Abwege einer Diplomatie Richtung Teheran
Nach kurzem Hinweis auf Assadi verlässt Shariatmadari in seinem Kommentar Europa und wendet sich dem „schlimmsten Feind“, den USA, zu. An alle Gegner*innen der Teheraner Machthaber gerichtet stellt der Leitartikler die Frage: „Habt ihr nicht gemerkt, wie die Supermacht jenseits des Atlantiks aller Propaganda zum Trotz kriechend den Weg zu uns sucht?“
Ob man die Geheimdiplomatie, die derzeit zwischen Teheran und Washington im Gange ist, als kriecherisch bezeichnen kann, ist eine Definitionsfrage. Tatsache ist, dass die Biden-Regierung momentan in verschiedenen Hauptstädten indirekte Gespräche mit Ali Khameneis Gesandten führt. Ziel dieses „Kriechens“ ist, das Atomprogramm des Iran vor der Fähigkeit zur Waffenentwicklung zu stoppen. Außerdem sollen die Stellvertreterattacken auf US-Streitkräfte in Syrien und dem Irak beendet und ein Handvoll Iraner mit amerikanischen Pässen aus mehrjähriger Kerkerhaft entlassen werden.
Im Austausch sollen einige Milliarden iranischer Dollars freigegeben werden, die bei verschiedenen Banken in Südkorea und dem Irak eingefroren sind.
Das Atomabkommen ist tot, es lebe die politische Feuerpause
Das berühmte Atomabkommen von 2015 zwischen dem Iran und fünf Weltmächten einschließlich Deutschland ist praktisch tot. Eine Wiederbelebung ist aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich, nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs.
Bidens Revitalisierungsversuche waren fruchtlos, sie endeten nach einem Jahr sporadischer Verhandlungen im vergangenen Herbst. Wenig Milliarden gegen wenige Zugeständnisse, das ist nun das Motto der jetzigen Gespräche hinter verschlossenen Türen. Ob und wann diese Geheimdiplomatie mit beschränkten Zielen erfolgreich sein wird, ist noch ungewiss.
Ali Khamenei hat vergangene Woche öffentlich seine Zustimmung zu einer solchen Vereinbarung verkündet. Bei einer Audienz für Atomexperten des Landes sagte er, dies sei „kein Problem“, solange die nukleare Infrastruktur des Landes „unverändert“ bliebe. Einige republikanische US-Senatoren und auch die israelische Regierung halten diese Minimaleinigung zwischen Washington und Teheran bereits für eine beschlossene Sache.
Bidens „großes Projekt“
Und sie kritisieren, dass die Milliarden, die dann nach Teheran fließen würden, direkt die Kassen der Stellvertreterkrieger Teherans in der gesamten Region füllen würden – inklusive die der palästinensischen Hamas und des islamischen Jihads, wie es auch nach dem Abkommen von 2015 geschehen war. Deshalb müsse vorher alles, was Biden mit Khamenei vereinbare, dem US-Kongress vorgelegt werden.
Am 20. Juni zitierte die Washington Post einen hochrangigen US-Verhandler mit den Worten, die Freigabe der eingefrorenen Milliarden sei konditioniert, man kontrolliere derzeit ihre Ausgabe. Die Geheimgespräche mit Teheran seien Teil eines großen Projekts. Mit stiller Diplomatie auf höchster Ebene wolle man die Probleme im Nahen Osten gründlich angehen und den zunehmenden Einfluss von China und Russland in der Region zurückzudrängen. Außerdem wolle man die Annäherung Saudi-Arabiens und Israels beflügeln, so die Zeitung weiter.
Das Gegenteil werde der Fall sein, frohlockten dagegen iranische Medien, um die Versöhnung mit dem Erzrivalen zu rechtfertigen. Nach der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Riad und Teheran sei die Annäherung Saudi-Arabiens an Israel Makulatur.
Wer recht behalten wird, die Radikalen in Teheran oder die US-Administration, wird die Zukunft erweisen.

Umworbene Saudis
Die Saudis fühlen sich jedenfalls momentan in einer sehr komfortablen Lage. Als größter Ölexporteur der Welt und dank ihrer Petrodollars werden sie von allen Seiten umworben. Sie können sich erlauben, zwischen Washington, Peking, Moskau und Teheran zu manövrieren. Gegenüber der Islamischen Republik fahren sie jedoch einen sehr vorsichtigen Kurs.
Vergangene Woche war der saudische Außenminister Bin Farhan zur Wiedereröffnung der Botschaft Saudi-Arabiens in Teheran. Von einer richtigen Botschaft ist momentan aber keine Rede: Die Saudis haben im Norden der iranischen Hauptstadt zwei Etagen eines Luxushotels mit einem langen Vertrag angemietet. Für ein eigenes Gebäude sehen sie einstweilen keine Zukunft. Nicht zu Unrecht, denn sie wissen nicht, wohin die Reise geht. Und schon bei der offiziellen Zeremonie anlässlich der Wiederbelebung der diplomatischen Beziehungen bekam Bin Farhan die Bestätigung für sein Misstrauen. Denn als die beiden Außenminister feierlich die neue Ära zwischen den beiden Ländern vor den Kameras der Weltpresse verkünden wollten, geschah etwas Sonderbares.
Der tote Qassem Soleimani regiert weiter
Der saudische Außenminister sollte unter einem Bild von Qassem Soleimani sitzend vor der Welt lächelnd die Zeitenwende loben. General Soleimani, der ewige Held der Islamischen Republik, der mächtige Kriegsherr aller Stellvertreterkriege des Irans, wurde 2020 auf Befehl des damaligen US-Präsidenten Donald Trump am Flughafen von Bagdad getötet. Die Welt sei ohne Soleimani ein sicherer Ort, hatte in jenen Tagen der saudische Außenminister erklärt – im Einklang mit Trump. Nun sollte er unter dem Bild des Kriegshelden sitzen? Vor laufenden Kameras aus aller Welt weigerte sich Bin Farhan, den Konferenzraum zu betreten. Es herrschte Chaos und Ungewissheit, bis man einen neuen Raum fand und der Pressetross umziehen musste.
Im Iran sei nicht das Außenministerium, sondern die Kriegsführung für die Diplomatie zuständig, sagte einmal Jawad Zarif, einst Außenminister des Iran. Und Soleimani, Chef der so genannten Quds-Brigaden, des Auslandsarms der iranischen Revolutionsgarde, war zwei Dekaden lang der mächtige Führer dieser Regionalkriege. Nun sollte das Bild des Unersetzbaren der Welt demonstrieren, wer im Iran das letzte Wort hat.
Die Mächtigen in Teheran haben noch einen langen Weg zu normaler Diplomatie vor sich. Fraglich ist, ob die islamische Republik seit ihrem Bestehen diesen Weg je beschreiten wollte. Die Frage ist auch, auf welchen Abwegen der Westen diese „Republik“ begleiten will.♦
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