. Das umfassende Wiener Nuklearabkommen enthält keinen Hinweis auf das iranische Raketenprogramm. Nur die Resolution 1929 des UN-Sicherheitsrats vom 9. Juni 2010 hat den Iran aufgefordert, die Erprobung neuer ballistischen Raketen zu unterlassen. Die Iraner haben jedoch stets eine Begrenzung ihres Raketenplans abgelehnt, weil dieser ausschließlich der Landesverteidigung diene.
Schon am 17. Oktober 2015 hatte sich die Botschafterin der Vereinigten Staaten bei den Vereinten Nationen, Samanta Power, besorgt darüber geäußert, dass das Teheraner Regime am 10. Oktober 2015 “eine Mittelstreckenrakete getestet hat, die eine Atombombe tragen könnte“. Das sei ein deutlicher Verstoß gegen die Resolution 1929. Am 11. Oktober 2015 wurde nach Angaben des iranischen Verteidigungsministeriums eine Langstreckenrakete namens Emad mit einer Reichweite von 1.700 Kilometern und einem mit 750 Kilogramm Gewicht beladbaren Sprengkopf erfolgreich getestet. Die USA registrierten zudem am 21. November 2015 einen Raketentest nahe der Hafenstadt Tschabahar an der pakistanischen Grenze und forderten am 8. Dezember mit Großbritannien, Frankreich und Deutschland den Sanktionsausschuss des UN-Sicherheitsrates deshalb zum Handeln auf. Passiert ist nichts, da Russen und Chinesen der Ansicht waren, dass mit dem Inkrafttreten der Wiener Übereinkunft die UN-Resolutionen ohnehin hinfällig würden. Die USA halten jedoch weiterhin an ihren entsprechenden Sanktionen fest.
Laut Einschätzung des amerikanischen Verteidigungsministeriums würden ballistische Raketen des Iran das militärische Gleichgewicht am Persischen Golf völlig verändern. Hierbei geht es vor allem um die elektronisch leitbare Fateh-110-Rakete mit einer Reichweite von 300 Kilometern, die 650 Kilogramm Sprengmaterial tragen könnte. Nach Ansicht amerikanischer Marineexperten würden solche Raketen in iranischer Hand eine Bedrohung maritimer Tätigkeiten im Persischen Golf und in der Straße von Hormuz bedeuten. Andere Experten sind hingegen der Meinung, der Iran verfüge nur über begrenzte Fähigkeiten, gegen Kriegsschiffe gerichtete Raketen oder auch Langstreckenraketen zu mobilisieren. Das Gleichgewicht der Marinestreitkräfte in der Region würde sich nur dann ändern, wenn der Iran das nötige hohe Niveau an Komplexität und Präzision in der Raketenentwicklung erreichen würde. Damit sei aber für die nächste Zeit nicht zu rechnen.
Trotz dieser Einschätzung hat das amerikanische Schatzamt am 17. Januar 2016, also nur einen Tag nach dem Inkrafttreten des Wiener Abkommens, in Reaktion auf die iranischen Raketentests vom Oktober und November 2015 neue Embargos gegen drei Gesellschaften und sieben Personen angekündigt, die in Zusammenhang mit dem iranischen Raketenprogramm stehen. Ihre Verbindungen zum amerikanischen Bankensystem wurden gekappt. Am Tag darauf kündigte das Weiße Haus jedoch an, die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen werde zunächst ausgesetzt.
Alle diese Ereignisse und Reaktionen deuten aber auf die Umkehrbarkeit der amerikanischen Einigung mit der Islamischen Republik Iran hin. Sollten die Republikaner die Präsidentschaftswahlen gewinnen oder Obama sich aus innen- oder außenpolitischen Gründen dazu gezwungen sehen, könnten die einseitigen amerikanischen Embargos gegen den Iran wieder aktiviert werden.
Revolutionsgarden machen Politik
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