Abwege einer Diplomatie Richtung Teheran

Die Welt habe sich der islamischen Republik wieder zugewandt, von einem Regime Change spreche niemand mehr: Die USA, Europa und selbst die Regionalmacht Saudi-Arabien sähen keine andere Alternative als den Weg nach Teheran. So lautet der Tenor offizieller iranischer Medien. Und das ist keineswegs nur Propaganda.

Von Ali Sadrzadeh

„In welcher Kraftarena protzt Ihr?“, betitelte Hossein Shariatmadari, Chefredakteur der Teheraner Tageszeitung Keyhan, seinen Leitartikel vom vergangenen Donnerstag.

Shariatmadari gilt als Sprachrohr der Radikalsten aller Radikalen im Iran, die sich um Ali Khamenei, den mächtigsten Mann der Islamischen Republik, scharen.

Adressat dieser hämischen Frage ist ein buntes Spektrum unzufriedener Iraner*innen. Man könnte auch sagen, Shariatmadari spricht die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung an. Dazu gehören unter anderem die mutigen Frauen, die sich seit Wochen ohne Hijab in der Öffentlichkeit zu zeigen wagen; die regelmäßig protestierenden Studierenden, Rentner*innen und Arbeiter*innen; die längst entmachteten Reformer verschiedener Couleur, die bis vor kurzem Teil der Herrschaft waren; und vor allem jene Aktivist*innen, die sich im In- und Ausland für ein Ende der Islamischen Republik einsetzen.

Sarkastisch und voller Ironie schreibt der Chefredakteur weiter, vergeblich sei ihre Mühe und sie würden sich in einer virtuellen Arena befinden. Die „reale Welt“ habe sich längst von den Kritiker*innen und Gegner*innen des Regimes ab- und der Islamischen Republik zugewandt. Sie sollten endlich die Welt so sehen, wie sie sei.

Ist das reine Propaganda, oder hat der Autor irgendwie recht? Shariatmadari hatte immer eine klare Sprache, sie sei so hart wie Beton, schrieb einmal der Spiegel.

Schläge in Paris und Tirana gegen Volksmujahedin

Für seine These zählt der Leitartikler einen Fakt nach dem anderen auf, die alle – jenseits der Wortwahl – richtig und unbestreitbar sind. Er fängt mit Europa an: „Seht Euch an, wie Europa in den letzten Tagen mit unserem schlimmsten Feind umging.“ Am 19. Juni hatte das Pariser Innenministerium den iranischen Volksmujahedin mitgeteilt, die Oppositionsgruppe dürfe ab sofort keine Demonstrationen mehr veranstalten; ihr alljährliche aufwendige Propagandashow, an der stets wichtige Politiker*innen aus der ganzen Welt teilnahmen, werde nicht mehr stattfinden können.

In Paris halten sich die Führung und viele aktive Kader dieser Gruppe auf, die straff organisiert und hermetisch vor der Außenwelt verschlossen ist. Die Organisation agierte in ihrer 50-jährigen Geschichte stets als Guerillagruppe und Sekte zugleich.

Sie hat es in den vergangenen Jahren geschafft, ein effektives Lobbynetz von einflussreichen, hochrangigen Politiker*innen aus der ganzen Welt zu gewinnen. Rita Süßmuth, die einstige Präsidentin des deutschen Bundestages, gehörte ebenso zu diesem Netz wie Mike Pompeo, der ehemalige US-Außenminister und CIA-Chef. John Bolton, ehemaliger US-Sicherheitsberater, sowie eine Reihe andere Ex-Minister und Parlamentarier aus unterschiedlichen europäischen Ländern gehören ebenfalls dazu. Auch mächtige Scheichs und Emire gehören zu diesem Club der Lobbyist*innen.

Parallel zu der Verbotsanordnung der französischen Regierung stürmten am selben Tag in Tirana mehr als eintausend albanische Polizisten das „Camp Ashraf“, den Stützpunkt der Volksmujahedin. Es kam zu blutigen Auseinandersetzungen mit einem Toten, mehr als hundert Verletzten und Dutzenden Verhafteten. Fast das gesamte Equipment der finanziell sehr flüssigen Gruppe wurde beschlagnahmt. Das vorläufige Ende dieser wichtigen iranischen Oppositionsgruppe ist damit eingeläutet.

Verhandlung der EU-Delegation unter der Leitung von Enrique Mora (re. Mitte) mit Vertretern der iranischen Regierung in Doha am 21. Juni 2023
Verhandlung der EU-Delegation unter der Leitung von Enrique Mora (re. Mitte) mit Vertretern der iranischen Regierung in Doha am 21. Juni 2023

Letzter Zufluchtsort

Tirana war der letzte Zufluchtsort von etwa 2.000 Frauen und Männern, die sich fast alle im sechsten oder siebten Lebensjahrzehnt befinden. In jungen Jahren gingen sie einer Ideologiemischung aus Islam und Sozialismus nach, führten einen langen Guerillakrieg gegen zwei Regimes, flohen schließlich in den Irak und fanden dort unter dem Regime Saddam Husseins Schutz. Doch ihr irakisches Exil ging 2003 mit Saddams Sturz zu Ende, die US-Armee verfrachtete die Gruppe vor 20 Jahren nach Albanien. Und im albanischen Exil entpuppten sich diese betagten Männer und Frauen als eine relativ erfolgreiche Cyberarmee. Dies alles scheint nun der Geschichte anzugehören.

Erpressbares Europa

Als weiterer Fakt, warum die Welt sich der islamischen Republik zugewandt hat, erwähnt Shariatmadari kurz den Fall Assadollah Assadi. Drei Wochen vor den offenbar koordinierten Aktionen in Tirana und Paris war es in Belgien zu einem skandalösen Gefangenenaustausch gekommen. Ein merkwürdiger Deal, der auch als unmissverständliches Signal ganz Europas verstanden werden kann: nicht nur an die Volksmujahedin, sondern an die gesamte iranische Opposition.

Nach einem Jahr Haft wurde am 22. Mai der belgische Entwicklungshelfer Olivier Vandecateele gegen den inhaftierten Iraner Assadollah Assadi ausgetauscht, der als Diplomat in Wien akkreditiert war. Der 51-Jährige war in Wahrheit ein hochrangiger Agentenführer, der jahrelang ein Netz iranischer Spione in ganz Europa kontrollierte.

Er hatte als übergeordneter Geheimdienstler nicht nur die Aufgabe, die iranische Opposition im Ausland zu beobachten, sondern sie auch effektiv zu bekämpfen.

Assadi war 2018 in Deutschland festgenommen und 2021 von einem Gericht in Antwerpen zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Er war in flagranti bei der Übergabe hochexplosiven Sprengstoffs an einen seiner Agenten erwischt worden. Damit sollte in einer großen Kongresshalle bei Paris eine Großkundgebung der Volksmujahedin mit mehreren tausend Teilnehmer*innen in die Luft gesprengt werden. Bei dieser Veranstaltung waren auch Dutzende westliche Politiker wie Mike Pompeo, John Bolton und viele andere hochrangige Gäste zugegen. Hätte man Assadi und seine Helfershelfer nicht gestoppt, hätte Paris einen spektakulären Terroranschlag erlebt, dessen Dimensionen mit denen des 11. September vergleichbar gewesen wären, vermuteten damals viele Experten.

Mit der bewährten Methode der Geiselnahme gelang es den Mächtigen in Teheran schließlich, ihren wertvollen Agentenführer nach fünf Jahren Haft zu befreien. Am Teheraner Flughafen wurde er von hochrangigen Vertretern des iranischen Außenministeriums im Empfang genommen.

Auch die USA „kriechen“ nach Teheran
Fortsetzung auf Seite 2